Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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und zu den Westlichen Inseln zurückzukehren. Mit diesem ersten Schiff, das den thedranischen Scharleuten je hatte entrinnen können, waren erste Berichte über die Kampftechnik der Fliegenden Schiffe nach Sordos gedrungen.

      Das Schiff, das jene denkwürdige Fahrt überstanden hatte, war die Große Geliebte unter Kapitän Sed eb Rea gewesen, und seitdem war der bullige Dramile von der Idee besessen, Thedra einzunehmen und die Geheimnisse der fliegenden Schiffe zu ergründen.

      Athan konnte seine Mission damals jedenfalls zufriedenstellend beenden. Die drei Schneckenschiffe gelangten unter seinem Schutz unangefochten bis Inchin, der Hauptstadt von Inchinem, dem Seidenland.

      Die Inchinem waren freundliche und geschäftstüchtige Leute. Sie waren hocherfreut gewesen, andere Handelspartner als die Dramilen kennenzulernen, und so war der Konvoi bald mit Seidenballen beladen weitergesegelt.

      Da es in Thedra um diese Zeit tiefster Winter sein mußte, hatten die Kapitäne die nördliche Route gewählt, um den arktischen Sommer auszunutzen, denn die Fahrt von Inchinem bis zum Kap Ibir dauerte über einhundert Tage. Ab Ibir war es dann noch einhundertdreiundvierzig Tage lang westwärts gegangen, bis schließlich an Backbord die Klippen von Thedra auftauchten. Da war Athan aber schon mit der `Achat' vorausgefahren, und den Heimkehrern konnte ein triumphaler Empfang bereitet werden.

      Als wenige Monate darauf der Posten des Kommandanten der `Diamant' vakant wurde, war die Ernennung Athans nur noch eine Formsache gewesen. Als Kapitän des königlichen Großschiffes war er gleichzeitig Oberbefehlshaber der Schwalbenflotte und Obmann der Kapitäne geworden.

      Nun wurde die `Diamant' vor allen Dingen für Kurierdienste eingesetzt, und da es zwischen König Reo und dem Kaiser zurzeit keinerlei Unstimmigkeiten gab, lag sie die meiste Zeit im Schwalbenhafen von Thedra. Athan war mehr und mehr zu einem Verwaltungsbeamten geworden, der sich im wesentlichen darauf konzentrierte, die ewigen Streitigkeiten zwischen den Schiffsbauern und den Kapitänen zu schlichten. Das war es nun nicht gerade, worin er den Sinn seines Lebens hätte finden können, und fast jeden Abend kehrte er verdrossen aus dem Schwalbenhafen in seine Wohnung zurück.

      Er hielt dieses Leben eines Seemanns für unwürdig und hatte König Reo schon mehrfach um seine Versetzung gebeten. Da er andererseits seinen Posten aber hervorragend ausfüllte und zum erstenmal seit langer Zeit die Zänkereien zwischen den Zünften abebbten, konnte Thedra auf seine Dienste vorläufig nicht verzichten.

      An diesem Abend kam er wie üblich müde und verärgert vom Schwalbenhafen zurück, als er, kurz vor der Königsklippe, von einer sehr jungen Frau angesprochen wurde.

      "Athan!"

      Unwillig schaute Athan sich nach der Sprecherin um. Es war den Bürgern verboten, Scharleute anzusprechen. Zu viele Geheimnisse kannten die Kapitäne und Mannschaften der Fliegenden Schiffe. Da ging es nicht an, dass jeder Beliebige sich ihnen mit unwichtigen Dingen näherte und sie in Gespräche verwickelte.

      "Willst du bestraft werden?" Athan wollte weitergehen.

      "Ich kann nicht bestraft werden, Athan!"

      Der Obmann blieb stehen. "Geh nach Hause, oder ich lasse dich von der Wache holen!"

      "Ich bin Scharfrau!"

      Das war nun wirklich eine gewagte Behauptung. Athan kannte selbstverständlich alle Mitglieder seiner Zunft, und diese junge Frau gehörte eindeutig nicht dazu. Er überlegte kurz, ob er es vielleicht mit einer Irren zu tun habe.

      "Ich bin Scharfrau, weil du es mir versprochen hast", fuhr die Fremde fort. "In dem Jahr, als ich meine Eltern verlor!"

      Athan runzelte die Stirn. Dunkel erinnerte er sich. Das Fest der Fliegenden Schiffe - vor fünf Jahren etwa! Ein kleines, dünnes Mädchen, das sich zwischen den Beinen der Erwachsenen zur Bühne durchgekämpft hatte. - Ein verächtlich gezischter Satz, der sich auf einen viel zu dicken Bewerber bezog ...

      "Du wirst mit den Schiffen fliegen!" Trotzig stieß die Fremde den Satz hervor. "Erinnerst du dich nun an dein Versprechen?"

      "Ja, ich erinnere mich! - Bewirb dich im nächsten Jahr! Du hast einen straffen Körper und einen kühnen Geist! - Ich bleibe dabei. - Du wirst mit den Schiffen fliegen!" Athan wandte sich ab und wollte weitergehen.

      "Ich bin in Not." Mehr sagte Teri nicht. Mehr gab es nicht zu sagen.

      Der Obmann sah sie nachdenklich an. In seiner Funktion wurde er oft um Rat angegangen. Möglich, dass diese junge Frau wirklich Hilfe brauchte ... "Komm mit - in meine Wohnung." Athan ging voraus, gefolgt von Teri, die sich plötzlich fragte, ob sie nicht vielleicht doch zu kühn gewesen sei.

      Teris Bedenken waren umsonst gewesen. Nicht nur, dass der Obmann sich ihr gegenüber außerordentlich freundlich zeigte, auch seine Frau erinnerte sich noch genau an den kleinen Vorfall auf dem Fest der Fliegenden Schiffe. Teri wurde von den beiden zum Essen eingeladen und mußte ihre Geschichte von Anfang bis Ende erzählen.

      Sowohl Athan wie auch seine Frau waren von dem Mut und der Zähigkeit, die diese junge Frau in ihrem Leben schon bewiesen hatte, beeindruckt, hielten sich in ihren Äußerungen aber zurück.

      Teri verschwieg auch nicht, dass sie ihr Wohnrecht in der Stadt verloren hatte und fast ohne Mittel dastand. Lediglich das Angebot von Tees erwähnte sie nicht ausdrücklich. - Sollte Athan nur glauben, dass ihr ohne seine Hilfe eine Zukunft am Bettelstab bevorstand.

      Als Teri geendet hatte, ertönte das erste Hornsignal der Verkünder. Sie würde bald aufbrechen müssen, um rechtzeitig ins Fremdenhaus zu gelangen.

      Athan hatte noch nicht reagiert. Teri wurde nervös. - Wenn er sie jetzt einfach so gehen ließ, würde es keinen Sinn haben, ihn je wieder anzusprechen. - Und noch immer ließ der Obmann keine Reaktion erkennen.

      "Ich muß gehen." Teri schämte sich, um einen Posten als Scharfrau gebeten zu haben, wie ein Bettler um Brot. Natürlich gab es keinen Weg! Selbst wenn Athan ihr hätte helfen wollen, er würde sich doch an das Gesetz halten müssen. Es gab keinen Weg! Teri hatte ja noch nicht einmal das Recht, sich Bürgerin von Thedra zu nennen. Im Fremdenhaus mußte sie übernachten, wenn sie sich nicht strafbar machen wollte.

      Teri stand auf. "Danke für eure Gastfreundschaft. Danke, dass ihr mir zugehört habt." Höflich verbeugte sie sich vor Athan und seiner Frau und wandte sich zum Gehen.

      Sie fühlte, wie Mut und Hoffnung sie verließen, und zum zweitenmal an diesem Tag stiegen ihr Tränen in die Augen. - Es beweint sich eben kein Schicksal so gut wie das eigene.

      Teri beschloß blitzschnell, zum Abschied ein Bild des Jammers zu bieten und machte sich schnell ein paar trübe Gedanken. - Jetzt war alles verloren! Sie würde als Kannenmacherin ihr Leben im Formerfelsen verbringen. Ihre Haut würde bleich und ihre Augen würden trübe werden. Mit kalten, glitschigen Fingern würde sie Kanne um Kanne formen, bis ein gnädiger Tod sie endlich von ihren Qualen erlöste.

      Es wirkte! - Auf ihrem Weg zur Tür mußte sie plötzlich tief und schluchzend Luft holen. Das Geräusch hing wie eine Anklage an den ungetreuen Obmann im Raum, der durch die Welt ging und kleinen Kindern leere Versprechungen machte. Es war tragisch! Es war dramatisch! - Es war eine tolle Vorstellung!

      "Teri!"

      Langsam, mit hängenden Schultern, drehte Teri sich um. Jetzt nur nicht übertreiben, was immer der Obmann auch sagen würde.

      "Wieviel Geld hast du noch?"

      "Acht", Teri mußte sich räuspern, "...acht Bronzestücke, Obmann."

      "Gut!" Athan schien zufrieden. "Damit kommst du erstmal aus. - Komm übermorgen zur Zeit der Tagteilung zum Tor des Schwalbenhafens. Dort wirst du Bescheid erhalten. - Aber mach dir nicht zu große Hoffnungen. Ich habe da eine bestimmte Idee, aber ich will nichts ohne die anderen Kapitäne entscheiden."

      "Übermorgen", wiederholte Teri mit leiser Stimme und einem scheuen Lächeln. "Ich werde dort sein." Dann ging sie und schloß leise die Tür hinter sich.

      Auf dem Hauptgang des Königsfelsens nahm Teri sich noch zusammen, aber als sie die Wachen am Eingang passiert hatte, konnte sie nicht verhindern,