Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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aufgelegt. "Ich komme aus Mittelwelt und will zur Wahl der Scharleute!"

      "Wenn du deswegen gekommen bist, dann bist du zu spät dran." Der Händler hatte wohl gemerkt, dass Teri, die in ihrer Kleidung aus Ago recht exotisch aussah, kein Kind mehr war. "Das Fest war vor vier Tagen, und die Wahl ist lange vorbei."

      Die Wahl war gerade gewesen? - Das Fest der Fliegenden Schiffe war vorbei? - Teri konnte es kaum fassen.

      Der Seiler beugte sich vor. "Wo warst du in Mittelwelt?" wollte er wissen. Ich war mal in Mocam, fast schon in Ostwelt! Mocam ist eine ..."

      Teri hörte nicht mehr, was der Mann ihr hatte erzählen wollen. Teri war außer sich. - Um ganze vier Tage hatte sie das Ziel ihres Lebens verfehlt. Abrupt drehte sie sich um und ließ den verdutzten Seiler einfach stehen.

      Das Fest der Fliegenden Schiffe war schon gewesen? Das hieß, sie würde bis zur nächsten Wahl ein ganzes Jahr lang warten müssen. - Ein ganzes Jahr lang warten? - Unmöglich! - Sie wollte Scharfrau werden! Sie war dreizehn und wollte jetzt endlich Scharfrau werden! Athan mußte helfen! Athan hatte Macht. Er hatte ihr schließlich versprochen, dass sie mit den Schiffen fliegen werde.

      Teri überlegte. - Sie kannte den Obmann der Sturmflottenschar kaum. - Sie hatte kein Wohnrecht in Thedra und würde im Fremdenhaus wohnen müssen. - Das war eine schlechte Basis für ein Gespräch mit Athan. - Sie würde also zuerst Tees, den Obmann der Former, besuchen und ihn bitten, ihr das Wohnrecht zu verschaffen. Tees kannte sie. Tees konnte sich nicht weigern. Und wenn sie erst wieder Bürgerin von Thedra war, würde sie Athan aufsuchen und ihn an sein Versprechen erinnern.

      Der erste Tag in Thedra entsprach in keiner Weise den Erwartungen, die Teri daran geknüpft hatte. Es sprach sich nicht wie ein Lauffeuer herum, dass sie wieder da war. Außer ein paar Matrosen, die dem blonden schlanken Mädchen eindeutige Angebote zuriefen, nahm überhaupt niemand Notiz von ihr.

      So war sie mit stolz erhobenem Haupt durch die Straßen von Thedra gegangen, um von Tees, den Obmann der Former, das Wohnrecht zu fordern.

      Jetzt saß sie ihm in seiner Werkstatt gegenüber und hatte ihren Bericht über den unglückseligen Ausgang der Reise beendet. Tees hatte ab und an bedauernd den Kopf gewiegt.

      Teri war erleichtert, dass er nicht mit Selbstgerechtigkeit reagierte, denn tatsächlich hatte er ja vor den Risiken der Fahrt gewarnt. Hätte er auch nur den geringsten Anschein von Zufriedenheit über die Richtigkeit seiner Prognose erkennen lassen, wäre Teri ihre Bitte nicht über die Lippen gekommen. So aber fragte sie ihn frei heraus, ob sie wieder im Formerfelsen wohnen könne.

      "Ich habe keine Bleibe für dich." Tees schüttelte bedauernd den Kopf. "Als Tana sich damals von Stadt und Zunft losgesagt hat, hast auch du dein Wohnrecht hier im Felsen verloren."

      Teri wollte aufbegehren, aber Tees hob beruhigend die Hand. "Du bist zwar eine Fremde in dieser Stadt, aber ich werde mich für dich verwenden. Wenn du bereit bist, das Formerhandwerk zu erlernen, kann ich den König bitten, dir dein Wohnrecht zurückzugeben. Du würdest dir dann hier im Felsen mit mehreren jungen Frauen zusammen eine Wohnung teilen. Dein Vater war ein guter Former, und auch deine Mutter hatte sehr viel Talent. - Ich bin sicher, dass eine gute Kannenmacherin aus dir werden kann!"

      Dieses Kompliment des Obmanns klang wie Hohn in Teris Ohren. Kannenformerin sollte sie werden! - Eine bleiche Höhlenschnecke, die beim Licht einer Öllampe mit kalten Tonbrocken hantiert, bis irgendwann ihr armseliges Lebenslicht erlischt. - Was für eine Zumutung!

      "Ich will Scharfrau werden." Nicht trotzig und auch nicht bittend kamen diese Worte aus Teris Mund. Es war nur die Feststellung einer Tatsache.

      Tees lächelte. "Nun, Teri, da hast du ein hohes Ziel! - Scharfrau zu werden ist das Ziel vieler Mädchen unserer Stadt, und ich wünsche dir viel Glück bei deinem Vorhaben. Bedenke aber, dass du zuerst das Wohnrecht in Thedra erhalten mußt, bevor du dich zur Wahl stellen kannst."

      Teri nickte. "Ich werde mich an Obmann Athan wenden. - Er hat mir sein Wort gegeben, dass ich mit den Schiffen fliegen werde."

      "Wann war das?"

      "In dem Jahr, als meine Eltern ermordet und beraubt wurden."

      "Das ist lange her, Teri. Aber Athan ist ein Mann von Wort. Versuch nur, ihn an sein Versprechen zu binden. - Aber wenn er sich nicht erinnert ..."

      "Komme ich zu dir und werde Kannenformerin." Teri stand auf.

      "Gut!" Tees war zufrieden. Er mochte diese junge Frau, die so selbstsicher auftrat und ihre Wünsche so bestimmt vorbrachte. "Ich wünsche dir für dein Vorhaben alles Glück und den Segen der Götter!"

      "Danke, Obmann!" Teri verbeugte sich und ging hinaus.

      Athan mußte helfen! Entschlossen machte sich Teri auf den Weg zur Königsklippe, in deren unterem Teil die Scharleute mit ihren Familien wohnten.

      Athan, Obmann der Scharkapitäne, war gleichzeitig der Kommandant des königlichen Schwalbenschiffes `Diamant'. Acht Jahre lang war er für Thedra bereits auf Schiffen der Edelsteinklasse gefahren, bevor er auf diesen Posten berufen worden war. In dieser Zeit hatte er den ganzen Kontinent bereist, ja sogar umrundet.

      Im Jahre siebzehn der Herrschaft Reos, hatte der König ihn und eine erfahrene Mannschaft als Geleitschutz für eine große Expedition abkommandiert, die den offiziellen Auftrag hatte, die Küsten von Ostwelt neu zu vermessen. Ein weiterer, wesentlicher Zweck der Fahrt war es gewesen, Verbindungen zu den Seidenmanufakturen von Ostwelt herzustellen, um auch hier das Transportmonopol der Dramilen zu brechen.

      Athan war damals Kommandant der `Achat' gewesen. Er hatte die Mannschaft verstärkt, so dass die Achat notfalls monatelang ununterbrochen fliegen konnte. Ferner hatte er ein Mehrfaches der üblichen Proviantmenge aufgenommen und natürlich auch die Bewaffnung optimiert: Ein zweiter Stahlfeuerbogen war auf das Deck montiert worden und in den gepolsterten Truhen lagen fünfzig Glashohlpfeile bereit.

      War die Expedition, die aus drei Schneckenschiffen und der `Achat' bestand, damals im Frühjahr in Richtung Süden aufgebrochen, um das stürmische Kap Tigan im dortigen Frühling zu passieren, so hatte sie im Verlauf des thedranischen Winters die Große Bucht durchquert. Die Große Bucht, das gewaltige Meer, das den Kontinent bis hoch hinauf in den Norden fast zur Gänze durchschnitt, stellte besondere Anforderungen an die Navigationskunst. Hier hatte sich der Konvoi von der Küste entfernen müssen, um nach fünfzig bis sechzig Tagen auf das Kap Mocam, die Südspitze von Mittelwelt zu stoßen. Aber die Götter waren gnädig gewesen, und die sternklaren Nächte hatten es den Kapitänen leicht gemacht, jede Nacht den Kurs neu zu bestimmen.

      Zwischen dem Kap Mocam und der Ostinsel Gasca hatten fünf Finderschiffe auf die Expedition gewartet. Die drei Schneckenschiffe schienen ein leichtes Opfer zu sein, und aus Beutegier und Konkurrenzneid setzten die dramilischen Finder alles daran, die thedranischen Frachter zu vernichten.

      Ganz offensichtlich waren die Expedition und ihr eigentlicher Zweck verraten worden. Lediglich Kapitän Athan und seine `Achat' waren der Preisgabe der thedranischen Pläne entgangen.

      So hatten sich die Finder in ihrer eigenen Falle gefangen. Als die `Achat' die ersten beiden Schiffe des kleinen Flottenverbandes in Brand geschossen hatte, waren die Kapitäne der drei anderen Finderschiffe zu der plötzlichen Einsicht gelangt, dass es doch eigentlich ziemlich gleichgültig sei, dass die Thedraner das Seidenmonopol brechen wollten. In heilloser Flucht hatten sie ihre Schiffe in die Klippenfelder vor der Küste von Mocam getrieben. Dorthin hatte das fliegende Schiff, das nur mit hoher Geschwindigkeit weiträumige Manöver durchführen konnte, sie nicht verfolgen können.

      Ganze zwölf Tage hatte Kapitän Athan, ständig kreuzend, vor dem Klippenfeld ausgeharrt, dann hatte ein knapp unter Wasser treibendes Wrackteil das Ruder der `Achat' schwer beschädigt. Zwei der Finder waren in dieser Zeit an den Riffs zerschellt und gesunken. Den letzten hatte man allerdings, in der Hoffnung, dass auch er nicht mehr aus den gefährlichen Gewässern herausfinden würde, ungeschoren zurücklassen müssen, denn die `Achat' hatte wegen ihres Schadens nicht mehr präzise navigieren können und mußte im Südhafen von Gasca repariert werden.

      Nun