Bernd Franzinger

Lehrer Lämpel lebt!


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und streute die Krumen aus.

      »Enten sind ja auch nur Menschen«, polterte der Mann von der Sitzbank her..

      »Wie?«, gab Lämpel irritiert zurück, ohne den Schreihals auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen.

      »Na ja, wir stellen doch auch alles Mögliche an, nur um etwas zu Fressen zu kriegen.«

      Ist das ein vulgärer Mensch, dieser Landstreicher, dachte Lämpel bei sich, während er die zartgelben, putzigen Entenküken beim Streit um einen dicken Brösel beobachtete.

      »Von den Tieren kann man viel über die Menschen lernen. Ich sitze manchmal den ganzen Tag hier am See rum und beobachte die Tiere.« Der Mann lachte auf. »Manche Menschen sind schon komische Vögel, gell?«

      Dieser unflätige Rohling meint garantiert mich damit, schoss es Lämpel durchs Hirn.

      »Womit verdienen denn Sie die Brötchen, die sie gerade verfüttern?«, legte der Mann nach. Ein hüstelndes Kichern erklang.

      »Wahrscheinlich ködern Sie damit die Enten und wenn keiner zuguckt, schlagen Sie ihnen die Köpfe ab und verkaufen sie schwarz an irgendeinen versoffenen Gastwirt. Stimmt’s, Sie alter Gauner? Na, womit machen Sie denn nun Ihre Kohle? Raus mit der Sprache!«

      Das primitive, unverschämte Gebaren dieses dahergelaufenen Vagabunden schrie geradezu nach Maßregelung, fand Lämpel. Schließlich war er ein gestandener Schulmeister – und somit eine Respektsperson, mit der niemand in dieser Art und Weise ungestraft umspringen durfte.

      Außerdem hatte er als Lehrer immer und überall einen Erziehungsauftrag zu erfüllen, auch wenn es sich wie in diesem Fall um einen höchstwahrscheinlich einwirkungsresistenten Zeitgenossen handelte.

      Natürlich konnte er diesen Menschen schlecht übers Knie legen, wie er es früher mit einem ungezogenen Schüler getan hatte. Was er sehr bedauerte, denn die fast mit der Hand zu greifenden Weidenruten hätten sich prächtig als Züchtigungswerkzeug geeignet.

      Lämpel grübelte angestrengt über eine geeignete Sanktionsmaßnahme nach. Schließlich wählte er eine perfide Form der Bestrafung, eine, die diesem ungehobelten Klotz durch die Blume genau das sagen würde, was es zu seinem indiskutablen Verhalten zu sagen gab. Lehrer Lämpel lächelte, wandte sich zu dem Barbaren um und verkündete wohlintoniert:

      »Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,

      Wie eine der langbeinigen Zikaden,

      Die immer fliegt und fliegend springt

      Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;

      Und läg er nur noch immer in dem Grase!«

      Lämpels Stimme schwoll zu einem Donnergrollen an:

      »In jeden Quark begräbt er seine Nase.«

      Der trotz der frühsommerlichen Temperaturen mit Hut und langem schwarzem Mantel bekleidete Fremde erhob sich und nahm ebenfalls eine theatralische Pose ein:

      »Hast du mir weiter nichts zu sagen?

      Kommst du nur immer anzuklagen?

      Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?«

      Geschockt von der Fortführung seiner Faust-Rezitation glitt Lämpel die Tüte aus der Hand. Zwei Enten steckten die Hälse hinein und schnappten nach den Brötchen.

      »Da staunet nun der werte Herr nicht schlecht«, reimte der Mann weiter.

      Er wartete auf eine Reaktion, aber Lämpel war dazu nicht in der Lage. Er war stocksteif gefroren, nur sein Unterkiefer bewegte sich immer weiter nach unten.

      »Wie Sie hören, kenne auch ich diese schöne Passage über die Neugierde, die Goethe Mephistopheles in den Mund gelegt hat«, fuhr der Mann grinsend fort.

      Er strich sich über seinen Dreitagebart und verlagerte sein Gewicht nach vorne. »Wobei ich leider eingestehen muss, dass die letzte Zeile nicht vom Meister selbst, sondern von mir stammt.«

      Immer noch keine Reaktion Lämpels.

      »Ja, ja, das mit der höheren Bildung ist schon eine verflixte Sache«, tönte die Männerstimme unverdrossen weiter. »Dem einen Menschen sieht man sie gleich auf den ersten Blick an, dem anderen dagegen nicht.«

      Peinlich berührt kniete Lämpel nieder, fischte die Brötchen aus der Papiertüte und rupfte sie auseinander.

      »Wenn Sie so unglaublich belesen sind, spielen Sie bestimmt auch Schach, oder?«

      »Ja, das tue ich«, gab Lämpel über die Schulter zurück.

      Ein wenig zu voreilig, wie ihm schlagartig klar wurde. Vor 150 Jahren war er zwar ein passabler Schachspieler gewesen, der sogar den bester Spieler der Gegend ab und an Matt setzen konnte. Aber war er auch gut genug, um diesen gebildeten Vagabunden zu besiegen? Vor allem nach der langen Spielpause?

      Ach was, nur Mut, feuerte er sich selbst an. Dass dieser ungehobelte Geselle aus dem Faust zitieren konnte, war bestimmt nur Zufall. Wahrscheinlich hat er irgendwann einmal den Prolog im Himmel auswendig lernen müssen.

      Nein, ich muss gegen ihn antreten. Lämpel verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Ich werde ihn besiegen und ihm sein vorlautes Maul stopfen.

      »Na, wie wär’s mit einer zünftigen Partie?«, legte die Stimme in seinem Rücken nach.

      »Hier am See?«

      »Ja, warum denn nicht?« Der Mann hielt ein kleines Schachbrett in die Höhe. »Ich habe schließlich alles dabei, was wir dazu brauchen: ein Brett mit 64 Feldern, 32 Figuren, und einen Tisch haben wir auch.«

      Er wies auf eine Sitzgruppe hin, die sich unmittelbar am Seeufer befand und den Besuchern zum Picknicken diente.

      »Aber wenn Sie wollen, können wir natürlich auch in eine Wirtschaft gehen und einen zwitschern. Dann spiele ich allerdings noch besser«, posaunte er lauthals hinaus.

      Die Vorstellung, gemeinsam mit diesem merkwürdigen Vagabunden in eine Gaststätte einzukehren, behagte Lämpel ganz und gar nicht.

      »Nein, wir bleiben lieber hier in der schönen Natur, wo die frische Luft den Geist beflügelt«, lehnte er deshalb den Vorschlag ab.

      »Auweia, auch noch so ein verschrobener Naturapostel«, spottete der Schachspieler. »Na, dann setzen Sie Ihr klappriges Fahrgestell mal in Bewegung und eilen hierher zu mir zum Ort Ihrer vernichtenden Niederlage.«

      Widerwillig drückte sich Lämpel in die Höhe und schlurfte betont gemächlich zu einem Holztisch, der aus zwei stützenden Eichenpfählen und einer faustdicken Stammholzplatte zusammengesetzt war.

      Der verwegen aussehende, circa 1, 85 m große Mann richtete sich auf, streckte Lämpel die Hand entgegen und lupfte dazu seinen breitrandigen, schwarzen Hut.

      »Rheinhold Eschenfelder«, stellte er sich vor.

      »Lämpel«, erwiderte sein Gegenüber mit scharfer Klangfärbung versetzt.

      »Wie dieser verknöcherte Lehrer aus ›Max und Moritz‹?«, fragte Eschenfelder. Er prustete los und musterte Lämpel von oben bis unten. »Ähnlich sehen Sie dieser verschrobenen Gestalt schon irgendwie.«

      Verknöchert? Verschroben?, wiederholte der ehemalige Schulmeister im Stillen. Na, dir werde ich gleich eine Lektion erteilen, die du dein Leben lang nicht mehr vergessen wirst, grollte er.

      Eschenfelder grinste breit. Anschließend verkündete mit ernster Miene: »Das war doch der Lehrer mit dem legendären Ausspruch ›Also lautet der Beschluss, dass der Mensch was lernen muss‹, nicht wahr?«

      »Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss«, korrigierte Lehrer Lämpel. »Wenn man schon Wilhelm Busch zitiert, sollte man ihn auch richtig zitieren«, belehrte er weiter.

      Jawohl, gib’s diesem kulturlosen Banausen!, feixte die Stimme des Dichters in Lämpels Kopf.

      »Der werte Herr ist wohl einer, der immer alles ganz genau haben