Uwe Siebert

Der Gott des Krieges


Скачать книгу

außergewöhnliche Fähigkeiten:

      

       Unsterblichkeit, einer der größten Wünsche der Menschen. Insbesondere jener, die nach mehr streben als in einer natürlichen Lebensspanne zu erreichen wäre. Und ebenso all derer, die ihre fleischliche Existenz als etwas Einzigartiges und unschätzbar Wertvolles erkannt hatten.

      

       Schiere Unverwundbarkeit – von denen herbeigesehnt, die den Klingen und Klauen ihrer Gegner niemals unterliegen wollten.

      

       All jene, denen diese Gaben zuteil wurden, nannten sich Kinder der schwarzen Sonne.

      

       Für die Menschen, waren sie die Götter ihrer Zeit.

      

       Seit jeher suchte die Kinder der schwarzen Sonne ein Hunger heim, den kein anderes Lebewesen kennen konnte – der Hunger nach der Energie des Lebens.

      

       Sie zehrten von der Lebenskraft der Menschen und Tiere, und brachten ihnen den Tod.

      

       Dennoch wurde Larkyen, dem Sohn der dritten schwarzen Sonne, viel Ruhm unter den Menschen zuteil.

      

       Gefürchtet als Rächer und verehrt als großer Krieger, zog er durch die Welt, in dem Wissen, dass seine Geschichte für die Ewigkeit bestimmt war …

      Prolog

      Über den Ufern des Kharasees kreisten die Aasvögel. Immer wieder ließen sie sich am Boden nieder, um ihren Hunger auf einem Feld aus totem Fleisch zu stillen. Hunderte kedanische Krieger lagen hier mitsamt ihren Reittieren seit dem Ende des letzten Herbstes und verrotteten. Schon nächsten Sommer würden außer Waffen und Rüstzeug nur noch sauber abgefressene Gebeine zurückbleiben. Und an all jene, die einst für große Kriege geboren wurden, würde man sich im Norden der Welt nur noch in Geschichten erinnern.

      Die schimmernden Raubtieraugen des Riesen beobachteten lange Zeit dieses Feld der höchsten Ehre. Das letzte Mal, als er hier gewesen war, hatten gewaltige Gletscher diesen Teil der Welt unter sich erdrückt. Zurückgeblieben war eine endlos erscheinende Steppenlandschaft, die von den Stämmen der Majunay bewohnt wurde.

      Nahe dem Wasser erspähte er eine kleine Gruppe von fünf Majunay, die zwischen den Toten umherstreiften. Sie fledderten die Leichen derer, die sie früher zu Recht gefürchtet hätten. Er musterte sie voller Abscheu. Ihrer Gier nach schienen sie nicht den Nomadenstämmen anzugehören, sondern zu lange in zwielichtigen Vierteln einer Stadt zugebracht zu haben. Ihre Körperhaltung, ihr Gang, ihre schlaffen Muskeln, all das wies sie als geschwächte Existenzen der Zivilisation aus. Längst hatten sie sich von der Natur ihrer Art entfernt.

      Nur den Starken gebührte Ehre, nur den Starken gebührte das Leben, alles andere war für die Vernichtung bestimmt.

      Zu lautlos für eine Gestalt seiner Größe bewegte sich der Riese vorwärts auf seine auserkorenen Opfer zu. Die Plünderer bemerkten ihn erst, als es zu spät war.

      Angst stand ihnen in die Augen geschrieben, als er einen von ihnen mit seinen großen Händen packte und in die Höhe hob. Durch die bloße Berührung zerfiel der schwächliche Leib binnen eines Atemzuges zu Staub. Die anderen Plünderer teilten dasselbe Schicksal. Der Wind blies ihre Überreste in feinen Wolken über die ruhigen Gewässer des Kharasees hinweg.

      Fünf Männer, fünf Leben, deren Kraft – so gering sie auch war, nun den mächtigen Leib des Riesen erfüllte.

      Das Getrappel von Hufen erklang. Der Riese wand sich witternd dem Geräusch entgegen. Zwei Dutzend Soldaten der Majunay, die das Banner des schwarzen Drachen auf rotem Tuch mit sich führten, ritten auf ihn zu.

      Sie trugen schwarze Rüstungen aus leichtem Metall, ihren drahtigen Leibern in eleganter Form angepasst. Eiserne Masken bedeckten ihre Gesichter und imitierten durch filigran gearbeitete Konturen unmenschliche Züge.

      Die Soldaten dieses Landes galten als gute Krieger. Es hieß, sie seien weise und wüssten die Stärke ihrer Gegner gut einzuschätzen. Dennoch begingen sie den Fehler, ihre Waffen zu ziehen …

      Der Kampf dauerte nicht lange, dann war alles vorbei. Der Riese stand inmitten der Überreste von dreiundzwanzig toten Soldaten, deren Fleisch dem Getier frische Nahrung bieten würde.

      Die hinter Eisenmasken verborgenen Gesichter mochten noch von der Ehrfurcht zeugen, die sie im Moment ihres Todes empfunden hatten, als sie erkannten, wem sie da gegenüberstanden.

      Ihm, der einst begonnen hatte zu atmen, während die Sonne in der Geschichte der Welt zum ersten Mal schwarz wurde. Ihm, mit Namen Nordar, den die Menschen des hohen Nordens als den Gott des Krieges verehrten.

      Nur einen von ihnen hatte Nordar am Leben gelassen. Er hob den verwundeten Mann zwischen den Überresten seiner gefallenen Kameraden hervor und sah ihm tief in die Augen. Lange war es her, dass die Lippen des Kriegsgottes Worte geformt hatten. Seine Stimme klang mehr wie ein Grollen, während er sprach: „Soldat, nenne mir deinen Namen.“

      Der Verwundete wandte seinen Blick ab und gab winselnd Antwort: „Hauptmann Ahiro, von den Reitern des schwarzen Drachen.“

      „Hauptmann, ich grüße dich. Ist dir dieses Schlachtfeld bekannt? Gehörst du zu denen aus deinem Volk, die hier letzten Herbst gegen das kedanische Heer kämpften?“

      Hauptmann Ahiro nickte zaghaft.

      „Kämpfte ein Krieger an eurer Seite, dessen Kampfkraft die eines gewöhnlichen Menschen übertraf?“

      „Ja!“

      „Wie sah er aus?“

      „Er war westlicher Herkunft. Es hieß, er sei ein Kentare. An seiner linken Hand trug er ein dunkles Mal, eine lodernde Sonne. Und seine Augen waren wie deine.“

      „Wie lautete der Name dieses Kriegers?“

      „Er hieß Larkyen.“

      Nach dieser Antwort zerfiel der Leib des Hauptmanns zu Staub und bröselte auf die Rüstungen seiner gefallenen Kameraden hinab.

      

      

      Kapitel 1 – Im Reich des Löwen

      Zwanzig Tage waren vergangen, seitdem Larkyen begonnen hatte, von Norden aus an der Grenze von Majunay entlang zu reiten. Die zerklüftete Berglandschaft grenzte zum Westen hin an das raue Land Kanochien, das sich über einen Teil des beinahe endlos erscheinenden Altoryagebirges hinweg erstreckte. Die felsigen Regionen boten nicht viel Raum für Zivilisation. Nur wenige Siedlungen, hatten die Kanochier inmitten eines von harten Wintern gepeinigten Hochlandes gründen können.

      Der Pass nach Westen war ein gefahrvoller Weg, doch Larkyens kedanisches Pferd erwies sich als ausdauernd und zuverlässig. Und längst hatte er eine Art Zuneigung zu dem riesenhaften Ross entwickelt.

      Er war stets wachsam, und seine Sinne so scharf wie die besten Klingen der Völker des Ostens. Immer wieder spähte er unter der Kapuze seines weiten Umhangs auf die umliegenden Felsgipfel.

      Bei den wenigen Menschen, die ihm bisher begegnet waren, handelte es sich meist um zwielichtige Händler. Sie alle hatten Larkyen gemieden, denn auch wenn sein Leib wie der eines Menschen aussah, so war er doch keiner.

      Schulterlange kastanienbraune Haare umrahmten sein kantiges Gesicht, das die Augen eines Raubtiers barg. Unter den dichten Brauen schimmerten sie auf fremdartige Weise in dunklem Grün. Seine Haut war glatt und frei von Makeln und erinnerte an das Antlitz einer marmornen