Jean-Pierre Kermanchec

Blaues Netz


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Offizier ihm eine Meldung übergab. Yussef dankte ihm und nahm die Notiz zur Hand. Die Nachricht kam vom Reeder persönlich. Wang Lian schrieb, er solle noch weitere Container in Brest an Bord nehmen. Die Hafenmeisterei sei bereits informiert. Die Container enthielten Produkte aus der Bretagne und waren für ein großes Warenhaus in Shanghai bestimmt.

      Bestimmt waren es wieder diese «Galettes Bretonnes». Die waren der letzte Schrei in Shanghai. Die Leute waren verrückt nach diesem kleinen bretonischen Gebäck. Aber auch die bretonischen Sardinenkonserven waren ein Renner in China. Die Bretonen hatten scheinbar ausgezeichnete Rezepte, die in China erfolgreich waren. Die Marke «La belle Iloise» war eine der Konservenfabriken, die er bereits kannte, weil er davon schon einige Container nach Shanghai gebracht hatte. Auch er hatte die eine oder andere Konserve probiert. Die «Sardines au Piment» hatten es ihm angetan. Sie waren scharf und schmeckten hervorragend. Daher verstand er durchaus, dass die wohlhabenden Chinesen diese Produkte schätzten.

      Yussef Aziz steckte die Notiz ein und dachte nicht mehr lange darüber nach. In den letzten Monaten hatte er öfter Container in Brest laden müssen. Yussef war immer ganz froh, wenn er Station in Brest machen konnte. Die Bucht von Brest war für ihn die schönste Bucht der Welt. Sie war riesig und bei jedem Wetter gut anzusteuern. Geschützt durch die Halbinsel Crozon und durch die enge Einfahrt des «Goulet de Brest» bildete die Bucht einen hervorragenden Naturhafen. In der Bucht konnten tausende von Schiffen gleichzeitig ankern. Die Bucht erstreckte sich über eine Fläche von 180 km2 und zahlreiche kleine Inselchen lagen verstreut darin. Yussef wusste, dass Brest auch Kriegshafen für Frankreich war und dass einige von diesen kleinen Inseln militärisches Sperrgebiet waren. Vor längerer Zeit saß er für fast zwei Wochen in Brest fest, weil ein Motorschaden behoben werden musste. Er hatte damals die Zeit genutzt und sich die nähere Umgebung angesehen. Vor allem die Halbinsel von Crozon stand auf seinem damaligen Besuchsprogramm, weil er sich auch von dort aus, genauer gesagt, von der «Pointe des Espagnols» die Bucht ansehen wollte. Die war sein Ziel gewesen und er schwärmte heute noch von dem großartigen Blick, den man von dort auf die «Rade de Brest» hatte.

      Wenn er wieder einmal längere Zeit in der Gegend wäre, würde er sich auch noch die anderen Sehenswürdigkeiten ansehen. Von dem kleinen mittelalterlichen Dorf Locronan hatte man ihm des Öfteren erzählt und auch von der Hauptstadt des Départements Finistère, Quimper. Aber auch Concarneau und seine «Ville Close» wären wunderbare Ziele bei einem entsprechenden Aufenthalt. Doch jetzt näherte er sich erst einmal Le Havre um die 4000 Container entladen zu lassen. Es würde nicht ganz zwei Tage lang dauern das Schiff zu entladen und dann brauchte es noch einmal fast zwei Tage um die neue Fracht aufzunehmen. In vier Tagen würde er dann in Brest sein und einen Tag später in Saint-Nazaire. Es blieben ihm also in Le Havre knapp drei Tage. Er wollte diesmal nach Rouen fahren und sich die Stadt und die Umgebung etwas näher ansehen. Das Ent- und Beladen des Schiffes würde der erste Offizier übernehmen.

      Rouen kannte er noch nicht, aber er hatte viel von dieser Stadt gehört. Victor Hugo, einer seiner Lieblingsschriftsteller, soll die Stadt als Stadt der hundert Kirchtürme bezeichnet haben. Er hatte es in einem seiner zahlreichen Reiseführer gelesen. Obwohl zahlreiche Bauwerke, durch die Bombardements während des Zweiten Weltkriegs zerstört worden waren, soll es heute noch immer an die 2000 Fachwerkhäuser geben.

      In seinem Guide Michelin, den er sich für seinen Besuch von Rouen gekauft hatte, wurden eine ganze Reihe von Bauten hervorgehoben, die gotische Basilika Saint-Ouen, die mit ihren 130 Metern Länge sehr imposant sein soll und außerdem eine der größten Orgeln besitzt. Dann sollte er sich unbedingt die Kathedrale ansehen, die Claude Monet zu seinem berühmten gleichnamigen Bilderzyklus inspiriert hatte, mit ihrem imposanten Glockenturm von 151 Metern Höhe.

      Yussef wusste jetzt nicht mehr, ob die Kirche Saint-Maclou zwei oder drei Sterne in seinem Guide hatte, aber das war auch nicht so wichtig. Er wusste, dass er sich das über 650 Jahre alte «L’aître Saint-Maclou» ansehen wollte. Dieses Pest-Beinhaus, das 1348 angelegt worden war und das hunderte von Schnitzereien diverser Totentanzszenen in der Holzgalerie enthielt, soll in seiner Art einmalig sein. Dann durfte ein Besuch der «Gros Horloge», einer großen astronomischen Uhr aus dem 14. Jahrhundert natürlich nicht vergessen werden. Sie befand sich unweit vom alten Markt, in der Fußgängerzone.

      Es gab also mehr als genug zu sehen in dieser Stadt. Er hatte bereits ein Hotel gebucht und wollte eine Nacht in Rouen bleiben.

      Kapitel 10

      Claude Crayont war von Concarneau aus, nachdem er Medernach und Ewen entsprechend informiert hatte in Richtung Le Havre aufgebrochen. Dort sollte am nächsten Tag das Containerschiff «Lan Shanghai», der Wang Shipping Line eintreffen. Mit diesem Schiff war der Container transportiert worden, in dem man das Falschgeld gefunden hatte. Crayont und seine zwei Kollegen hatten die Aufgabe übernommen, den Kapitän während der Ent- und Beladung zu observieren. Es gab keinerlei Hinweise, dass er in die Affäre verwickelt sei, aber sicherheitshalber sollte er beobachtet werden.

      Das Schiff wurde bereits seit dem Verlassen des Hafens von Shanghai beobachtet. Im Zeitalter von Satelliten war es ein Kinderspiel, ein Schiff zu verfolgen und ständig über seine Position unterrichtet zu sein. Das Schiff war von Shanghai aus, ohne einen Zwischenaufenthalt und ohne Kontakt zu anderen Schiffen zu haben, auf direktem Weg nach Le Havre gefahren. Damit war klar, dass unterwegs keinerlei neue Fracht aufgenommen worden war. Von Frankreich aus würde der Rückweg von Saint-Nazaire wieder nach Shanghai führen, soviel wusste man bereits durch die Ermittlungen des chinesischen Geheimdienstes und der Direction Générale de la Sécurité Extérieure. Die DGSE, wie sie kurz genannt wurde, hatte Crayont beauftragt, den Kapitän ständig zu beobachten. Man wollte wissen, mit wem er sich treffen würde oder ob er vielleicht irgendwo geheime Nachrichten hinterlegte. Auch heute, im Zeitalter der absoluten Kommunikation gab es sogenannte «tote Briefkästen». Diese konnten nicht abgehört werden und waren den Geheimdiensten häufig wichtiger als die Kommunikation durch verschlüsselte Botschaften per Handy, Computer oder Smartphone.

      Crayont war bereits im Hafen, als das Schiff aus Shanghai anlegte, es war noch früh am Morgen. Er bewunderte diese Riesen, solche Schiffe wären vor dreißig Jahren noch undenkbar gewesen. Dabei war die Lan Shanghai noch nicht einmal eines der größten Container-Schiffe. Crayont wusste, dass es noch sehr viel größere gab.

      Das Anlegemanöver dauerte wenig mehr als eine halbe Stunde. Dann lag der Pot festvertäut am Pier. Praktisch unmittelbar danach bewegten sich bereits die großen Kräne entlang des Schiffes und das Entladen der Container begann. Zeit ist Geld in diesem Metier, dachte sich Crayont, als er sah, wie schnell man mit den Containern vom Schiff zur Lagerfläche und zurück fuhr. Crayont stand in der Nähe einer Lagerhalle, von der aus er die Gangway gut beobachten konnte. Sicherlich dauerte es eine Zeit lang, bis der Kapitän das Schiff verlassen würde.

      Crayont hatte mit seinem Vorgesetzten noch überlegt, dass auch ein anderes Mitglied der Mannschaft mit dem Schmuggel des Falschgeldes in Verbindung stehen könnte, aber man war sich einig geworden, dass nur der Kapitän die Möglichkeit haben würde, die Route zu verändern, weitere Fracht an Bord zu holen oder sogar selbst das Falschgeld an Bord zu schmuggeln. Die Crew, so hatte man dem DGSE versichert, würde das Schiff nicht verlassen. Alle Matrosen und Offiziere mussten, laut den Anweisungen des Reedereibesitzers, an Bord bleiben. Es oblag dem Kapitän, in Ausnahmefällen der Mannschaft einen Landgang zu ermöglichen. Da aber beim Ent- und Beladen die Mannschaft gebraucht wurde, blieb dafür keine Zeit. Erst wenn das Schiff wieder zurück in Shanghai war, bekam die Mannschaft drei Tage Urlaub. Damit reichte es aus, den Kapitän zu beobachten, falls dieser das Schiff verlassen sollte. Crayont hatte sich auf eine längere Beobachtung, hier am Pier eingerichtet. Seinen Wagen stand direkt neben der Lagerhalle und so würde es kein Problem bereiten, den Kapitän zu verfolgen, falls dieser mit einem Taxi den Hafen verlassen sollte.

      Es dauerte fast drei Stunden, bis Crayont den Kapitän die Gangway herunterkommen sah.