Emma Schneid

Gefangen in der Finsternis


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schmuckloses Gebäude zu.

      Die Fenster, die in der Sonne funkeln, geben der Klinik jedoch ein warmes Fluidum. Links und rechts tanzt das bunt gefärbte Herbstlaub im Wind einen Reigen.

      Das Auto kommt auf dem Parkplatz vor dem großen Portal zum Stehen. Eine mittelgroße Frau, Anfang der Dreißig, steigt aus. Sofort zerzaust eine Windböe ihr schulterlanges, rotes Haar und schmiegt ihre legere Kleidung an ihren molligen Körper. Sie eilt bereits die Stufen zur Psychiatrie hinauf und trifft dort auf Dr. Piescher.

      Mit einem erfreuten Lächeln begrüßt sie ihn: „Schönen guten Morgen Dr. Piescher!“ Dabei röten sich ihre Wangen in ihrem rundlichen Gesicht verräterisch.

      Dr. Piescher hält in seinem eiligen Schritt inne und erwidert den freundlichen Gruß: „Guten Morgen Lora, schon so früh unterwegs?“, und fährt ohne eine Antwort abzuwarten fort, „Übrigens, mit den Stromwerken habe ich telefoniert, es kommt gegen 15.00 Uhr ein Monteur in Catlyns Haus, den Strom frei zu schalten. Ich habe meine Termine so gelegt, dass ich dort sein werde.“

      Lora nimmt diese Worte erfreut auf und antwortet: „ Ich freue mich so für Cat, ich kann es noch gar nicht recht glauben, dass Cats Entlassung ist. Ich habe bereits Alles zur Feier vorbereitet und auch eine Geburtstagstorte gebacken.

      Dr. Piescher lächelt über Loras Eifer: „Ich bin ebenso freudig erregt, wir telefonieren heute Abend und besprechen Alles für morgen. Jetzt bin ich allerdings in Eile.“, und eilt in ein Behandlungszimmer.

      Lora setzt ihren Weg zu Catlyns Zimmer fort und denkt wehmütig darüber nach, dass dieser nur Dr. Piescher und sie als Freunde geblieben sind.

      Cats Großmutter, die sie groß gezogen, nach dem ihre Mutter sie zurückgelassen hatte,

      ist bereits verstorben.

      Ihre Mutter ist damals nach Amerika gegangen und hat nach kurzer Zeit den Kontakt abgebrochen. Catlyn weiß noch nicht einmal, ob ihre Mutter noch am Leben ist und so ist es weiterhin ein Geheimnis, wer Cats Vater ist.

      Sie, Lora und Catlyn, haben die in Kindertagen entstandene Freundschaft bis heute erhalten. Lora hat sich in all den Jahren, die Catlyn in der Klinik verbringen musste, treu und liebevoll um sie gekümmert.

      Lora kann es kaum fassen, dass Catlyn in die Freiheit entlassen wird und zählt in Gedanken die noch verbleibenden Stunden.

      Sie eilt gutgelaunt den Klinikkorridor entlang und schenkt Jedem ein strahlendes Lächeln. Vom Fenster aus sieht sie Catlyn im Garten auf einer Bank sitzen, die in ihr Tagebuch die letzten Eindrücke und Erlebnisse ihres Klinikaufenthaltes schreibt.

      Lora entnimmt dem Getränkeautomat zwei Becher Kaffee und eilt zu Catlyn. Bei ihr angekommen überfällt sie diese sogleich mit der Frage: „Na meine Liebe, wie fühlst Du Dich?“

      Catlyn schaut von ihrem Buch hoch und sprudelt los: „ Ich kann das Alles noch nicht fassen und glauben, ich bin Aufregung pur!“

      Besorgt hinterfragt Lora: „Du freust Dich, oder?“ Lora betrachtet dabei Catlyns Minenspiel genau, denn deren Stimme war anzumerken, dass sie etwas bedrückt. Catlyns Gesichtsausdruck wirkt nachdenklich und ihre Augen sind vor Angst verdunkelt.

      Lora hakt nach: „Sag schon!“ Catlyn, die nicht will, dass Lora ihre Unsicherheit spürt, antwortet betont froh: „Jaaa, ich freue mich!“ Lora noch immer nicht überzeugt: „Aber das klingt nicht so, was hast Du?“ Catlyn stammelt: „ Ich weiß einfach nicht, obwohl das Geschehene soweit zurück liegt, erscheint es mir, als wäre es gestern gewesen….“ Lora bestürzt: „Aber die Träume sind---------!“ Catlyn fällt Lora ins Wort: „Aber ich habe Angst, dass die Träume wieder kommen!!“ Lora versucht Catlyn zu beruhigen: „ Jetzt mach Dich nicht verrückt! Du hast verständlich Angst vor dem neuen Leben, aber glaub mir, das Leben da draußen hat sich kaum verändert. Du wirst Dich schnell daran gewöhnen und denken, Du wärst nie weg gewesen. Es ist vorbei, Deine Gefangenschaft, Deine Alpträume und Deine schlimmen Erlebnisse.

      Ich bin da und wir werden ein gemeinsames, neues, schönes Leben aufbauen. Du weist, meine Hilfe ist Dir sicher. Denke nicht mehr an das Vergangene zurück.“ Lora setzt sich neben Catlyn auf die Bank und beide versuchen sich zu beruhigen, was ihnen auch gelingt und so genießen sie den schönen Herbsttag.

      III.

      Kurz vor 15.00 Uhr. Dr. Piescher parkt vor dem Haus, in das Catlyn morgen einziehen wird. Er steigt aus, es fegt ein kühler Herbstwind durch die Straßen, wirbelt die gefallenen Kastanienblätter in alle Richtungen und im Kreis. Das Haus stammt aus den 1950ziger Jahren mit steilem Giebel und Sprossenfenster. Es ist weiß getüncht, das Dach mit roten Ziegeln gedeckt. Zur Straßenseite hin ist eine Veranda angebracht, über die man auch zum Hauseingang geht.

      Auf der Veranda liegen zwei Blätter der heutigen Morgenzeitung, die der Wind hin gefegt hat. Dr. Piescher glaubt diese im Vorbeigehen auf und öffnet mit seinem Schlüssel die Eingangstüre.

      Ein unangenehmer, ja unheimlicher, kalter Luftzug schlägt ihm ins Gesicht. Ihm ist, als wäre etwas Unsichtbares aus dem Haus geflohen. Dr. Piescher bekommt eine Gänsehaut, ein unangenehmes Gefühl beschleicht ihn.

      Er macht die ersten Schritte ins Haus, bleibt stehen und schaut irritiert zum Eingang zurück. Als er sich wieder ins Haus wendet, verzerrt sich sein Gesicht vor Entsetzen, seine faltige Haut ist bleich geworden und seine Augen irren erstaunt und ungläubig umher. Hier sieht es aus wie in einem Horrorhaus! Es herrscht eine Unordnung, so als hätte jemand in Hast und großer Wut Alles durchsucht. Sein Blick bleibt an der Wand im Wohnzimmer, das er eben betritt, hängen. Er liest die mit Kaminkohle geschriebenen Worte:

      Ich bin das, an was Du denkst!

      Ich bin das, an was Du glaubst!

      Ich bin das, was Du in mir siehst!

      Entsetzt prallt Dr. Piescher zurück. Seine Gedanken rasen: Hierher kommt morgen Catlyn! Es braucht Tage, diese Verwüstung zu beseitigen!

      Er eilt zu seinem Auto und greift sich sein Handy. Mit bebenden Fingern wählt er die Nummer seines Freundes. Sobald die Verbindung steht, sprudelt er ins Telefon: „Peter, ich bins. Du wirst es nicht glauben! Wie erkläre….“ Peter, der sich das ungewohnte Verhalten von dem sonst ruhigen und gesetzten Dr. Piescher nicht erklären kann, unterbricht: „Sag, was ist passiert?“ Dr. Piescher hat sich nun wieder in der Gewalt und so kommt seine Stimme ruhig bei Peter an: „ Ich bin vor dem Haus von Catlyn. Ich kann Dir gar nicht beschreiben, wie es in dem Haus aus

      sieht, es ist als hätte eine Bombe eingeschlagen!“

      Peter stammelt verwirrt dazwischen: „ Was, wir haben doch….“ Dr. Piescher erzählt, ohne auf den Einwand zu achten, weiter, wie und was er vorgefunden hat und Peter will nun wissen: „Warst Du schon im Obergeschoss und den anderen Räumen? Oder ist die Verwüstung nur im Wohnzimmer?“ Dr. Piescher ist auf dem Weg zurück ins Haus und gibt zur Antwort: „Das weiß ich noch nicht, werde aber sofort nachschauen.“

      Peter nun ebenfalls beunruhigt meint: „Ich komme! Ich werde mich beeilen und dann können wir vor Ort abklären, was zu tun ist, bzw. was wir tun können.“ Damit ist das Telefonat beendet. Dr. Piescher betritt das Haus. Er kann seinen Augen nicht trauen. Das Wohnzimmer sieht wieder so aus, wie es die Reinigungsfirma hinterlassen hat, Alles sauber, Alles ordentlich, Alles an seinem Platz. Die Schrift ist verschwunden und die Wand zeigt nur ihr perfektes Weiß.

      Dr. Piescher ruft sofort Peter an und sagt dessen Kommen ab. Er erklärt seinem Freund mit umständlichen Redewendungen, dass er einem Irrtum erlegen ist.

      IV.

      Früh am nächsten Morgen packt Catlyn in der Klinik ihre Sachen. Eine Krankenschwester, die Catlyn in ihr Herz geschlossen hat, hilft ihr dabei. Schwester Helene bemerkt: „Sie werden uns fehlen, Sie sind eine so angenehme Patientin, aber wir freuen uns natürlich für Sie, dass Sie nun entlassen werden.“ Catlyn kann nicht antworten, ihre Kehle ist wie zugeschnürt und so setzt sie sich schweigend