Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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auf dem Platz am Hochzeitsstein. Von dort aus zogen die beiden los, und Ging zeigte Teri die Kaiserstadt. Er kannte sich so gut aus, als sei er hier geboren, und er kannte viele Geschichten aus dem alten Isco, lange vor der Zeit des jetzigen Kaisers.

      "Vor langer Zeit war ich schon mal hier. Vor langer Zeit!", hatte er auf Teris Frage geantwortet, aber über sein Alter hatte er keine Auskunft geben wollen. Überhaupt hatte Ging so seine Geheimnisse. Sein Geburtsort, sein Alter, wann und was er aß und trank, wo er schlief - nichts von alledem bekam Teri heraus. Er wollte auch keinesfalls berührt werden. Einmal, als Teri gestolpert war und nach ihm griff, um sich zu stützen, war er hastig zurückgewichen. Teri war hingefallen und hatte sich den Handballen dabei bös aufgeschrammt.

      "Bitte nicht anfassen", hatte Ging entschuldigend gemurmelt, dem Teris wütender Blick nicht entgangen war. "Wir würden uns lesen. Es würde die Freundschaft töten! - Bitte nicht anfassen."

      Teri hatte verstanden. Sie hatten beide die Gabe, Dinge lesen zu können. Ging hatte Angst davor, zu viel über Teri zu erfahren, wenn er sie berührte und wohl auch davor, dass Teri zu viel über ihn erahnte.

      Versöhnt war sie wieder aufgestanden, und sie waren weiter durch die Stadt gezogen. Teri hatte sich an der Pracht des Kaiserpalastes erfreut und die hohen Türme des Tempels bewundert, die wie kupferne Nadeln in den Himmel ragten. Sie hatte die Terrassengärten an den Hügelhängen gesehen und sich in den Katakomben unter der Stadt umgeschaut. Am Ende ihres Aufenthalts gab es in ganz Isco keinen Hügel, den die beiden nicht gemeinsam erklommen und keinen Park, den sie nicht gemeinsam besucht hätten.

      Nur vor dem Wasser hatte Ging eine panische Angst. Trotzdem überwand er sich und kam zum Abschied mit an den Hafen.

      "Eines verstehe ich nicht." Teri sah Ging fragend an. "Wenn du doch Wasser so abscheulich findest, warum haben wir uns damals am Hafen kennengelernt? Wieso warst du dort?"

      "Ich habe auf dich gewartet." Ging schaute verlegen zu Boden. "Aska meinte, dass du vielleicht einen Freund gebrauchen könntest. - Ich habe auf dich gewartet."

      Aska? Die alte Aska, die Mutter von Bgobo, hatte Ging aufgetragen, auf sie, auf Teri zu warten? "Aber ich bin weit über ein Jahr lang fort gewesen und wußte selbst nicht, ob ich je wieder nach Isco komme."

      "Aska bittet nicht, Teri. - Ich hatte hier auf dich zu warten. Aber ..." Ging schaute ihr lächelnd ins Gesicht. "...ich bin froh, das ich geblieben bin. Es war eine schöne Zeit mit dir. - Hm, eigentlich schade, dass wir Wanderer nur sehr dicke Frauen mögen."

      Jetzt hatte Ging vor lauter Rührung glatt vergessen, den Satzanfang zu wiederholen, aber er wetzte die Scharte sofort wieder aus: "Ich glaube, ich möchte dich gerne mal besuchen. - Ich glaube, ich möchte!"

      "Wann immer du willst!" Teri hätte Ging fast umarmt, aber im letzten Moment fiel ihr noch ein, dass er so etwas überhaupt nicht schätzte. "Wann immer du willst! Du wirst willkommen sein!"

      Wenig später war Teri wieder auf hoher See. Der Wind war gut, und der Kapitän hielt geraden Kurs auf Thedra.

      KAPITEL 11 - DIE HEIMKEHR

       Träume verwirklichen sich nicht. - Sie werden verwirklicht.

      Je näher das Löwenboot Thedra kam, umso unfreundlicher tat der Kapitän, aber Teri spürte, dass er nur ihr und sich den Abschied erleichtern wollte und nahm ihm seine Grummeligkeit nicht übel.

      Auffällig oft hatte der alte Mann auf der Reise betont, dass die Passage Teris von Tana und Gerit bereits vor Tigan bezahlt worden sei. - Aber Teri glaubte ihm kein Wort. Sie wurde im Gegenteil nie den Verdacht los, dass der Kapitän sein Schiff nur ihretwegen und auf eigene Kosten nach Thedra lenkte. - Nur, um sie sicher nach Hause zu bringen.

      Mehr noch: Er hatte sie mit nach Ago, in seine Heimat, genommen und sie dort wie ein eigenes Kind in seinem Hause leben lassen. Als sie aus ihren Sachen herausgewachsen war, hatte er ihr neue Kleidung besorgt, und immer war ihre Proviantkiste gefüllt gewesen. In Osange hatte sie selbst gehört, wie er es ablehnte, Passagiere an Bord zu nehmen, nur damit sie weiterhin die Kabine für sich allein hatte.

      Teris Dankbarkeit, ja, Teris Liebe zu diesem alten Kapitän kannte keine Grenzen. - Was immer sie tat, um das zu vergelten, was dieser Mann für sie getan hatte, mußte Stückwerk bleiben.

      So hatte sie denn in Isco, auf einem ihrer Streifzüge mit Ging, zwei ihrer Bronzestücke geopfert und ein Paar steiflederne Armschienen für den Kapitän besorgt, die ihn bei der täglichen Arbeit an Bord vortrefflich vor Verletzungen schützen würden.

      Der alte Mann war von Teris Geschenk vollkommen überrascht gewesen. Er hatte sich sehr darüber gefreut, das wußte sie, auch wenn er etwas von `Verschwendung' gemurmelt hatte. Und trotzdem war es ein Fehler gewesen, ihm das Geschenk schon in Isco zu geben. Teri hatte damit auf den Beginn ihres Abschieds hingedeutet, und dieser Gedanke bereitete beiden fortan Unbehagen.

      Alles schmeckte, alles roch nach Abschied; alles fühlte sich nach Abschied an. Jedes Essen an Bord war von dem Gedanken an baldige Trennung überschattet, und in jedem Lied der Matrosen schwang Melancholie mit.

      Teri liebte den alten Mann, vertraute ihm, hätte alles für ihn getan, und jede Bewegung der `Sesiol' brachte sie dem Verlust der Geborgenheit näher.

      Der Kapitän reagierte auf seine Weise: Fluchend, schimpfend und unduldsam ging er über das Deck, und niemand konnte ihm etwas recht machen. Seit Isco war nicht mehr mit ihm zu reden, und Tag für Tag wurde es schlimmer. Wie ein gefangenes Tier rannte er gegen die schweren Gitter seiner Liebe zu diesem Kind - denn das war Teri in seinen Augen noch - an, ohne sie jedoch zerbrechen zu können.

      Auch Teri wurde von einer zunehmenden Traurigkeit erfaßt. Die `Sesiol', die fast zwei Jahre lang ihre Heimat gewesen war, stampfte schwer in der nördlichen See. Alles hatte sich verändert.

      Nachdem Tana und Gerit in Tigan verhaftet worden waren, hatte der Kapitän die Stelle ihrer Eltern eingenommen. Er hatte sie versorgt, gekleidet, ernährt und beschützt. Er war für sie dagewesen, wenn sie ihn brauchte, und nun würden sich ihre Wege bald trennen.

      Teri war es, als würde sie ihre Eltern zum dritten Mal verlieren. Fröstelnd saß sie vor der Kabine auf dem Strohsack, den Tana noch gestopft hatte. Sie war fest in ihre Felldecke gehüllt, denn an das raue nördliche Klima mußte sie sich erst wieder gewöhnen.

      Sofort nach der Ankunft in Thedra verließ Teri die `Sesiol'. Nicht nur der Kapitän, sogar die ganze Mannschaft wirkte bedrückt, und alle nahmen Teris Abschied und Dank betreten entgegen.

      Es war seltsam: Da hatte man nun Jahre zusammen verbracht und Wochen vorher schon unter der Trennung gelitten - und jetzt, wo es so weit war, hatte man sich nichts mehr zu sagen. Das gemeinsame Ziel war erreicht. Es gab nichts mehr zu tun. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit war langsam erloschen, und ein jeder würde wieder seiner eigenen Wege gehen.

      Das hatte nichts mit Undank zu tun. Teri würde bei dem Kapitän für immer in tiefer Schuld stehen, das wußte sie genau. Aber die Fahrt auf der `Sesiol' war ein Abschnitt ihres Lebens gewesen, und dieser Abschnitt war nun vorüber. Sobald sie den Boden Thedras betrat, würde sie ein neues Ziel haben.

      Doch was hilft das ganze Wissen um die Unabänderlichkeit einer Situation? Nachdem sich Teri höflich von allen verabschiedet und eine Verbeugung vor dem Kapitän gemacht hatte, fand sie sich doch plötzlich zitternd und schluchzend in den Armen des alten Mannes wieder, der sie trösten mußte wie ein Kind und der doch selbst des Trostes bedurfte.

      So verließ Teri ihre Freunde denn doch, wie man Freunde verlassen soll: Zurückwinkend, mit verheulten Augen und triefender Nase.

      Die erste Person, die Teri auf thedranischem Boden traf, war ein Seiler, der mit seinem Karren voller Taue darauf wartete, dass die Kapitäne bei ihm einkauften. Verwundert und belustigt sah er auf das rotäugige Etwas hinab, das klein und schmächtig, mit einem großen Reisebündel und der darauf festgebundenen Felldecke auf den Schultern, vor ihm stand.

      "Na, Kleine, hast du dich verlaufen?"