Hazel McNellis

Der Schatten Deiner Seele


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Hut aufsetze, erkennt mich sicher niemand.«

      Persàl schnaubte. »Als ob es am Hut liegt«, meinte er und lehnte sich zurück. »Ich lasse eine Magd und zwei Wachen mitgehen. Sie passen auf dich auf.«

      Fionn nickte. »Es ist besser, du gehst nicht allein. In der Stadt ist es gefährlich.«

      »Meinen Vater störte es nie und mir ist nie etwas geschehen.«

      »Du bist hier nicht länger in Tarnàl«, sagte Fionn rau. Seine Kiefermuskeln zuckten angespannt und seine Hand lag geballt auf dem Tischtuch. »Ich sage, du gehst nicht allein«, fügte er hinzu. »Wenn du willst, begleite ich dich.«

      »Das brauchst du nicht. Ich bin sicher, ihr habt hier eine Menge zu besprechen. Schließlich planst du, deinen eigenen Vater vom Thron zu stoßen.«

      Stille breitete sich aus. Ihre Worte waren spitz gewählt. Doch sie lagen ihr auf der Zunge und waren längst gesprochen, noch ehe sie sie zurückzuhalten konnte. Beschämt senkte sie ihren Blick. »Verzeiht«, murmelte sie und betrachtete betreten ihren Teller und dessen goldenen Rand. »Es stand mir nicht zu, dies zu sagen.«

      Kurz verharrten die Männer in Schweigen. Dann winkte der König ab. »Du hast das Herz am rechten Fleck, Mädchen, das habe ich gleich erkannt. Die Wahrheit sollte niemals verschleiert werden.«

      Fionn schnaubte, was ihm einen kühlen Blick von Persàl einbrachte. Ariana stand auf.

      Sie sehnte sich danach, die erdrückenden Mauern des Palastes hinter sich zu lassen. Die Sehnsucht nach Büchern brannte ebenso in ihr wie die Sehnsucht nach Kieran Maktùr. Das galt umso mehr, da Fionn das K-Wort ausgesprochen hatte.

      Kinder. Der Gedanke schreckte sie. Er ließ sie umso deutlicher die Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause spüren. Bevor sie den Raum verließ, wandte sie sich noch einmal um. »Ich werde den ganzen Tag fort sein, sorgt euch also nicht.« Fionn betrachtete sie ernst und für den König war ihre Abwesenheit ohnehin eine Nebensächlichkeit. Er hatte andere Sorgen. Als sie sich wenig später auf den Rücken des Pferdes hievte, wandte sie sich der Magd zu, die sie eigentlich begleiten sollte. »Hier hast du eine Liste mit den Dingen, die zu besorgen sind. Geh und erledige das.« »Aber, Prinzessin«, wandte das Mädchen ein. »Ich soll euch begleiten.« »Ich könnte dem König mitteilen, dass er eine ungehorsame Magd in seiner Dienerschaft beschäftigt.« Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Bitte nicht«, lenkte sie ein. Ariana schickte sie daraufhin weg und warf den zwei Palastwachen einen Blick zu. »Ihr begleitet mich bis zur Grenze«, erklärte sie. »Ich werde in Tarnàl sicher sein. Mir droht dort keine Gefahr. Ihr wartet an der Grenze auf mich. Wir treffen uns am Nachmittag wieder.« »Aber, Prinzessin«, fing einer von ihnen an. »Kein aber«, entgegnete sie mit fester Stimme. »Ich reite allein. Ein Wort zum König und ich persönlich sorge dafür, dass man euch bestraft. Habt ihr das verstanden?« Die Wachen zögerten einen Augenblick. Dann nickten sie langsam, woraufhin Ariana sie anlächelte. »Dann können wir ja jetzt los«, sagte sie und ritt voraus.

      07 – Begegnungen

      Seufzend ließ sie sich in die weichen Polster ihres Lesesessels sinken. Als sie zuletzt die Palastbibliothek ihrer Heimat aufgesucht hatte, hatten mehrere Dinge an einem einzelnen Tag ihr Leben für immer auf den Kopf gestellt. Zum einen war da der Kuss von Fionn gewesen – der erste Kuss in ihrem Leben. Zum anderen hatte es sie unversehens in Kierans Reich katapultiert. Ob es heute wieder geschehen würde?

      Arianas Gedanken glitten zurück zu ihm. Wie ein roter Faden spannte sich das Band zwischen ihnen. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als mit dem Elfenkönig vereint zu sein. Fort von Fionn und Farnàl. Fort von allen höfischen Verpflichtungen als angehende Thronerbin.

      Ein Seufzen huschte über ihre Lippen. Sie ließ ihren Blick gedankenverloren über die Regale und Buchrücken wandern. Einem Impuls folgend erhob sie sich und trat ans Regal. Das Rascheln ihrer Röcke begleitete sie. Der hölzerne Boden unter ihren Schuhen knarrte, als sie ihr Gewicht verlagerte, den Arm emporhob und nach dem Einband des Buches griff.

      Sie betrachtete es und ließ ihre Finger liebkosend über das rostrote Leder gleiten. Es war eine Zärtlichkeit, der Versuch eine tiefere Verbindung herzustellen, wo keine mehr war. Ein dicker Kloß klebte in ihrer Kehle und ließ sie hart schlucken. Ariana blinzelte die aufsteigenden Tränen weg, doch ihre Augen füllten sich sofort wieder mit der Flut ihrer Gefühle. Wie konnte sie ihrem Schicksal an Fionns Seite entrinnen? Die Tatsache, dass er sich Kinder aus ihrer Verbindung erhoffte, war ihr ein Graus.

      Dabei ging es nicht so sehr um den Gedanken, selbst einmal Kinder zu haben, sondern vielmehr darum, Fionn in einer Vaterrolle an ihrer Seite zu betrachten. Jedes Mal, wenn sie versuchte, sich dieses Bild vor Augen zu führen, klappte es nicht. Sie konnte es nicht. Ihr Verstand verwischte immerzu seine Gestalt und formte die von Kieran. Es erschien ihr wie verhext. Zeitweise tadelte sie sich für ihre Empfindungen. Wie konnte sie noch immer dem Elfenkönig hinterhertrauern, wo sie doch seit jeher zu Fionns Gemahlin erzogen worden war?

      Sie schüttelte den Kopf und packte das Buch fester. Entschlossen kehrte sie zu ihrem Sessel zurück. Dort setzte sie sich hin und schlug das Buch auf. Sie las die ersten Zeilen, aber es war nicht dasselbe.

      Nichts geschah.

      Das wäre auch zu leicht, flüsterte eine fiese Stimme in ihrem Kopf. Warum sollte das Schicksal sie zurück zu Kieran treiben? Es ergab keinen Sinn. Dennoch weigerte sie sich, daran zu glauben, was Fionn und ihr eigener Vater ihr weismachen wollten: Dass sie sich täuschte und diese Welt niemals verlassen hatte. Dass sie verwirrt und nicht ganz richtig im Kopf war.

      Dabei wusste sie sehr wohl, was sie gesehen, gehört und erlebt hatte. Sie wusste es. Das war kein Hirngespinst. Unmöglich.

      Sie erinnerte sich an das mulmige Gefühl, als der Schwindel sie erfasst hatte. An den Sturz durch den Schleier in Kierans Welt. Sie erinnerte sich, wie der Hüter den roten Faden in den Strang zurückgeflochten hatte. An das Leuchten, das Strahlen – und an die bittere Verzweiflung, die sie empfunden hatte, nachdem es sie in ihre Heimat zurückversetzt hatte. Hieß das, das Bündel der Bindfäden war wieder komplett und der Schleier für sie undurchdringlich?

      Hoffnung und Sehnsucht hatten sie hierhergetrieben. Sie hatte gehofft, es würde sie zu Kieran zurückbringen, wenn sie dieselben Umstände erzeugte wie beim ersten Mal. Doch sie hatte sich geirrt. Jede ihrer Hoffnungen hatte sich zerschlagen.

      Mit einem Ruck stand sie auf und räumte das Buch mit einem wütenden Stoß zurück ins Regal.

      Die Enttäuschung, dass sich ihr Wunsch nicht erfüllte, rollte über sie hinweg wie eine Flutwelle.

      Sie verließ die Bibliothek, um sich auf den Weg zu machen. Nachdem sie in Tarnàl angekommen war, hatte sie ein kurzes Gespräch mit ihrem Vater führen können. Er zeigte sich erstaunt über ihren unerwarteten Besuch, doch es fehlte ihm die Zeit, um sich seiner Tochter zu widmen. »Dringende Angelegenheiten«, hatte er es genannt.

      Die Bibliothekstür klickte hinter ihr ins Schloss. Ariana blinzelte gegen die Sonnenstrahlen an, die sich hinter zwei dicken Wolken hervortrauten. Sie wusste, sie sollte zurück nach Farnàl reiten. Aber vorher wollte sie den Markt aufsuchen. Sie musste mit den Leuten über die Minen sprechen. Es war ihr ein Bedürfnis, die Lage in den Kristallminen zu durchschauen. Sie hatte nicht vor, tatenlos neben ihrem Mann ihr Dasein zu fristen. Die Menschen vertrauten ihr als Königstochter die Zukunft an. Das durfte sie nicht ignorieren.

      Die Stadtbewohner begrüßten sie mit erfreuten Gesichtern. Einige schenkten ihr ein paar Blumen, die sie dankend entgegennahm. Es dauerte nicht lange und ihre Ankunft in der Stadt verbreitete sich unter den Einwohnern wie ein Lauffeuer.

      Ariana stieg kurz hinter der Ortsgrenze von ihrem Pferd und richtete ihren Fokus auf einen Straßenhändler.

      »Verzeiht«, sprach sie den Mann hinter der Auslage an. Er war hager und stand in der Gemüsebude wie eine reglose Statue. Bei ihrem Anblick erhellten sich jedoch die schmalen Augen.

      »Prinzessin«, grüßte er sie mit einem schwachen Zittern in der Stimme. Er versuchte sich an einer Verbeugung hinter dem Verkaufsstand, was aber aufgrund der engen Räumlichkeit