Hazel McNellis

Der Schatten Deiner Seele


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Wände, die Kristallleuchter, die von der Decke baumelten und die wenigen Fenster, die kaum Tageslicht spendeten und zudem von bodenlangen, schweren Vorhängen umrahmt wurden. Wie sollte sie sich an diesem Ort wohlfühlen? Es erschien ihr zunehmend unrealistisch, diesen Palast als Heim zu betrachten.

      Persàl öffnete eine Tür aus dunklem Holz und führte sie in den Raum. Es war nicht der Thronsaal, dafür war das Zimmer zu klein gehalten. Ein paar schlichte Sitzmöbel – zwei Stühle und ein Hocker – fanden sich darin. Ein Fenster neben dem ausladenden Kamin ließ natürliches Licht hinein.

      »Nun, Fionn«, begann Persàl und deutete auf die Stühle. »Was führt dich und deine wunderschöne Gemahlin hierher, wenn schon nicht deine Vermählung und der Verlust deiner Hand?«

      Als der Prinz einen Blick auf seinen Armstumpf warf, lachte Persàl. »Wir haben vielleicht kein gutes Verhältnis zueinander, aber denkst du nicht, dass ich es bemerken würde, wenn dir eine Gliedmaße abhandenkommt?« Einen Moment lang taxierten sie einander abschätzig. »Bitte«, sagte er, »setzt euch.« Dann wandte sich Persàl lächelnd Ariana zu. »Darf ich dir eine Erfrischung bringen lassen?«

      Sie nickte dankbar und der König übertrug einem Dienstboten den Auftrag. Anschließend schloss er die Tür, trat an den Kamin und lehnte sich lässig an den Sims.

      »Also? Was ist los?«

      Fionn räusperte sich. »Da du direkt fragst«, sagte er, »ich beabsichtige, mich zum neuen König von Farnàl ausrufen zu lassen.«

      Ariana erstarrte. Hegte er diese Absicht seit ihrer Hochzeit?

      Persàl schaute gelassen drein, wenn auch mit einer neugewonnenen Härte im Blick. »Ist das so?«, fragte er.

      »Ich habe eine Ehefrau, wohingegen du bloß ein alter Machthaber bist, der keine weiteren Nachkommen außer mir vorzuweisen hat. Es ist mein gutes Recht, als Prinz die Nachfolge des Herrschers anzutreten und dich abzusetzen. Ich hätte das bereits vor Jahren tun sollen.«

      »Hat er dir von seiner Intention erzählt?«, wandte sich Persàl an Ariana. Sie schüttelte den Kopf.

      »Du hast also nicht einmal daran gedacht, deine geschätzte Gattin einzuweihen? Wann ist dir die Idee zu diesem hinterhältigen Vorhaben gekommen, mein Sohn? Auf dem Weg hierher? Vorher?«

      Fionn ließ Arianas Hand los und verschränkte die Arme. »Das ist irrelevant. Ich werde es tun – mit oder ohne deine Einwilligung. Unsere Zukunft liegt in diesem Haus.«

      »Ach, eure Zukunft?« Der König erhob seine Stimme. Obwohl er und Fionn äußerlich kaum Ähnlichkeiten aufwiesen, zeigten sie sich in ihrem Charakter: Er ballte ebenfalls die Fäuste, als wollte er liebend gerne auf etwas – oder jemanden – einschlagen. »Du kommst hierher mit deiner Frau und beschließt einfach so, mich vor die Tür zu setzen? Was erlaubst du dir!«

      Der König schritt auf und ab. Der mühsam gezügelte Aufruhr war deutlich an seinen Zügen abzulesen.

      »Fionn«, flüsterte Ariana. Doch er ignorierte sie.

      »Die Gesetze Farnàls bieten mir ausreichend Machthabe, um meinen eigenen Vater zu entmachten und den Platz einzunehmen, sobald der Eindruck entsteht, der König sei zu alt oder unqualifiziert, der Verantwortung weiterhin gerecht zu werden.«

      Persàl stemmte seine Hände in die Hüften und schaute böse auf Fionn hinab. »Das findest du? Du glaubst, ich sei alt? Unqualifiziert? Denkst du denn, ich räume dir den Thron frei, bloß weil du nach einer Ewigkeit hier unvermittelt aufkreuzt und dein kleines Frauchen mitbringst – verzeih mir den unflätigen Ausdruck, Prinzessin. Offensichtlich habe ich mich all die Jahre in dir geirrt. Deine Erziehung wurde furchtbar vernachlässigt.«

      »Und wessen Schuld ist das?«

      Die beiden Männer starrten sich über Arianas Kopf hinweg an. Inzwischen war auch Fionn wieder auf den Beinen. Sie fochten einen unausgesprochenen Kampf aus und Ariana beschloss, dass sie nicht dabei sein sollte. Es war ein Problem zwischen Vater und Sohn, das bereits lange vor ihr gärte.

      Sie stand auf.

      »Wo willst du hin?«, blaffte Fionn, sodass sie zusammenzuckte.

      »Ich habt persönliche Angelegenheiten zu klären. Es ist eine Familiensache, da will ich nicht stören.«

      »Deine Gemahlin hat Anstand und Manieren. Ich stimme ihr zu. Sie sollte nicht Zeugin dieser unschönen Szene werden. Ich lasse ihr das Zimmer zeigen.« Persàl trat zur Tür.

      »Nein«, knurrte Fionn mit hochgezogenen Schultern. »Sie ist meine Frau, sie gehört zu mir und damit zur Familie. Sie kann sich ebenso wie du anhören, was ich zu sagen habe.«

      »Fionn«, wandte Ariana leise ein. »Bitte lass mich gehen. Das betrifft lediglich dich und den König.«

      Er starrte auf sie herab. Seine Augen blitzten gereizt wie ein eingesperrtes Tier. Sie las ihren Verrat in seinem Blick. Dennoch fuhr sie fort: »Du und dein Vater solltet diese Differenzen unter vier Augen ausräumen. Ich störe dabei und kann ohnehin wenig beitragen, um die Sachlage zu klären.«

      Ein langer Moment verstrich. Endlich richtete Fionn sich auf. »Schön«, gab er nach, »dann geh. Ich komme später zu dir und unterrichte dich über den Stand der Dinge.«

      Ariana ignorierte das Gefühl, das ihr bei seinen Worten tonnenschwer im Magen lag. Es klang wie eine Drohung. Aber das konnte nicht sein, versuchte sie sich zu beruhigen. Fionn würde ihr nicht vorsätzlich etwas antun, um sich für ihren Verrat zu rächen. Er war ihr Freund. Ihr Ehemann. Er liebte sie.

      Oder?

      04 – Nichtwissen

      Kieran fror am ganzen Leib. Die Leute um ihn herum boten ihm keine Hilfe an. Sie musterten ihn abschätzig und eilten hastig zu Orten weiter, die ihm ohnehin nichts gesagt hätten. Warum wusste er nicht, wer oder wo er war?

      Er stolperte um eine Häuserecke und stieß prompt mit jemanden zusammen. Vor Überraschung geriet er ins Straucheln. Seine Hand patschte haltsuchend gegen die nächstbeste Hauswand.

      »Pass doch auf, Junge!«, murrte der Angerempelte. Erstaunt wandte Kieran sich zu ihm um. »Was denn, was denn, hast du deine Stimme verschluckt?«, fragte der dickbäuchige, bärtige Kerl, der eine lederne Schürze um den Bauch geschlungen trug. »Was ist los mit dir, hm? Siehst ein bisschen seltsam aus, wenn du mich fragst. Wer bist du? Ich hab dich hier niemals nie gesehen.«

      Der Typ musterte ihn von oben bis unten. Das kurz geschnittene Haar schimmerte hell auf dem runden Schädel. Die Oberarme, deren Muskelberge von harter Arbeit erzählten, hielt er nachdenklich vor der Brust verschränkt. Er stand da und wartete mit einer Engelsgeduld.

      »Verzeihung, ich weiß nicht, wer ich bin«, brachte Kieran hervor. Seine Schultern sackten herab. Er fühlte sich schrecklich fehl am Platz. Trotz der Gedächtnislücke war er sich zumindest dieser Tatsache bewusst.

      »Du weißt es nicht? Wo gibt’s denn sowas?« Die breite Stirn des Schürzenmannes legte sich in skeptische Falten.

      »Ich habe meine Erinnerungen verloren und keinen Schimmer, wer ich bin oder was für ein Ort das hier ist. Und jetzt sagen Sie mir, dass Sie mich hier nie zuvor gesehen haben. Im Augenblick weiß ich nicht einmal, was ich als Nächstes tun soll.«

      Der Fremde schnaubte. Er deutete auf eine Tür im Mauerwerk der Gasse hintern ihnen. In seinen hellblauen Augen blitzte etwas auf. »Na, wenn das so ist, komm mit zu mir. Ich kann dir zumindest ein paar mehr Sachen zum Anziehen borgen, damit du nicht länger in diesen lausigen Stofffetzen herumirren musst.«

      »Danke.«

      Kieran folgte dem Kerl und betrat das schlichte Backsteinhaus. Die Ziegel waren bleich, die Tür aus hellerem Eschenholz gefertigt. Im Inneren fiel sein Blick zuerst auf den ausladenden Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem eine Lampe stand. Sie fesselte seine Aufmerksamkeit kaum so sehr wie der hohe Kristall, der in einem tiefgrauen Sockel gefasst war und blassblau leuchtete. Kieran runzelte bei dessen Anblick die Stirn.

      »Setz dich, Junge«, murmelte sein Gastgeber und schob sich an ihm vorbei. Im