Anna Sydney

Verfluchte Freiheit


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anderen politischen Ämtern. Auch in den Rechtsabteilungen von Unternehmen und Konzernen.“

      Valentin achtete und bewunderte seinen Vater. Sein sicheres Auftreten, seine humorvolle und doch respektvolle Ausstrahlung den Mandanten gegenüber, gepaart mit Konsequenz und Zielstrebigkeit. Zudem sah er gut aus: groß, schlank, dunkle Haare, die leicht in ein Silbergrau übergingen. Frauen vermochten sich seinen Charme kaum zu entziehen.

      Das war das Leben seines Vaters, nicht jedoch Valentins Leben. Valentin war athletischer Statur, etwas größer und hatte die gleichen markanten Gesichtszüge wie sein Vater. Er war anders als seine Familie, nur wollte das niemand sehen. Sein größter Traum war die Schauspielerei, er wollte kreativ sein.

      Tief atmete er ein und aus, dabei überfiel ihn ein seltsames Gefühl von Ratlosigkeit. Vor kurzem hatte er den oberen Bereich der Villa bezogen und dadurch etwas Abstand von seinen Eltern gewonnen. Er bevorzugte Minimalismus, moderne, zeitlose, schlichte Möbel. Auf Überflüssiges, Verschnörkeltes konnte er verzichten. Mit seinen achtzehn Jahren war es Zeit, etwas Distanz zu schaffen. Mutter konnte verdammt pingelig sein. Sobald Valentin sich die Hände wusch, ermahnte sie ihn, das Waschbecken zu putzen. Wenn er dann das Handtuch nahm und damit über das Becken wischte, schimpfte sie, dass es dafür besondere Putzlappen gäbe. Er konnte ihr nichts recht machen, egal wie er sich auch bemühte.

      Sein Ziel war nicht das Jurastudium gewesen, sondern die Schauspielerei. Heute jedoch fand die Einführungsveranstaltung für Jura statt. Die Pendeluhr schlug Viertel vor zehn. Valentin musste sich beeilen. Um zehn wollte er in der Universität sein.

      Als er verspätet den Saal betrat, waren schon jede Menge Studenten da. Die Luft war stickig und verbraucht. Der Dekan, dessen trockener Kommentar im Getöse der klatschenden Hände unterging, schloss gerade seine Begrüßungsrede ab, und die Menge wurde unruhig, bis der Nächste das Wort ergriff. Im Anschluss daran folgten mehrere Kurzvorstellungen.

      Während der Einführungswoche begriff Valentin, dass das Jurastudium alles andere als trocken war. Würzburg zählte zu den Universitäten mit hervorragenden internationalen Kontakten und Kooperationen. Durch das breitgefächerte Angebot der Fakultät sollten die Studenten nicht nur profundes Fachwissen erwerben, auch der akademische Austausch und das Engagement in internationalen Projekten waren Grundlage einer umfassenden Persönlichkeitsbildung. Die Studienzeit sollte eine Phase der Vermittlung von Wissen und Kompetenz, aber auch eine Zeit für gemeinsamen Freizeitspaß, Kreativität und Aktivitäten.

      Letzteres nahm Valentin, wie seine Kommilitonen, recht wörtlich. Nahezu jedes Wochenende und fast jeden Abend verbrachten sie in Kneipen, Discos oder auf Partys. Das Studium wurde bald zur Nebensache. Ein paar Studenten, darunter auch Valentin, verfielen in einen regelrechten Rausch, immer neue Mädchen zu verführen. Valentins gutes Aussehen und sein schauspielerisches Talent sorgten dafür, dass er bei den Frauen gut ankam. Seine besorgte Mutter deponierte überall Kondome: im Bad, im Schlafzimmer und, worüber Valentin sich wunderte, auch in der Küchentischschublade. Der gute alte Küchentisch! Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als seine Großmutter ihn zum Sperrmüll hatte stellen wollen. Damals hatte es den ganzen Morgen geregnet. Grauer Dunst hing in den Straßen. Oma hatte ihn gebeten, die alten Möbel auf die Straße zu stellen. Doch Valentin sagte bestürzt: „Oma Augusta, der alte Küchentisch ist viel zu wertvoll, als dass man ihn zum Sperrmüll weggibt!“

      Seine Großmutter aber wandte ungerührt ein: „Ach, wer will denn das alte Gerümpel noch, wo es so schöne moderne Möbel gibt?“

      So hatte er ihn genommen, und er gefiel ihm immer noch, dieser Gründerzeittisch, wohl um 1880 gefertigt. Vor allem die zwei geräumigen Schubladen, in denen außer Besteck und Servietten nun auch bunte Kondome lagerten. Er ließ sich hervorragend kombinieren mit seinen modernen Möbeln. Der Kronleuchter darüber mit seinem vielen kleinen, filigranen Kristallen war ein Meisterstück aus Licht und Glas.

      Valentin liebte das Spiel, ob er ein Mädchen schon am ersten Abend mit zu sich nehmen konnte, um mit ihr zu schlafen oder ob er mehrere Tage brauchte, um sie zu überreden. Seine Mutter machte sich Sorgen.

      „Diese Entwicklung und Valentins schlechter Umgang macht mir wirklich Sorgen“, beklagte sie sich bei Paul.

      Aber Valentins Vater sah das nicht so kritisch. „Er ist noch jung. Du wirst sehen, wenn er sich erst die Hörner abgestoßen hat, lässt das alles nach“, beruhigte er seine Frau.

      Aufgewühlt entgegnete sie: „Die Leute fangen schon an über Valentin zu sprechen, und das wirkt sich sicher nicht gut auf die Kanzlei aus! Sie sagen, der Sohn des Anwalts ist auf die schiefe Bahn geraten. Du musst was unternehmen!“

      Paul sah die Angelegenheit sportlich. „Das sind die Flegeljahre. Das renkt sich schnell wieder ein, glaub mir.“

      Die Studenten schlossen die unmöglichsten Wetten untereinander ab. Sie standen zusammen in der Mittagspause. Es war ein milder Novembertag. Die Sonne schien und wärmte die Körper der jungen Männer. Eine junge Studentin lief vorbei, ihr helles blondes Haar glänzte in der Sonne wie Gold. Sie stieß ein freundliches „Hey, Jungs!“ in die Runde.

      Als sie außer Sichtweite war, grinste Freddy unverschämt.

      „Eve kommt am Wochenende zu meiner Scheunenparty. Wetten, dass wir sie alle fünf zum Sex überreden können? Jede Wette gehe ich da ein! Hört zu: Wenn wir es alle fünf an einem Abend schaffen, spendiere ich euch eine Weinprobe in unserem Weingut. Mit anschließendem Essen im Hotel Stein.“

      Darüber lachten alle, und so stand die Wette. Eine geschmacklose Wette. Doch Valentin nahm sich fest vor, der Erste zu sein.

      Als Valentin zu der Party kam, sah er Freddy schon an Eve herumbaggern und die anderen drei Freunde in unmittelbarer Nähe. Besonnen beobachtete er Eve: Sie trug einen kurzen, schwarzen Rock, kombiniert mit einer roten Bluse und schwarze Pumps. Ihre Haare trug sie raffiniert hochgesteckt, einige Locken hatten sich gelöst und fielen sanft ins Gesicht, was ihre zarten Gesichtszüge zur Geltung brachte. Ihr Lippenstift war blutrot, passend zu ihrer Bluse. Noch einmal schnaufte er tief durch, dann ging er einfach auf Eve zu und fragte: „Freddy, darf ich dir Eve entführen, um mit ihr zu tanzen?“

      Eve entschuldigte sich bei Freddy und reichte Valentin bereitwillig die Hand. Taktvoll geleitete er sie auf die Tanzfläche und sie tanzten. Nach einer Weile zog er sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Eve, ich muss dir unbedingt was geben, komm mit!“ Er nahm ihre zarte, verschwitzte Hand und zog sie hinaus.

      Der Dezemberabend war kühl; Valentin zog seine Jeansjacke aus, um sie Eve über die Schultern zu legen. Bedenkenlos ging sie mit ihm über den gepflasterten Hof zu seinem Auto. Fast wäre sie über die holprigen Pflastersteine gestolpert, hätte Valentin sie nicht kavaliersmäßig an der Hand gehalten und sie aufgefangen.

      Sie stiegen in seinen Audi, die Ledersitze waren kühl. Unmissverständlich drehte er die Musik leise auf, dann öffnete er das Handschubfach und zog einen Umschlag heraus. Während er ihr ihn gab, küsste er sie leidenschaftlich und sie erwiderte seinen Kuss. Bedachtsam, aber neugierig öffnete Eve das Kuvert. Eine Karte mit einem schwarzweißen Bild der Marienburg erschien. Auf der Rückseite stand ein kurzer Text. Eve las laut: Einladung zum Krimidinner für zwei Personen! Sie lachte und las weiter: Auf dem seit der späten Bronzezeit besiedelten Marienberg befand sich im frühen 8. Jahrhundert wahrscheinlich ein Kastell der fränkischthüringischen Herzöge mit einer Kirche, die 741 zur ersten Würzburger Bischofskirche erhoben wurde. Ab 1200 entstand eine ungewöhnlich große Burg, die im Spätmittelalter und in der Renaissance ausgebaut und erweitert wurde.

      „Was sagst du dazu? Ich dachte, du würdest dich freuen, weil du doch ein Krimifan bist!“

      Eve war sichtlich gerührt. Sie umarmte Valentin.

      „Ich freue mich sehr! Wie bist du auf diese Idee gekommen?“

      Die Antwort blieb er ihr schuldig, stattdessen schob er ihr ungeduldig seine Zunge in den Mund und erforschte ihn. Dezent schob er seine Hand unter ihre Bluse, öffnete ihren Push-Up-BH, spielte an ihren Brustwarzen herum und spürte ihre Erregung. Er schaltete das Licht aus und ließ das Liebeslied „Je taime“ laufen,