Uwe Siebert

Der Gott des Krieges


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einst, vor über zwanzig Wintern, war Larkyen im Schein einer schwarzen Sonne geboren worden. Und wie alle, die in ihrer Finsternis zu atmen begonnen hatten, besaß auch er außergewöhnliche Gaben. Doch neben der gewaltigen Körperkraft, die seinen drahtigen Leib erfüllte, den Selbstheilungskräften und der ewigen Jugend, war die Gabe, die Kraft anderer Lebewesen aufzunehmen und sie als die eigenen zu gebrauchen, die unheimlichste seiner mannigfaltigen Fähigkeiten. Trotzdem konnte er nicht verleugnen, wie sehr er seine übernatürliche Macht genoss.

      Das Ziel seiner Reise, war das Land Kentar. Die Heimat seiner Vorväter, gelegen im Westen der Welt. Der Weg dorthin war weit, aber Larkyen gelangte schneller voran, als es ein Mensch je hätte schaffen können. Längst verspürte er nicht mehr den Drang, essen, trinken oder schlafen zu müssen, denn der Leib eines Kindes der schwarzen Sonne benötigte nichts dergleichen. Eine Rast legte er nur ab und zu seinem Pferd zuliebe ein, und der kräftige Hengst benötigte davon nur wenig.

      Schon zum nächsten Herbst hin, so hoffte Larkyen inständig, würde er endlich die Heimat seines Volkes mit eigenen Augen erblicken können. Oftmals versuchte er sich in Gedanken auszumalen, wie das kleine Land an den Ufern des grauen Meeres heute wohl aussah.

      Wie tief mochten die Spuren sein, die der einst im Westen herrschende große Krieg hinterlassen hatte?

      Vor wenigen Tagen hatte endlich das Tauwetter eingesetzt. Der Schnee schmolz vereinzelt und legte mit Felsgestein durchsetzte Wiesen frei. In großer Zahl plätscherten Bäche an den umliegenden Hängen hinab.

      Am Rande eines lichten Waldstücks legte Larkyen die erste Rast in Kanochien ein. Und während das Pferd graste, wollte sich Larkyen wieder einmal in der Kampfkunst üben.

      Er zog sein Schwert aus der Scheide. Die magische Klinge trug den Namen Kaerelys und glitzerte auf unnatürliche Weise in kühlem Blau. In Larkyens Händen war jene Waffe ein verheerendes Werkzeug der Massenvernichtung.

      Während sich der Blick seiner Raubtieraugen auf dem makellosen Stahl widerspiegelte, hörte er im Geiste wieder die Todesschreie seiner Feinde. Mit dem Schwert in der Hand, vollführte er einen Tanz tödlicher Präzision. Dabei achtend auf Haltung, Angriff und Verteidigung. Seine Bewegungen verursachten nicht den geringsten Laut. Wäre er beobachtet worden, hätten die anderen lediglich einen rasenden Schatten inmitten der Wildnis erblickt und einen immer wieder durch die Luft fahrenden blauen Blitz.

      Mit Ehrerbietung dachte er bei jeder seiner Übungen an seinen Lehrmeister Khorgo zurück, einen Veteranen der Reiterhorden Majunays. Vieles hatte Larkyen durch ihn in der Kampkunst erlernt. Und bereits als er das erste Mal ein Schwert in die Hand nahm, wusste er, dass er für den Kampf bestimmt war: Der Umgang mit der Waffe und das Töten des Feindes waren für ihn nichts, woran er sich erst hätte gewöhnen müssen.

      Vielleicht lag ihm der Kampf tatsächlich im Blut, wie der Lehrmeister an jenem Tage gesagt hatte. Dennoch galt es für ihn, im Streben nach stetiger Verbesserung, die erlernte Kampfkunst auch weiterzuentwickeln.

      Denn jene, die nicht strebten und sich jeglicher Entwicklung verschlossen, würden an ihrem eigenen Stillstand zugrunde gehen. – Eine Weisheit der Krieger.

      Ein plötzliches Knacken im Unterholz ließ Larkyen innehalten. Sein grasendes Pferd wurde unruhig und schnaubte. Beinahe zeitgleich hatten sie etwas gewittert.

      Das Knacken wurde lauter, kam näher und näher. Ein Bär, bei weitem größer als seine Artgenossen in den Wäldern der Täler, zeigte sich zwischen den Bäumen. Grauweiße Streifen, mit denen das braune Fell durchsetzt war, ließen ihn als einen der gefürchteten Gebirgsbären erkennen. Es gab Berichte, dass diese mächtigen Raubtiere nicht davor zurückschreckten, in ihrem Hunger nach Beute, sogar Handelskarawanen der Menschen anzugreifen.

      Noch im selben Moment brach der Bär durch das Dickicht und sprintete auf das Pferd zu. Abwehrend bäumte sich der Hengst auf, trat mit den Vorderhufen. Getroffen wich das Raubtier zurück. Mit einer seiner furchteinflößenden Tatzen, holte es zum Schlag aus. Die Krallen würden dem kedanischen Hengst eine verheerende Wunde reißen, die früher oder später unweigerlich zum Tod führte.

      Jetzt stellte sich Larkyen dem Raubtier in den Weg. Das Schwert würde er nicht brauchen. Er sah dem Bär nur in die Augen. Das Tier knurrte, senkte die Tatze wieder.

      „Ruhig“, flüsterte Larkyen.

      Vorsichtig bewegte er sich auf den Giganten zu, spürte dessen heftige Atmung im Gesicht. Das riesige Maul öffnete sich kurz. Lediglich ein Bissen von ihm würde genügen, um den Kopf eines Menschen zu verschlingen.

      Doch längst hatte der Gebirgsbär in Larkyen ein übernatürliches Wesen erkannt. Tiere wussten instinktiv, wann sie sich einem überlegenen wie auch gleichartigen Geschöpf gegenübersahen.

      Und so streckte der Unsterbliche seine Hand zu einer Berührung aus, die das eben noch so gefährliche Raubtier über sich ergehen ließ. Das Fell war dick und buschig, die Muskeln darunter hart. Larkyen fühlte den Herzschlag des Bären in seinen Fingerspitzen. Die Lebenskraft des Raubtiers war beeindruckend. Larkyen hätte sie in diesem Augenblick nehmen können, doch nur ungern wollte er einem Tier den Tod bringen.

      Es waren die Tiere, die sich ihrer Natur anpassten, mit ihr im Einklang lebten und ihrer Bestimmung nachkamen. Larkyen bewunderte sie dafür, und darum verdienten sie das Leben mehr, als manche unter den Menschen.

      Als er seine Hand zurücknahm, zuckte der Gebirgsbär für einen Moment zusammen. Noch einmal wandte er seinen rundlichen Kopf zu dem Pferd, das sich abermals aufbäumte, bevor er sich in den Wald zurückzog.

      Larkyen sah der Größten aller Bärenarten noch lange nach.

      Die Umgebung wurde mit dem Verlauf des weiteren Weges immer ebener. Die wenigen Wiesen waren hier zumeist von hüfthohen Steinmauern umgeben, um die Kühe und Schafe, denen sie als Weideland dienten, beisammen zu halten.

      An einer der Mauern stand ein Hirte und winkte Larkyen zu. Der Mann schien von Alter und schwerer Arbeit gebeugt. Sein bis zum Kinn hochgezogener Wollumhang schützte ihn vor der Kälte und betonte seine hagere Gestalt. Auf einen langen Stab gestützt, sah er zu Larkyen auf.

      „He, fremder Reiter!“ Beim Sprechen entblößte er lediglich einige Zahnstümpfe. „Es kommt nicht alle Tage vor, dass meine müden Augen einen wie dich aus dem Osten reiten sehen.“

      „Was heißt einen wie mich, alter Mann?“

      Der Hirte lächelte und sagte: „Einen, der wie du aus dem Westen stammt, einen weißen Mann. Du willst wohl zum großen Fest? Du kommst spät, drei Tage dauert es nun schon an.“

      „Von was für einem Fest sprichst du?“

      „Natürlich vom Löwenfest“, antwortete der Hirte. „Es ist wieder soweit. Immer wenn der Winter sein Ende nimmt, lädt unser König Elay, mögen die Götter stets mit ihm sein, die Völker der Welt zu einem Wettstreit ein. Da wir ein neutrales Land sind, werden alle Fehden und Kriege außerhalb der Landesgrenzen für kurze Zeit vergessen. “

      „Ich habe von diesem Fest gehört“, sagte Larkyen. „Als Höhepunkt bekommen die Gäste die Gelegenheit, sich abseits blutiger Kriege miteinander zu messen. Der Gewinner kann für sich den Titel Löwe von Kanochien beanspruchen.“

      „Hat dich die Kunde also auch erreicht“, sagte der Hirte und setzte ein breites Grinsen auf. Dann fuhr er fort: „Sei ehrlich, Fremder. Um die Ehre des Titels geht es doch den wenigsten, viel eher um den Preis. Gierst auch du nach den beiden Rubinen? Man nennt sie die Augen des Löwen. Unser König überreicht sie persönlich. Faustgroß sollen sie sein und so rot wie Blut.“

      „Was scheren mich Rubine“, entgegnete Larkyen.

      „Könntest ein reicher Mann werden. Hast doch nichts als ein Pferd.“

      „Und das ist alles was ich derzeit brauche.“

      „Unsinn“, krächzte der Hirte höhnisch. „Sprichst fast wie einer dieser dreckigen Nomaden aus Majunay. Ich kann dir viel von ihnen erzählen. Denn in jungen Jahren, da zog