Siegfried, Hans Hofmann

HOO


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      „Ach hier drinnen seid ihr“, sagte Hoo. Um sicher zu gehen, sah er sich noch einmal genauestens um. „Ja, ja, er ist weg. Er hat sich gerade aus dem Staub gemacht. Ihr, äh, könnt aus eurem Versteck herauskommen. Die Gefahr ist vorüber.“

      Hoo streckte seine dickfingrige rechte Hand nach dem verängstigten Blattlauspärchen aus und bat sie herüberzukrabbeln. Erleichtert nahmen sie seine Hilfe an. Dann schwenkte er die Hand behutsam vor sein Gesicht und schmunzelte die Geretteten breit an. Selbstbewusst rief er aus: „Haha! Habt ihr gesehen, wie ich den gierigen Läusefresser außer Gefecht gesetzt und in die Flucht geschlagen habe? Der hat die Flügel voll, äh, in den sauren Apfel gebissen. Au Backe! Dem hab ich's gegeben! Der lässt sich bestimmt nicht mehr blicken!“

      „Volle Kanne, Hoo! Ich hab's gerade noch mitgekriegt. Das war einfach umwerfend spitze!“, schwärmte Mucks.

      „Erzähl, Mucksischatz, bitte erzähl doch!“, piepste Birne, die Neugierde in Lausform, ihn flehend an.

      Immer noch völlig aus dem Häuschen, schilderte Mucks seiner geliebten Birne die Geschehnisse. Selbstverständlich half Hoo bei der Erklärung von gewissen Einzelheiten ein wenig dazu.

      Da Damen auch im Tierreich den Vortritt haben – und sei es auf der Flucht –, war Birne als Erste in der Öffnung des Trinkhalms verschwunden. Leider hatte sie dadurch Hoos geistesgegenwärtiges Bravourstück nicht mehr mitansehen können. Andererseits war es für Birne ein Glück gewesen, dass das Trinkröhrchen nicht bis obenhin mit frisch gepresstem Saft gefüllt war. Denn sonst hätte sie auch noch Angst vor dem Ertrinken haben müssen, da sie ja, wie Mucks übrigens auch, nicht schwimmen konnte.

      „Toll, toll, tollkühn!“, piepste Birne ehrfurchtsvoll, als sie sich alles angehört hatte. Ihr kleines Herz pochte immer noch ganz aufgeregt. Staunend, ja den Tränen nahe, himmelte sie Hoo an. „Was du alles kannst, Hoo. Echt erstaunlich und – sooo cool! Wir danken dir. Wir danken dir von ganzem Herzen.“

      Als fände in ihren winzigen Körpern gerade eine wohldosierte Glückshormonausschüttung statt, hüpften und tanzten sie spontan auf seiner Handfläche, ihm selig ein Ständchen singend, im Kreis herum:

      „Hoo, Hoo, Hoo – wir danken dir,

       du hast uns toll verteidigt.

       Den Räuber hast du angespuckt,

       bestimmt ist er beleidigt.

       Hoo, Hoo, Hoo – wir danken dir,

       dreh´n uns im Kreise fröhlich.

       Weil du uns flugs gerettet hast,

       sind wir so voll glückselig.

       Hoo, Hoo, Hoo ...“

      „Ach, äh, alles paletti, schon gut, schon okay, das ist doch Ehrensache“, unterbrach Hoo gerührt. „Ich habe zu danken. Das nette Liedchen habt ihr wunderschön gesungen.“ Er strahlte dabei übers ganze Gesicht und fühlte sich sehr geschmeichelt. „Seht ihr, meine Lieben, so konnte ich doch noch etwas Gutes für euch tun.“

      „Etwas Gutes?“, rief Mucks. Er verdrehte seine weiß umrandeten, grünen Pupillen. Zugleich ließ er sich auf die Knie fallen und faltete die Hände vor seinem Köpfchen zusammen. „Hoo, du bist ein Held! Ein wahrer Freund! Du hast uns das Leben gerettet!“

      „Ja, unser Leben hast du verlängert! Unser kleines, kurzes, lausiges, fresslustiges und gefahrvolles, aber glückliches Leben“, sagte Birne mit schlottriger Stimme und glühenden Wangen. „Dein Globaler Wettermeister möge dich immer beschützen!“

      „Na, na, na! Äh, lasst es gut sein, liebe Freunde“, entgegnete Hoo in aller Bescheidenheit. „Ich habe doch wirklich nur getan, was jeder andere dicke und rechtschaffene Regentropfen auch getan hätte.“

      Behände führte er nun seine Hand unter das grüne Dach eines herabhängenden Blattes. So war es für das Läusepärchen ein Leichtes, sich problemlos hinüberzuhangeln und daran festzukrallen.

      Nach dieser von Hoo so großartig zu Ende gebrachten Rettungsaktion tankte er verdientermaßen tüchtig aromatischen Apfelsaft nach und machte es sich auf dem Apfel wieder behaglich.

      NACHDENKLICH HOCKTE ER DA. Die glückliche Rettung seiner beiden Blattlausfreunde spukte ihm noch eine Weile im Kopf herum. Seiner moralischen Pflicht hatte er helfend Genüge getan. Dennoch stimmte es ihn genauso froh, dass es ihm gelungen war, den eifrigen Blattlausjäger auf relativ sanfte Weise zu vertreiben. Sollte der Siebenpunkt-Marienkäfer, der als einer der ärgsten Feinde von Blattläusen gilt, sich bei den Menschen aber als niedliches, rotschwarzes Glückssymbol großer Beliebtheit erfreut, sein Fressen ruhig woanders suchen! Leben zu bewahren, nicht auszulöschen, davon war Hoos tugendreine Gesinnung geprägt. Gewaltanwendung in jeglicher Form bedeutete ihm ein Gräuel. Er, Hoo, war ein guter, friedfertiger und intelligenter Regentropfen!

      Aufmerksam ließ er seine himmelblauen Augen im grünen Blätterwerk des robusten Apfelbaumes umherschweifen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der alte Baum reichlich rotbackige, verführerisch glänzende Früchte trug.

      Birne und Mucks waren natürlich längst wieder hungrig. So war es kein Wunder, dass sie unbekümmert und fresslustig wie eh und je an dem knackigen Apfelbaumblatt knabberten und Pflanzensaft saugten.

      Die lebensbedrohliche Situation war anscheinend schon wieder vergessen. Hatten sie etwa auch vergessen, darüber nachzudenken, wie er von hier fortkommen könnte? Und überhaupt! Vermochten die Winzlinge wirklich, ihm dabei behilflich zu sein? Vielleicht wollten die beiden gar nicht mehr, dass er von hier wegging? Sicherlich war ihnen durch den überraschenden Angriff des Siebenpunkt-Marienkäfers bewusst geworden, wie er ihnen im Ernstfall ein hohes Maß an Schutz und Sicherheit gewährleisten könnte? Wünschten die Blattläuse ihn nun womöglich als Freund und Bodyguard zur Abwehr und Verteidigung vor gierigen Marienkäfern, aufdringlichen Schlupfwespen oder anderen Fressfeinden hier zu behalten?

      „Erst mal in aller Ruhe abwarten!“, schnaufte er durch. Er ließ das Grübeln sein. Gelassen guckte er ihnen beim Fressen zu.

      GECHTURS EINLADUNG

      „Trrrrr! Trrrrrrr!“ Irgendwo in der üppigen Krone des Apfelbaums war plötzlich ein kurzwirbelartiges Trommeln und geräuschvolles Klopfen zu vernehmen.

      „Wer hämmert denn da?“ Aufgeschreckt, und in gespannter Erwartungshaltung, ob es möglicherweise jener bunte Vogel sein mochte, der ihm dabei zuerst ins Gedächtnis kam, ließ er seine himmelblauen Wasseraugen suchend durch das dichte Blätterwerk nach oben wandern.

      „Da! Tatsächlich!“, stieß er verhalten aus. Nur einige Äste über sich erspähte er ein junges Buntspechtmännchen, dass sich nach Nahrung stöbernd, am oberen Stamm zu schaffen machte. Leichtfüßig, mit kurzen, ruckartigen Sprüngen und stets neugierig hüpfte der schöne Specht flink umher. Sein starker Stützschwanz gab ihm dabei zusätzlich Sicherheit und Halt. Mit seinem harten, keilförmigen Schnabel meißelte er Löcher in die rissige Borke und löste diese ab, um Insektenlarven freizulegen. Hatte er endlich unter dem Holz oder in einer Rindenspalte etwas Fressbares aufgestöbert, ließ er seine lange, biegsame Zunge über die Schnabelspitze vorschnellen und zog die Beute geschickt heraus, um sie zu verspeisen.

      Ein kluger Geselle, und wie prächtig schwarz-weiß-rot sein Gefieder gefärbt ist, dachte Hoo. Von seinem gemütlichen Sitzplatz aus konnte er das emsige Treiben des etwa amselgroßen Jungspechts mit Hingabe beobachten.

      Die Abfolge seines ganzen Benehmens hatte etwas Routinemäßiges und Drolliges an sich: Loch schlagen, Rinde ablösen, Beute herausziehen, Nahrung aufnehmen, und Schnabel wetzen. Ja! Jedes Mal, nachdem er einen fetten Happen erwischt und aufgefressen hatte, wetzte er – wohlweislich zur Reinigung und Schärfung gedacht – seinen kräftigen Schnabel am Holz. Hin und wieder gab er ein kaum vernehmliches, kurzes Gekicher von sich.