Jutta Berg

Online am Abgrund


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nach Berlin. Wollte doch für meine Familie da sein. Ich habe dann in einem Altenpflegeheim Arbeit gefunden, wo ich auch jetzt noch arbeite, aber nur noch einen Monat. Die Altenpflege ist anstrengender als die Krankenpflege - dieses Jahr war absolut kein gutes Jahr für mich. Habe wieder mit dem Ritzen angefangen und esse sehr unregelmäßig - denke wieder an Suizid. Nächstes Jahr fange ich dann wieder in einer Klinik an zu arbeiten - brauche einfach wieder einen Wechsel, der hoffentlich besser ausgeht (aber ehrlich gesagt, denke ich nicht mehr an eine gute Wende). Ich habe Angst vor diesem, erneuten Neueinstieg in einem neuen Team.

      Was soll ich mit diesen vielen Narben am Arm machen? Noch kann ich sie gut unter einem Pullover oder einer Strickjacke verstecken - aber im Sommer? Ich fange nun an mir Hilfe im Internet zu suchen, war auch schon einmal in einer Beratungsstelle. Dort wurde gesagt, dass ich die Arbeitsstelle dringend wechseln sollte und eigentlich bin ich auch recht positiv aus diesem Gespräch gegangen - nun denke ich schon es war zu positiv. Denn soo einfach, wie es sich im Gespräch gemacht hat, ist das im wahren Leben eben nicht. Nun habe ich keine Motivation noch einmal da hin zu fahren, habe einen zweiten Termin abgesagt und auch gesagt, dass kein weiteres Gespräch nötig sein wird. Trau mich gar nicht noch mal da aufzutauchen.

      Da ich lange Zeit weit weg gewohnt habe und ich auch nicht gut für den Erhalt von Freundschaften gesorgt habe, habe ich nun Niemanden, dem ich mich anvertrauen kann. Jetzt wünsche ich mir so sehr Jemanden, der mich begleitet und mir Anschub gibt. Ich habe einfach keinerlei Hoffnung mehr mein Leben so zu verändern, dass es mir wieder Spaß machen könnte. Stattdessen verbiege ich mich, um in dieses Dahinleben zu passen und Allen gerecht zu werden. Mein Ritzen hat extrem zugenommen in den letzten 2 Monaten und der Grund muss nicht einmal sehr bewegend sein, um tiefe Wunden entstehen zu lassen. Es kommt mir schon vor wie eine Sucht, die ich manchmal brauche um besser einschlafen zu können oder den Arbeitstag zu überstehen. So, nun bin ich erstmal KO und Sie, wer auch immer das lesen wird, sicher auch bei so viel Text.

      Wenn mich jetzt mein Gegenüber wieder fragen würde: "Wie kann denn die Hilfe aussehen, die du brauchst?" Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung was mir helfen könnte. Zur Zeit versuche ich einfach so wenig wie möglich zu ritzen und ab und zu auch was zu essen. Aber ich weiß, so kann das nicht mehr lange weiter gehen. Suizid? - wird mir schwer fallen. Aber nur weil ich mich vor Gott schon genug schäme, für das, was ich meinem Körper antue. Ich bin katholisch erzogen und fühle mich auch nicht gut bei dem, was ich mit meinem Leben anstelle. Manchmal bete ich und hoffe, dass alles bald vorbei sein wird - egal wie. Danke fürs Lesen und die Möglichkeit, auf diesem Wege eine Rückmeldung und Beratung zu erhalten.

      Jule

      Am 01.01.2011 um 18:20

      schrieb: Jutta

      Betreff: Re: Notruf zum Thema Selbstverletzung

      Liebe Jule, ich heiße Jutta und war von Deiner Ausdrucksweise angesprochen, so dass ich mir vorstellen kann, dass unser Kontakt etwas Gutes bringt. Erstmal alle Achtung, dass Du den Beruf trotzdem gelernt hast und auch ausübst, obwohl es Dir so schwer fällt. Die einzige Zeit, in der Du nicht geritzt hast, war ja die Zeit weit weg von zu Hause. Meinst Du durch Distanz zu Deiner Familie würdest Du mehr Ruhe haben? Mehr Frieden?

      "Ich kann niemandem ins Gesicht sagen wie schlecht es mir wirklich geht, schreiben geht halt noch ganz gut." Warum ist das so? Was ist daran so schlimm, jemand zu sagen, wie es Dir geht? Wer wäre denn da, um es zu hören? Und wie würde der nach dem Schreck reagieren? Hat Deine Schwester wirklich Krebs? Was machst Du in Deiner Freizeit? Berlin hat doch so tolle Möglichkeiten.

      Du hast scheinbar ein Gottesbild, das einem strafenden Gott gleichkommt, der ständig aufpasst, ob wir was falsch machen. Man überträgt halt oft die Erfahrungen mit dem eigenen Vater auf Gott. Ich glaube an einen liebenden, gütigen Gott, der uns das Leben und seine Liebe schenkt. Wie denkst Du darüber? Hast Du Kontakte zu Christen? Kennst Du z.B. Taizé?

      Viele Fragen fürs erste Mal, ich hoffe, ich habe Dich nicht erschreckt! Liebe Grüße, Jutta

      Am 01.01.2011 um 21:50

      schrieb: Jule22

      Betreff: gute Fragen

      Hallo Jutta, puh- so viele Fragen. Das Geschwür meiner Schwester ist bisher noch gutartig und wird nur weiter beobachtet, die Angst bleibt trotzdem. Wegen ihr bin ich auch wieder nach Berlin gezogen. Sie ist bis jetzt noch der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich hatte mit ihr auch viel Kontakt, als ich noch in Bayern war. Sie hat mir dann immer erzählt wie schlimm es für sie ist, wenn sich unsere Eltern wieder in den Haaren haben, oder unser Bruder mit dem Vater. Ich habe mir in der Zeit echt Sorgen um sie gemacht, wo ich doch weiß,wie es Zuhause ab geht. Eine SMS von ihr hat mich sehr verunsichert, wörtlich entnommen: "Die Feier war mit Papa doch ziemlich anstrengend. Besonders vorher und danach gab es einige Zusammenstöße. Papa dreht immer mehr frei. Wird Zeit, dass ich hier rauskomme!" Ich hatte immer das Gefühl, dass ich geflohen bin, aber meine Schwester allein gelassen habe mit den Problemen Zuhause.

      So, nun mal zu den anderen Fragen. "Meinst Du durch Distanz zu Deiner Familie würdest Du mehr Ruhe haben?" Ja, das Verhältnis unter meinen Eltern und mir war in der Zeit viel besser. Einmal die Woche telefonieren hat ausgereicht, um sich auszutauschen. Wenn ich im Urlaub mal ein paar Tage zu Hause war, wollte ich schon bald wieder in meine eigenen 4 Wände. Am Anfang war es schwer mich von meiner Schwester zu trennen, haben wir doch seit meiner Geburt ein Zimmer geteilt und nie allein geschlafen. "Mehr Frieden?" Ja, ich musste nicht ständig die Konflikte meiner Eltern mit anhören und war nicht meinem Bruder, der mich und meine Schwester früher schlug oder bedrohte, ausgeliefert. Überhaupt stehe ich nicht in engem Kontakt zu meinem Bruder. Er aber will mich immer umarmen, wenn ich jetzt mal komme. Er hat sich ja auch etwas geändert, aber ich kann nicht vergessen was er damals tat. Ich weise ihn dann immer zurück und er scheint gar nicht zu verstehen warum.Ich mag auch so keinen körperlichen Kontakt zu jemand anderen. Das Händeschütteln zur Begrüßung ist für mich schon Überwindung - muss aber halt manchmal sein.

      "Ich kann niemandem ins Gesicht sagen, wie schlecht es mir wirklich geht, schreiben geht halt noch ganz gut." Warum ist das so? Gute Frage! Ich schäme mich vielleicht meine Schwäche zu zeigen, habe Angst andere unruhig zu machen. Aber auch wenn mich meine Eltern fragen wie es mir geht, sage ich immer, es geht mir gut. Seit ich meiner Mutter einmal gesagt habe wie schlecht es mit geht und es ja doch keine Hilfe darauf gab, finde ich es auch unnötig meine Eltern über meine Gefühle in Kenntnis zu setzen. Außerdem bin ich jetzt alt genug, um selbst mit meinen Problemen fertig zu werden. Mein Vater ist ganz stolz auf mich (wo ich doch die Jüngste bin), dass ich mein Leben schon allein finanziere, so sicher in den Bergen Auto fahre und alles, auf was ein Papa halt so stolz sein kann.

      Ich habe Angst vor der Reaktion meiner Eltern, wenn sich ihr doch allzu perfektes Kind, als das 3. Sorgenkind outet. Die Reaktion von Fremden, wie z.B. in der Beratungsstelle, kann ich da schlecht einschätzen. Aber damit man mich nicht für total krank hält, habe ich dort auch nichts von Suizidgedanken gesagt. Und dir sage ich davon jetzt auch nur was, weil ich weiß, dass du mich nicht siehst, nicht anfassen kannst oder mich gar in eine Klinik schicken. Ja, ich glaube, ich habe Angst davor, dass jemand mein Leben komplett auf den Kopf stellen könnte. Dass alles, was ich jetzt noch im Anschein habe, auch noch weg bricht und ich ganz neu in ein anderes Leben starten muss. Außerdem siehst du jetzt nicht wie mein Herz rast, wenn ich das hier schreibe oder wie mein Gesicht aussieht. Die Frage hat es in sich, also die nächste erstmal: "Wer wäre denn da, um es zu hören?" Niemand! Jeder hat genug eigene Probleme. Und den Kontakt zu Freunden hab ich verloren. Meine Familie ist zwar groß, aber ein vertrauter Kontakt herrscht schon lange nicht mehr. Meine Mutter hat mir auch verboten, mit meiner Oma über schwierige Situationen zu sprechen, z.B. als ich Probleme auf Arbeit hatte oder ein Vorstellungsgespräch nicht gut war. Sonst verstehe ich mich mit meiner Oma echt gut, wir sagen uns alles, aber meine Mutter möchte sie nicht zu sehr belasten, wo doch Opa Krebs hat. Um Andere zu schonen muss ich halt meinen Mund halten und bin nun schon soweit, mir von Fremden Hilfe zu suchen. "Und wie würde der nach dem Schreck reagieren?" Das trifft dann wohl nicht zu. "Was machst Du in Deiner Freizeit?" Ich singe im Kirchenchor, wenn es die Arbeit halt zulässt. Habe in Bayern mit dem Reiten