Hazel McNellis

Der Schatten Deiner Seele


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Name ist Garlàn«, erklärte der Mann und stellte zwei Becher und einen Teekessel auf den Tisch. Der vertraute Geruch nach Kräutern stieg ihm in die Nase. »Ich bin der Schmied hier in Mérilan.«

      Der Name der Stadt war ihm unbekannt. Wo lag der Ort? Wie groß war er? Wer war das Oberhaupt und warum war er hier? Das ergab alles gar keinen Sinn.

      Er stand immer noch gedankenverloren herum. Da schnalzte Garlàn und packte eine breite Hand auf Kierans Schulter. Er schob seinen Gast zum Stuhl hin und drückte ihn darauf nieder.

      »Also«, fuhr der Schmied fort, während er eine Schüssel mit Wasser füllte und ein Tuch dazulegte, damit Kieran sich die inzwischen kohlschwarzen Füße waschen konnte. »Warum weißt du nicht, wer du bist? Was ist passiert?«

      »Wenn ich wenigstens das wüsste. Aber mein Gedächtnis ist komplett leergefegt.«

      Garlàn lehnte sich gegen ein Regal und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. »Was ist das Letzte, an das du dich erinnerst?«

      Kieran grübelte. Jede Zelle in seinem Innern drängte darauf, das Geheimnis zu lüften. Doch so sehr er es versuchte, es ging nicht. Sein Kopf blieb leer. Frustriert stöhnte er und griff sich an die Schläfen. »Ich erinnere mich an gar nichts«, meinte er. »Bitte entschuldige, wenn ich dir Mühe mache ... Ich gehe besser wieder. Wer weiß, mit wem du es zu tun hast.« Er erhob sich und schob den Stuhl zur Seite.

      »Warte«, hielt Garlàn ihn zurück. Kieran blieb stehen und sah sich zum Schmied um. »Ich habe da eine Idee.«

      »Und welche?«

      »Es ist offenkundig, dass du ein Fremder in dieser Gegend bist. Allein dein dunkles Haar sorgt für Aufsehen. Deshalb musst du zum König. Er kann dir helfen.« Garlàn zuckte nachlässig mit einer Schulter. »Du musst ihn ohnehin aufsuchen, wenn du nicht von den Wachen aufgegabelt werden willst.«

      »Warum?«

      »Es existiert eine Verordnung. Sie besagt, dass sich Durchreisende immer erst beim König anmelden müssen. Es dient der allgemeinen Sicherheit der Bewohner, verstehst du.« Sein Blick glitt zum Kristall auf dem Tisch. »Und das ist vor allem jetzt Gold wert.«

      »Was willst du damit sagen?«, fragte Kieran.

      Der Schmied strich sich durch das Haar. Dann murmelte er »Ach, was soll’s, du erfährst es sowieso«, packte einen der Stühle bei der Lehne und ließ sich rücklings darauf nieder. Die Arme kreuzte er über der Rückenlehne. Ernst musterte er ihn.

      »Ich hoffe, ich kann dir vertrauen, Fremder.« Kieran setzte sich wieder. »Die Königstochter hat Prinz Fionn geheiratet und ist mit ihm in den königlichen Palast von Farnàl gezogen. Heute war das.«

      Kieran erstarrte einen Moment lang. In seinem Kopf spürte er ein schwaches Ziehen. »Und?«, fragte er rau.

      »Angeblich sind die Kristallminen sicherer als vorher, weil die Grenze der beiden Hoheitsgebiete wegen der Hochzeit wegfällt. Dadurch lassen sich die Minen besser von den Reichen gemeinsam schützen.« Garlàn beugte sich vor. »Ich habe außerdem gehört, dass feindliche Truppen unterwegs sind. Sie wollen angeblich die Stollen einnehmen und den Markt um jeden Preis kontrollieren.«

      Seine Augen waren groß geworden und die letzten Worte flüsterte er nur noch.

      »Herrscht hier Krieg?«, fragte Kieran.

      Sofort schüttelte der Schmied den Kopf. »Nicht doch, nein. Den haben wir nicht – noch nicht. Aber die Situation war schon immer angespannt im Grenzgebiet. Es ist ein diplomatischer Seiltanz und die Verhandlungen sind Jahr für Jahr langwieriger mit den Vertretern der Kallràner. Das Problem sind die verdammten Kristallminen.« Wieder schaute er die Lampe an. »Sie sind zu kostbar, der Markt mit den Kristallen lukrativ. Jeder will sie besitzen und Geld mit ihnen verdienen. Dummerweise liegt ein Teil dieser Minen hier im Herrschaftsgebiet von König Arlàn. Dadurch erhebt der König Anspruch auf die gesamte Kristallausbeute.«

      »Aber was hat das mit der Hochzeit zu tun?«

      »Die Tochter Arlàns heiratete den Prinzen, damit sich Farnàl und Tarnàl zusammenschließen und eine stärkere Allianz gegen die Kallràner bilden.«

      Wie vom Blitz getroffen saß Kieran auf seinem Stuhl.

      Tarnàl. Das war der Begriff, der dieses Leuchtfeuer in seinem Schädel auslöste. »Ich muss dahin«, platzte er heraus. »Ich muss nach Tarnàl.« Überrascht hob Garlàn die Augenbrauen. »Ach, und warum?« Kieran schüttelte den Kopf. Er versuchte, sich an mehr zu erinnern. Das Wissen lag ihm auf der Zunge. Trotzdem fiel es ihm nicht ein. »Ich muss.« Garlàn schwieg. Er betrachtete ihn, als könne er aufspringen wie ein tollwütiger Hund und sofort losstürmen. »Also schön«, meinte er schließlich und stand auf. »Ich bring dich morgen zum König. Heute ist es sowieso zu spät für die Audienz. Wie ich sagte, wir müssen dich ihm vorstellen. Vermutlich weiß er längst von deiner Anwesenheit hier.« Kieran nickte. Es gab einen vertrauten Ort. Einen Ort, an den sich sein Geist erinnerte. Auch wenn sein Verstand noch nicht begriff, was es mit Tarnàl auf sich hatte, so wollte er verflucht sein, wenn er dem nicht nachging. Garlàn lieh ihm ein paar seiner eigenen Kleidungsstücke, die ihm deutlich zu weit waren. Die Ärmel waren zu kurz, die Hosenbeine ebenso. Das Hemd beulte sich am Bauch aus und er musste den Gürtel am Hosenbund ein gutes Stück enger schnallen. Kieran kümmerte das nicht. Er trug ordentliche Kleidung am Leib. Das war mehr, als er sich vor Kurzem hatte erhoffen können.

      ***

      Am nächsten Morgen begleitete er den Schmied hinaus und durch einen Durchgang hindurch, der ihm tags zuvor gar nicht aufgefallen war. Der schmale Durchlass im Mauerwerk lag gegenüber der Eingangstür zu Garlàns Behausung. Als sie hindurchschritten staunte Kieran nicht schlecht. Vor ihnen lag ein ordentlich gepflasterter Hof mit einem Stall für drei Pferde. Eine Kutsche stand an der Seite und am anderen Ende des Hofes konnte er einen breiteren Durchlass zu einer Straße erkennen.

      Garlàn holte einen scheckigen Wallach aus dem Stall heraus und spannte ihn an die Kutsche an.

      »Sind das deine Pferde?«, fragte Kieran. Ein Gefühl der Vertrautheit glitt durch ihm hindurch.

      Der Schmied schüttelte den Kopf.

      »Sie gehören der Dame im Haus nebenan. Sie züchtet die Tiere und versorgt den Palast mit ihnen.«

      »Warum hat sie nur drei im Stall?«

      Garlàn schmunzelte. »Ja, meinst du denn, in dieser Drecksgegend lässt sie ihr Kapital frei herumstehen? Das hier ist lediglich die Absteige für die minderwertigen Pferde. Die, die nicht zur königlichen Schar passen.«

      Minderwertig. Wieder spürte Kieran das eigenartige Ziehen in seinem Kopf. Wie eine Erinnerung, die unbedingt ins Licht treten wollte, aber nicht gegen die Finsternis ankam. Er sagte nichts und wartete von da an nur noch, bis Garlàn fertig war und sie zum König aufbrachen. Sie ließen einen Händler mit seinen Waren vorbeiziehen. Ein paar Hühner gackerten munter in einem Verschlag am Straßenrand. Über ihnen schien die Sonne von einem wolkenlosen strahlendblauen Himmel herab. Auf ihrem Weg gafften die Leute ungeniert. Diesmal erkannte Kieran deutlicher, woran es lag. Sein Haar war schwarz wie die dunkelste Nacht und wesentlich länger als die der meisten Männer. Ihm reichten die Strähnen nahezu bis zum Gürtel. Die der Leute endeten spätestens am Hemdkragen. Nur Frauen wiesen eine Haarlänge auf, die mit seiner vergleichbar war. Alle Menschen waren blond oder weißhaarig. Bei einigen schlichen sich graue Strähnen dazwischen. Aber grundsätzlich schimmerten die Haarsträhnen bei jeder Person hell. Niemand in der Gegend hatte tiefschwarzes Haar wie er. Obwohl auch diese Tatsache etwas in ihm auslöste, war es ihm erneut unmöglich, die aufsteigenden Gefühle zuzuordnen. Es war zum Verrücktwerden. »Wie ist der König? Erzähl mir von ihm. Ist er dogmatisch?« Garlàn überlegte einen Moment, ehe er antwortete. »Unser Herrscher ist ein gerechter Regent. Wir merken alle, dass er sich bessere Bedingungen für Tarnàl wünscht.« Sein Mundwinkel zuckte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Er hat sogar eine Bibliothek ins Leben gerufen. Kannst du dir das vorstellen?« »Was ist das?« Ratlos sah Kieran seinen neuen Freund an. Dem stand der Mund offen vor Verblüffung. »Na so was! Du kennst keine Büchersammlung? Wie geht denn das!«, rief er aus. »Du weißt doch hoffentlich, was