Sandra Andrea Huber

Fühl, was du fühlst


Скачать книгу

und Ananas? Hm.“ Da ich in der Mittagspause zum letzten Mal etwas gegessen habe und das Popcorn im Kino meinen Appetit nur noch mehr angeregt hat, könnte ich gefühlt die ganze Speisekarte ordern. Experimente erscheinen mir ebenso verlockend wie bekannte Gerichte, was etwas heißen will. Ich kenne das Angebot so gut wie auswendig – Anne und ich essen öfter hier –, habe allerdings erst einen kleinen Teil der Gerichte probiert. Meistens neige ich dazu, mein Leibgericht zu bestellen: Lasagne. Das kann ich überall und zu jeder Zeit essen.

      Dass ich es irgendwann satt habe, im wahrsten Sinne des Wortes, kann ich mir nur schwer vorstellen. Insbesondere, wenn meine Mutter die gratinierten Nudelplatten zubereitet hat. In Sachen Pizza und Pasta mag Italien die Nase vor allen anderen Ländern haben, in Punkto Lasagne geht die Krone jedoch an meine Mutter. Das stellt sie nicht nur bei diesem Gericht, sondern auch bei Rouladen unter Beweis. Und bei Kartoffelsuppe. Und Schaschlik. Bei Muttern schmeckt´s eben doch am besten.

      „Ich muss dir was erzählen.“

      „Nur raus damit“, entgegne ich beiläufig, sehe aber nicht auf, weil ich immer noch nicht weiß, ob ich das Tagesgericht probieren, den gemischten Salat mit Pute und Ei oder doch wieder meinen persönlichen Klassiker bestellen soll. Oder vielleicht doch Pizza Hawaii?

      „Ich bin schwanger.“

      Eine Sekunde bin ich überzeugt, jemand hätte mir eine Ohrfeige verpasst. Nicht weil meine Wange heiß pocht, sondern weil Annes Worte so unerwartet auf mich nieder-gesaust sind, wie es auch eine Ohrfeige an sich hat. Die Karte, in die ich bis gerade eben vertieft war, sinkt langsam zur Tischplatte, während ich meine beste Freundin anstarre, als sähe ich sie zum ersten Mal.

      „Ich bin schwanger!“, wiederholt Anne die drei kurzen, aber gewichtigen Worte, diesmal etwas lauter als zuvor. Ihre Stimme schlägt regelrecht Purzelbäume, so viel Euphorie schwingt darin mit.

      War der Raum bis eben erfüllt von geschäftiger Lebendigkeit, ist es mit einem Mal still, so als hätte jemand den Ton abgedreht oder den Lauf der Zeit zum Stillstand bewogen. Die Gespräche der anderen Gäste, das klirrende Geschepper essender Menschen, alle äußeren Geräusche sind mit einem Mal verstummt und aus meiner Wahrnehmung verschwunden. Dafür geht es in meinem Kopf drunter und drüber. Gedanken, Bilder und Fragen schießen vorbei, so irrsinnig schnell, dass ich sie registrieren, aber unmöglich in ihrem Inhalt erfassen oder gar in Erinnerung behalten kann.

      Dann, einen Sekundenbruchteil später, ist alles wieder normal und mein Kopf leergefegt, als hätte jemand den Reset-Knopf gedrückt.

      Die über Teller kratzenden Gabeln und Messer, die in Tassen umrührenden Löffel und das angeregte Stimmengewirr sind zurück, ebenso schlagartig, wie sie zuvor entschwunden sind. Ich bin mir wieder bewusst, dass wir mitten in einem gut gefüllten Lokal sitzen, vor uns rote Stoffservierten mit Silberbesteck liegen und eine Kerze in der Mitte des Tisches brennt, die die Bedienung entzündet hat, als sie unsere Getränkebestellung entgegengenommen hat.

      Anne sieht mich nach wie vor an, erwartungsvoll und strahlend, wie eine Miniaturausgabe der Sonne. Ihr kupferfarbenes, dickes Haar ist zu einem seitlichen Zopf geflochten, der auf ihrem Schlüsselbein ruht, die hellbraunen Augen leuchten und die überaus zahlreich gestreuten Sommersprossen auf der hellen Haut verleihen ihr einen neckischen Touch, der, zusammen mit den Haaren, an eine Elfe oder aber an einen Verwandten der Weasleys erinnert.

      Ich bin kein krasses Gegenbild, bilde mit meinem dunkel-blonden Haar, dem goldigen Teint und den grün-braunen Augen aber auf jeden Fall einen Kontrast zu meiner Freundin. Während ich mehr zu casual und unifarbener Kleidung neige, greift Anne mehr zu verspielt und romantisch. Ich trage die Haare gelegentlich offen, Anne so gut wie immer hochgesteckt oder geflochten. Sie hat überaus volle Lippen, ich hingegen normale.

      Manchmal beneide ich sie deswegen. Ein Kussmund gilt gemeinhin als ausgesprochen weibliches Attribut. Man denke nur an Scarlett Johansson oder Megan Fox – welcher Mann würde diese Lippen nicht gerne küssen?

      Andererseits bin ich froh den Mund zu haben, den ich habe. Ich kann mir vorstellen, dass mir eine derartige Aufmerksamkeit auf Dauer zu viel oder gar unangenehm wäre. Auch wenn volle Lippen in der Tat anziehend und schön anzusehen sind, von weiblicher ebenso wie von männlicher Seite.

      Warum ich gerade jetzt über unsere äußerlichen Unterschiede nachdenke, weiß ich nicht, noch kann ich sagen, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, aber schließlich kommt Bewegung in mich. „Das ist ja großartig!“ Ich beuge mich seitlich an der Kerze vorbei und drücke Anne einmal fest, ehe ich abermals meine Begeisterung bekunde. „Herzlichen Glückwunsch!“

      „Danke.“ Anne schenkt mir ein breites Grinsen.

      „Warum rückst du erst jetzt damit raus?“

      „Ich dachte, ich warte bis nach dem Kino, damit wir ausgiebig darüber reden können, ohne dass man uns mit Popcorn bewirft oder mit rüden Beschimpfungen aus dem Saal jagt.“

      „Sehr umsichtig von dir.“

      Um ihre Augen bilden sich kleine Lachfältchen.

      „Wie lange weißt du es denn schon?“

      „Eine Weile, aber ich wollte es für mich behalten, bis die kritische Phase vorbei ist. Viele Frauen verlieren ihr Kind während der ersten Wochen. Stell dir vor, du posaunst gleich nach dem Test aus, dass du schwanger bist und dann hast du eine Fehlgeburt. Das jedem Einzelnen auf die Nase zu binden“, sie verzieht das Gesicht, „der blanke Horror.“

      „Allerdings.“ Ich nicke verständnisvoll und verhake meine Finger ineinander, um nicht mit meiner Serviette oder dem Besteck herumzuspielen. „Im wievielten Monat bist du denn jetzt?“, starte ich einen zweiten Anlauf, da ich immer noch keine klare Antwort habe. „Sehen kann man ja noch nicht viel.“

      „In der vierzehnten Woche, da lässt es sich noch gut verstecken.“ Sie streicht ihre geblümte Tunika glatt, um auf einen kleinen Bauchansatz zu zeigen. „Aber warte nur, das geht ganz schnell und dann schiebe ich mit einem Mal eine dicke Kugel vor mir her.“

      Ich nicke, gedankenverloren und immer noch auf ihren Bauch starrend. „Und wie hat Thomas reagiert? Hast du mir nicht erst kürzlich erzählt, dass es in der Kanzlei enorm stressig ist und er viele Überstunden machen muss? Wäre es da nicht besser gewesen, abzuwarten, bis das Ganze über die Bühne ist?“

      „Schon“, erwidert Anne gedehnt, zugleich eine Schnute ziehend. „Aber bis das Baby da ist, vergeht ja auch noch mal eine ganze Weile. Außerdem lässt sich das nicht termingerecht planen, da ist Mutter Natur eigen. Viele Paare wünschen sich ein Kind und dann passiert jahrelang nichts. Wir hatten echt Glück, dass es so schnell geklappt hat.“ Sie zwinkert mir zur.

      „Da hast du wohl recht“, sage ich und füge noch mit einem Schmunzeln hinzu: „Und Retoure schicken funktioniert in dem Fall ja nicht.“

      „Es war total lustig“, kichert Anne, ganz in ihren Erinnerungen schwelgend. „Thomas hat dreimal ´Bist du sicher?!` gefragt, ehe der Groschen endlich gefallen ist und er nicht mehr wie ein U-Boot dreingeschaut hat. Ich glaube, dass ihm erst jetzt, nach und nach bewusst wird, was da auf ihn zukommt. Pech für ihn, dass er nicht mehr aus der Sache rauskommt, egal wie eingeschüchtert er mit einem Mal ist.“

      Obwohl ich mich ganz auf das Gespräch zu konzentrieren versuche, spielt sich hintergründig immer noch eine Menge seltsamer Dinge in meinem Inneren ab. Irgendetwas scheint aus dem Gleichgewicht geraten. Meine Bewegungen fühlen sich hölzern an, meine Stimme klingt mir in den Ohren wider, als würde sie von einer alten, rauschenden Schallplatte abgespielt werden und keinesfalls mir gehören. Weder kann ich sagen, woher das kommt, noch, was es zu bedeuten hat.

      Ich atme tief aber betont unauffällig durch, versuche mich zu sammeln und wieder ganz auf meine Freundin zu konzentrieren, die nach dieser großen und bahnbrechenden Neuigkeit meine ungeteilte Aufmerksamkeit verdient.

      „Ich freue mich wirklich riesig für dich – für euch beide! Du wirst sicher eine tolle Mama und Thomas ein toller Papa! Stell dir nur vor, in … wann?“ Ich überschlage kurz. „Fünfeinhalb Monaten hältst du ein