Siegfried, Hans Hofmann

HOO


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dass das emsige Waldtier ihm gar nicht gefährlich werden konnte, solange er sich entfernt genug von ihm aufhielt. Da er ziemlich in der Mitte des Bassins schwamm, sich im Schutze seines Elements kaum von der Wasserfläche abhob und zudem ruhig verhielt, hatte er also nichts zu befürchten.

      „Tschuk-Tschuk-Tschuk“, rief es mit spitzem Stakkato-Ton. Ruckartig, immer hellhörig die Puschelohren gespitzt und mit wachsamen Augen, schlich es sich ein Stückchen auf der Umrandung entlang. Dann endlich, als hätte es ein Weilchen Zeit zur Muße gefunden, senkte das Eichhörnchen durstig seinen Kopf, um sich der notwendigen und erfrischenden Flüssigkeitszufuhr zu widmen.

      Kaum Wasser zu sich genommen, richtete es sich sichernd, ständige Gefahr witternd, blitzschnell wieder auf. In ‚Männchenstellung‘ sitzend, den buschigen Schwanz hinten am Rücken angelegt, verharrte es so still, bewegungslos und mit starrem Blick, als wäre es das ausgestopfte Exemplar eines Tierpräparators. Wunderschön konnte Hoo in diesem Moment das weiße Fell auf der Bauchseite des kletter- und springfreudigen Nüssenagers erkennen. Ein kurzes Knistern und Knacken sowie das plötzlich schrille Gerätsche eines heranfliegenden Eichelhähers genügten, und das tagaktive Eichhörnchen sprintete fluchtartig davon.

      Übergangslos erregte das auffällige, heisere Gekreische des Eichelhähers Hoos Aufmerksamkeit. Der große, farbenprächtige Singvogel hatte sich ganz in der Nähe von Gechtur im Eichenbaum eingefunden. Seine schwarz-weiß-blauen Federchen auf rotbraunem Rumpf waren beim Anflug deutlich zu erkennen gewesen. Guter Sichtkontakt durch das üppige Spätsommergrün der Eichenblätter war nur eingeschränkt möglich. So konnte Hoo zwar ihre Stimmen hören, doch verstehen, worüber der kluge Eichelfrüchteliebhaber sich mit Jungspecht Gechtur so lange und aufs Anregendste unterhielt, das gelang ihm nicht. Das Gerätsche und Gekixe der beiden Vögel blieben der Entfernung wegen undeutlich im dichten Blattwerk hängen.

      Könnte es sein, dass dies Glandar, Gechturs bester Vogelfreund ist? Hört sich ganz danach an! Derlei Gedanken flossen Hoo durch den Kopf. Noch bevor der Buntspecht ihnen im Apfelbaum seine Einladung zum Vollmondfest entboten hatte, brachte er seinen geschäftigen Kameraden und dessen vielseitigen Aufgaben ins Gespräch. Wohl schon bald, so erhoffte sich Hoo, würden er und seine Blattlausfreunde den topaktiven, furchtlosen Waldvogel kennenlernen.

      Neben der Plauderei mit Gechtur bereitete es dem Eichelhäher offensichtlich Spaß, an den Stielen der nährstoffreichen Eichelfrüchte herumzuzupfen. Zwei oder drei der wohlschmeckenden Eicheln hatte er sich in den Schnabel gestopft, wohlweislich als Reiseproviant gedacht. Dann flog er mit wiederholenden „Schrräh“-Lauten wieder von dannen, wobei Hoo ihn noch einmal kurz zu Gesicht bekommen hatte.

      Von hoch oben aus der Krone kam in rasanter Geschwindigkeit etwas ganz anderes angeflogen. Durch das Herumzupfen des Eichelhähers an seinen Lieblingsfrüchten hatte sich im Nachhinein ein Eichelpärchen samt Stiel von einem dünnen Ast gelöst. Auf Äste klackend und zwischen Blättern hindurchfallend, bahnte sich die Zwillingseichel ihren Weg in Richtung Boden. Die letzten Meter Luftlinie sauste sie unaufhaltsam wie ein kleines Geschoss herab und platschte gefährlich nah neben Hoo in die Mitte des Bassins. Eine schlanke Wassersäule türmte sich kurz auf. Mehrere Tropfen hüpften zentimeterweit hoch. Durch den Aufprall kräuselte sich die Wasseroberfläche. Eine mehrfache Wellenbewegung breitete sich ringförmig aus und schwappte, allmählich sanfter werdend, an den Rand der Tränke.

      Hoo ließ sich geschockt auf den Wellen treiben. „Oha, das war aber verdammt knapp!“, wetterte er leise, heilfroh darüber, nicht getroffen worden zu sein. In gleichem Maße wie die Oberfläche des Wassers sich beruhigte, erholte sich auch Hoo von seinem flüchtigen Schreck. Um die Wartezeit auf seine Freunde zu verkürzen, bereitete es ihm bewegungsfreudiges Vergnügen, das auf der Wasseroberfläche schwimmende Eichelpärchen mit stetig erzeugten Miniwellen bis an den Rand des Beckens zu schaukeln.

      NUR NOCH WENIGE MINUTEN VERSTRICHEN, bis Hoo den gesättigten Specht, mit Birne und Mucks im Gepäck, zur Tränke heranfliegen sah. Was den Weiterflug betraf – er war dafür gerüstet.

      Kaum hatte Gechtur am Beckenrand aufgesetzt, krabbelten die Blattläuse von ihrem kuscheligen Sitzplatz zum Käppirand. Sie winkten und hielten nach ihrem Regentropfenfreund Ausschau. „Hoo! Hoo!“, riefen sie piepsstimmig. Ein lautes Klopfen, wie Gechtur es eigentlich vorgehabt hätte, war jedenfalls nicht mehr nötig, denn Hoo schickte ihnen bereits begrüßende Worte aus dem wohligen Wasser entgegen.

      „Hallo, ihr drei Hübschen. Schön, euch wieder zu sehen. Ich habe euch schon sehnlichst erwartet!“ Er musterte sie mit großen Augen. „Gut seht ihr aus, liebe Läuse. So glücklich, in frischem Grün und satt gefressen. Ist wohl völlig überflüssig zu fragen, ob euch der Eichenblattgeschmack überzeugt hat – ich seh's euch an den Nasenspitzen an!“

      „Stimmt, lieber Hoo, das kann man wohl so sagen!“, piepste Birne vollauf begeistert. Sie kaute immer noch auf einem Reststückchen Eichenblatt herum. „Voll geiler Geschmack. Wir haben vorzüglich gespeist, nicht wahr, Mucks?“

      „Fein, sehr delikat, diese Eichenblätter. Ein prima Leckerbissen“, stimmte Mucks mit wohlbefindlichem Kopfnicken zu. „Ich hab sogar das Gefühl, dass die Inhaltsstoffe der Blätter tatsächlich ihre Wirkung entfalten. Gell, Birne, wir fühlen uns richtig frisch in unserer Haut. Fröhlich und fidel, nicht lausig lasch, vielmehr putzmunter und gut drauf!“

      „Oh ja, uns könnte es gar nicht besser gehen“, schwärmte Birne. „Eichenblattsalat könnte ich mir durchaus als unser allerliebstes Leibgericht vorstellen. Hach! Ich könnte fressen, saugen, fressen, saugen – mmmhh!“

      „So ist es, mein Birnchen! Ich selbst kann dies nur unterstreichen. Nie zuvor hab ich in so was Leckeres gebissen. Ich hab immer noch den würzigen Geschmack auf der Zunge. Wenn ich nur daran denke, läuft mir der Saft im Munde zusammen“, gelüstete auch Mucks danach. „Hoo, wir sind schon am Überlegen, ob wir nach der Vollmondparty vielleicht hierher zurückkehren sollten. Ein Baumwechsel wäre, von unserer Seite aus gesehen, problemlos möglich.“

      „Ja, das wäre supercool! Unseren wunderbaren Apfelbaum mit seinen köstlichen Blättern und dem leckeren Apfelsaft behalten wir natürlich in ewiger Erinnerung!", piepste Birne, als wäre definitiv alles schon geregelt. Sie fühlte sich so richtig in Aufbruchstimmung.

      „Das sowieso, liebe Birne“, stimmte Mucks ihr nachdenklich, ja fast schon ein wenig melancholisch bei. Sanft streichelte er ihr über den Rücken. An Hoo gewandt, ließ er schließlich verlauten: „Es ist nur so – wir haben festgestellt, dass wir hier im Eichenbaum unser kurzes, fressorientiertes Leben noch mal so richtig in Schwung bringen könnten ...“

      „Hach, und diese Aussicht von dort oben, lieber Hoo“, piepste Birne freudentaumelig dazwischen. „Traumhaft! Da kann man während des Blattknabberns und Saftsaugens das ganze wunderschöne Tal überblicken. Die Sonnen- und Mondaufgänge müssen echt romantisch sein?“ Liebäugelnd blickten sie sich an.

      „Na, dann tut es doch! Verwirklicht euch diesen Traum!“, bestärkte Hoo ihre neuen, wunderbaren Pläne. „Eure Hochzeitsreise ins Glück würde somit wohl in einem zweiten Frühling auf einem neuen Baum gipfeln. Astrein! Diese Gelegenheit solltet ihr echt ergreifen. Das kann doch euren Lebensgeisterchen nur guttun! Euer Vogelfreund Gechtur ist bestimmt so lieb und gerne bereit, euch diesen Wunsch zu erfüllen.“

      Gut zugehorcht und ohne lange zu überlegen, zeigte sich Freund Buntspecht sofort damit einverstanden. „Gigig! Bravissimo, ihr lieben Läuse! Wohin ihr wollt, flieg‘ ich euch hin. Voll korrekt, ja, wie ein Preuße, stets zu Diensten ich euch bin! Dabei euch wohl nur Gutes widerfährt, dann ist's schon einen Umzug wert!“

      Da spürten Birne und Mucks, dass es die richtige Entscheidung sein würde. Ja! Sie wollten den Baumwechsel wagen. Ihre Herzen hüpften vor Freude. Überschwänglich fielen sie sich in die Arme.

      Gechtur beugte sich leicht nach vorne. Er ließ seine lange Zunge ins wohltuende Wasser schnellen. Nach reichlich fetten Happen, die er im Eichenbaum gefunden und vertilgt hatte, nahm er das köstliche und vitalisierende Nass umso genüsslicher auf.

      Nun endlich wandte er sich an den Regentropfen: „Die Party ist in aller Munde, wir jetten noch 'ne gute Stunde.