Uwe Siebert

Der Gott des Krieges


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Jahr für den Stamm der Oyenki und auch für viele andere Stämme werden. Seitdem du, Larkyen, die nordischen Horden zurückgeschlagen hast und Majunay den Frieden wiederbrachtest, hofften wir alle auf eine bessere Zukunft. Doch wir sollten uns irren. Unsere Heimat ist im Begriff, sich zu verändern. General Sandokar hat sich selbst zum Großfürsten des Landes ernannt und lässt seine Truppen aufstocken. Der Großfürst will ein starkes Majunay, zu dessen Sicherheit und Wehrhaftigkeit jeder seinen Beitrag leisten soll. Er hat eine Wehrpflicht eingeführt, die jeden Mann im Alter von fünfzehn bis fünfunddreißig auferlegt, seinem Land als Soldat zu dienen.

      Es gibt jedoch die Möglichkeit, sich von dieser Pflicht freizukaufen. Deshalb ist der Stamm der Oyenki nach Kanochien gekommen. Wir ließen Yenovar, der vor langer Zeit zu Sandokars Reitern gehörte, am Wettstreit um den Löwen von Kanochien teilnehmen. Morgen früh wird Yenovar seinen Preis, die Augen des Löwen, in Empfang nehmen. Dann können wir mit den beiden Rubinen zurück in unsere Heimat und unseren gesamten Stamm über Generationen hinweg vor der Wehrpflicht bewahren.“

      Larkyen konnte kaum glauben, was er da hörte. Seit jeher war Majunay die Heimat der Nomadenstämme gewesen, die in Freiheit und Frieden durch die fast endlosen Weiten der Steppe zogen. Doch die Weisungen aus Dakkai, der einzigen Großstadt des Landes, würden das Gesicht dieser außergewöhnlichen Kultur verändern.

      Ein Teil von Larkyen würde diesen Wandel bedauern, ein anderer Teil von ihm jedoch begrüßte die wachsende Wehrhaftigkeit des Landes. Mit Völkern verhielt es sich wie mit den Lebewesen in der Natur – jedes von ihnen wurde mit einem Überlebenstrieb geboren, und zu diesem Trieb gehörte auch die Fähigkeit, sich härteren Zeiten anzupassen.

      „Yenovar!“ rief es plötzlich aus der Ferne. Ein Majunay in einem weißgrauen Schafsfellmantel kam zum Feuer gerannt. In seinem Gesicht zeichnete sich Besorgnis ab. Außer Atem stützte er die Hände auf seine Knie.

      Yenovar erhob sich vom Feuer und legte dem Neuankömmling beruhigend eine Hand auf die Schulter.

      „Was ist geschehen?“ fragte er.

      „Yenovar“, keuchte der Majunay, „wie du es mir aufgetragen hast, beobachtete ich das Lager der Zhymaraner. Sieben von ihnen sind zum Lager der Kedanier aufgebrochen und wurden von Kverian empfangen. Ich bin ihnen unauffällig gefolgt. Ich glaube sie führen etwas im Schilde.“

      „Einer Zusammenkunft von Kedaniern und Zhymaranern haftet stets etwas Unheilvolles an“, sagte der Häuptling der Oyenki. „Doch wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.“

      „Trotzdem bin ich in Sorge, mein Häuptling“, sagte Yenovar, „Denn noch immer hassen sie unser Volk. Noch immer streben sie nach einem Krieg gegen jeden einzelnen Majunay. Früher oder später werden sie uns angreifen.“

      Im faltigen Gesicht des Häuptlings spiegelte sich Skepsis wieder. „Sie mögen kriegerisch sein, doch Kanochien ist neutraler Boden. Und die Zhymaraner hingegen wurden das erste Mal zum Fest geladen. Denkst du nicht auch, dass sie den Frieden wahren?“

      „Die Fehden zwischen unseren Völkern sind schon zu alt und die Narben zu tief, als das es noch möglich wäre, Frieden zu schließen. Völlig egal, wer unseren Stamm angreift, wir haben ihnen nichts entgegenzusetzen. Ich bin der Einzige unter den Oyenki, der zum Kampf ausgebildet wurde, und ich kann nicht einen ganzen Stamm beschützen.“

      „Sie werden euch nicht angreifen, solange ich in eurer Nähe bin“, sagte Larkyen. „Morgen, nach der Übergabe der Augen des Löwen, reist ihr zurück in eure Heimat. Ich begleite euch bis an die Grenzen Majunays, und sie werden es nicht wagen, die Grenze eurer Heimat zu passieren. Doch für die Zukunft rate ich euch: Erlernt den Umgang mit der Waffe. Seid fähig, für euch zu kämpfen und zu töten.“

      „Wir Nomaden sind keine Krieger“, seufzte der Häuptling.

      „Dennoch könnt ihr nicht Zeit eures Lebens auf die Hilfe der Götter vertrauen. Denn auch die Götter sind Fleisch und Blut und können nicht an jedem Ort der Welt zugleich sein. Darum beschwöre ich euch: Lernt euch zu verteidigen, oder ihr werdet untergehen. Diese Zeit duldet keine Schwachen.“

      Larkyens Worte klangen hart, aber wahr. Er wünschte dem Stamm der Oyenki, dass seine Männer, Frauen und Kinder von der Erfahrung verschont blieben, die Larkyen machen musste, ehe er als Unsterblicher vom Tode auferstanden war.

      „Da ist noch etwas Merkwürdiges“, sagte Yenovar und zog sämtliche Blicke auf sich. „Die rote Blitzrune auf Kverians Stirn weist ihn als einen Kriegsschamanen aus. So nennt man jene Kedanier, die den Pfad des Kriegers und des Schamanen in sich vereinen. Dennoch, im Zweikampf hätte ein Mann wie er selbst jemanden mit deiner Macht bis zu seinem eigenen Tod bekämpft. Und dass er sich nach einer öffentlichen Niederlage einfach so zurückzieht, sieht ihm nicht ähnlich.“

      Nun erhob sich Larkyen vom Feuer und verkündete: „Wenn die Nacht hereinbricht, werde ich herausfinden, was im Lager der Kedanier geschieht und ob euch Gefahr droht.“

      Keiner vom Stamm der Oyenki wagte es, Larkyens Plan als leichtsinnig oder gar größenwahnsinnig zu bezeichnen. Für sie war er ein Gott. Die Krieger des Nordens würden seine Anwesenheit gar nicht bemerken, denn ihre Sinne waren die von Menschen.

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