Sandra Andrea Huber

Fühl, was du fühlst


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den Zigaretten gelassen, zumindest zuweilen, wäre er vielleicht nicht mit vierundsechzig gestorben und hätte sich noch länger an Klassikern wie Spiel mir das Lied vom Tod, Zwei glorreiche Halunken oder Hängt ihn höher erfreuen können. Ebenso wie ich mich länger an ihm und seinen Vorträgen über die Rolle der Frau hätte erfreuen können.

      Tja, man kann sich seine Verwandtschaft eben nicht aussuchen. Sie ist und bleibt eine Flickendecke oder, hübscher ausgedrückt, Patchwork-Art, bestehend aus einer Vielzahl bunter Persönlichkeiten, verbunden durch den gleichen Faden, was im übertragenen Sinne auf die gesamte Weltbevölkerung zutrifft. Jeder Mensch hat seine Eigenheiten, Prinzipien und Laster, der eine mehr, der andere weniger stark ausgeprägt.

      Meine Laster sind beispielsweise Pistazieneis, Milchschokolade und Lakritze, ebenso wie die Düfte von Escada, Fotomagazine und Sneakers. Dass ich mein Bett nie unordentlich zurücklasse oder mir die Hände zu oft wasche, gehört definitiv zu meinen Eigenheiten und was meine Prinzipien angeht: Vielleicht bin ich dafür noch zu jung. Damit will ich nicht sagen, dass achtundzwanzig jung ist, auch nicht alt, aber ich könnte nicht sagen, woran ich eisern und unbeirrbar festhalte oder glaube.

      Die Sender einmal rauf- und runtergezappt und die Hoffnung auf einen passablen Film schon beinahe aufgegeben, werde ich schließlich doch noch fündig. Ein Thriller mit Sandra Bullock, egal wie alt, ist immer sehenswert. Irgendwann gegen zwei Uhr läuft der zweite Filmabspann ab, ebenfalls ein älterer Streifen, diesmal mit Michael Douglas in der Hauptrolle. Unmittelbar darauf flimmert die Werbeeinblendung einer Sex-Hotline über den Bildschirm und ich drücke den Off-Knopf auf der Fernbedienung.

      „Zeit fürs Bett, Dickerchen“, erkläre ich meinem Kater, der sich nach seinem Abendmahl und einigen akrobatischen Manövern über meine Schultern und meinen Kopf hinweg auf meiner Brust zusammengerollt hat. Als ich mich aufrichte, rollt er rückwärts auf die Couch, öffnet die Augen und bedenkt mich mit einem zerknautschten Blick, der wohl so etwas sagen soll wie: Hey, was soll das?

      Mein Mitleid für ihn hält sich jedoch in Grenzen. Es heißt nicht umsonst Katzen hätten neun Leben. Sie sind überaus zähe Tiere und es schadet ihnen gar nicht, wenn es einmal nicht nach ihrer Nase geht oder sie – wortwörtlich – auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden.

      Am Ende knicke ich allerdings doch wieder ein und kraule das rot-weiße Fellknäuel hinter den Ohren, was mit einem versöhnlichen Schnurren seinerseits belohnt wird.

      Nachdem ich mir die Zähne geputzt und mich abgeschminkt habe, krieche ich ins Bett, ziehe die Beine zum Körper hin und verharre eine Weile in dieser Position, ehe ich mich auf den Rücken drehe. Den Blick auf die Zimmerdecke geheftet, lasse ich den Abend gedanklich Revue passieren. Immer und immer wieder, Detail für Detail. Anfangs, weil ich nicht anders kann, irgendwann, weil ich es will, vielleicht auch andersherum.

      Ich denke an Annes Gesichtsausdruck, das freudige Strahlen in ihren Augen, an ihre Stimme, die sich beim Reden fast überschlagen hat, vor lauter Glück.

      Wieso hat mich ihre Schwangerschaft nur derart aus der Bahn geworfen? Warum hab ich mich um jedes Wort, um meine Mimik bemühen müssen, wo das doch ganz selbstverständlich hätte sein sollen? Immerhin hat Anne mir von einer besonderen Veränderung in ihrem Leben erzählt und nicht von etwas, das mich schocken sollte. Das Überraschungsmoment war nachvollziehbar, aber alles danach?

      Weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass ich mich Anne gegenüber wie eine Schauspielerin verhalten habe, versuche ich mir alles in Erinnerung zu rufen, was ich zu ihr gesagt habe. Ich will nachspüren, ob ich wirklich gemeint habe, was ich gesagt habe oder ob etwas davon gelogen war. Nach ein paar Augenblicken stelle ich erleichtert fest, dass es das nicht war. Was ich zu Anne gesagt habe, war erst gemeint.

      Seit der Grundschule sind wir beste Freundinnen und ich gönne ihr alles Glück der Welt. In Annes Fall liegt das vor allem darin, eine eigene Familie zu gründen und Mama zu werden. Ehemann, zwei bis drei Kinder, Eigenheim, weißer Gartenzaun, großer Garten und Hund - so lässt sich der Lebenstraum meiner Freundin umschreiben. Möglicherweise ist der weiße Gartenzaun etwas zu dick aufgetragen, aber es bringt das Entscheidende gut auf den Punkt. Thomas, den ehrgeizigen Anwalt und Mann ihres Herzens, hat Anne während eines Firmenevents kennen und bald auch lieben gelernt. Nach dreijähriger Beziehung sind die beiden letztes Jahr vor den Traualtar getreten und kurz darauf in das Reihenhaus einer Neubausiedlung gezogen, womit sich ein Großteil von Annes Lebensträumen bereits erfüllt hat.

      In Hinsicht darauf war mir natürlich bewusst, dass es lediglich eine Frage der Zeit ist, bis meine Freundin die Worte ausspricht, die sie heute ausgesprochen hat. Allerdings habe ich weder so bald, noch am heutigen Abend mit ihnen gerechnet. Womit ich ebenfalls nicht gerechnet habe, war meine Reaktion.

      Ich schätze, ich habe einfach nur Angst, dass ich abgemeldet bin, sobald das Baby da ist – was natürlich Blödsinn ist. Klar, es wird sich etwas verändern und ich werde Anne, vor allem anfangs, weniger zu Gesicht bekommen, aber deshalb bin noch lange nicht aus ihrem Leben gestrichen. Womöglich trauere ich einfach ein bisschen, weil abermals eine Ära zu Ende geht. Zu Schulzeiten, wenn man noch Zuhause wohnt, übernachtet man häufig bei Freunden und andersherum. Später, wenn dann Männer und eine eigene Wohnung ins Spiel kommen – oder beides zusammen – hört das zwangsläufig auf. Nachwuchs stellt eine ähnliche Veränderung dar. Er läutet unweigerlich einen neuen Abschnitt mit neuen Rahmenbedingungen ein. So ist das Leben. Ständige Veränderung.

      Ich gähne ausgiebig, drehe mich wieder auf die Seite und schließe die Augen. Genug gegrübelt, Zeit zum Schlafen.

      Tiefe, beruhigende Atemzüge nehmend, kuschle ich mich noch dichter unter die Bettdecke und versuche meinen Kopf zu leeren, die Ereignisse aus der Arbeit, den Kinofilm und insbesondere das Abendessen mit Anne loszulassen.

      Mein Plan will jedoch nicht aufgehen. Nach gefühlten tausend Atemzügen und Malen des Herumwälzens bin ich immer noch wach und kurz davor, mit Händen und Füßen auf die Matratze einzuschlagen, weil ich das Karussell in meinem Kopf weder anhalten noch davon abspringen kann.

      Zeus hat sich längst aus dem Staub gemacht, um sich einen anderen Schlafplatz zu suchen. Einen, an dem er nicht andauernd Kicks und Tritte kassiert und Gefahr läuft, jeden Moment aus dem Bett zu fallen. Ich werde ihn morgen wohl im Wohnzimmer vorfinden – sofern er vorher nicht mich gefunden und nach Essen oder Aufmerksamkeit verlangt hat, was, in Anbetracht meiner Stellung als sein Personal, so gut wie unausweichlich ist.

      Ich rolle mich auf den Bauch, auf den Rücken, winkele die Beine an, strecke sie breit von mir, lege mich sogar mit dem Kopf ans Fußende, doch egal, was ich probiere, nichts führt dazu, dass ich zur Ruhe komme. Ich bin hundemüde und zugleich hellwach.

      Irgendwann ist die im Zimmer hängende Dunkelheit nicht mehr undurchschaubar und wenn meine Ohren mir keinen Streich spielen, ist von draußen vereinzeltes Vogelgezwitscher zu hören. Beides stimmt mich wenig glücklich, weil es ganz danach aussieht, als sei es inzwischen bedeutend später als zwei Uhr.

      Ich angle mein Handy vom Nachttisch, wobei ich es fast zu Boden werfe. Das Display zeigt kurz nach halb fünf und bestätigt meine Vermutung die Zeit betreffend. Großartig, einfach großartig!

      Ich liebe das Farbenspiel eines anbrechenden Tages, wenn der dunkle Himmel einem immer helleren Grau weicht, sich nach und nach zu einem Orange, Rot und Gelb bis hin zu einem Blau wandelt. Ich liebe es, wenn – und nur wenn! – ich mich nach einer angenehmen Nachtruhe strecke und die Vorhänge beiseiteschiebe. Was ich jedoch auf den Tod nicht ausstehen kann, ist, wenn die Sonne aufgeht, ohne dass ich überhaupt die Augen zugemacht habe. Das fühlt sich für mich an, als wäre ich aus dem Rhythmus gefallen, an dem die Welt und Menschen sich orientieren und entlang bewegen.

      Frustriert lasse ich mich zurück aufs Kopfkissen fallen. Würde ich mich nicht derart aufgewühlt und unruhig fühlen, könnte ich bestimmt darüber lachen, immerhin liegt dem Ganzen eine gewisse Ironie inne. Will man nicht schlafen, beispielsweise, weil man das Ende eines Films unbedingt noch sehen will, döst man unerbittlich weg. Will man aber wirklich schlafen, bekommt man kein Auge zu. Zweifellos gibt es irgendeinen psychologischen Fachausdruck für diesen Gemütszustand.

      Eine