Jean-Pierre Kermanchec

Blaues Netz


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um sie zu besuchen, jetzt fehlte ihm die Zeit. Sobald er aber die Vereinbarungen mit den Chinesen beendet haben würde, wollte er nach Mexiko reisen.

      Seine Schwester Monique lebte schon seit Jahren im Umland der Hauptstadt Mexiko City. Sie war nach ihrem Kunststudium nach Mexiko gereist um an der dortigen Kunsthochschule ihre Studien zu vervollständigen. Wie das Leben so spielt, lernte sie einen mexikanischen Maler kennen und verliebte sich in ihn. Nach der Heirat begannen sie ein Haus zu bauen, auf einem hoch über der Stadt gelegenen Grundstück. Seine Eltern waren Bauern gewesen und hatten ihm das Land vererbt. Anders als in der Stadt, die beständig unter einer Glocke von Abgasen lag, war die Luft hier draußen frisch und angenehm. Von dem Hügel aus konnte man die Hochhäuser der Millionenstadt Mexiko City sehen. So angenehm die Luft hier draußen war, so nachteilig war die Lage die Infrastruktur betreffend. Strom, Wasser oder Abwasserkanäle gab es nicht. Die Elektrizitätswerke hatten auf ihre Anfrage hin nur geantwortet, dass sie wohl noch warten müssten, bis sich weitere Menschen in der Umgebung niederließen, damit sich eine Stromleitung rentieren würde. So war ihnen nichts anderes übriggeblieben, als einen Brunnen zu bohren und ein Leben ohne die Annehmlichkeiten der europäischen Zivilisation zu führen. Damit war allerdings auch klar, dass sie weder Telefon noch Computer betreiben konnten. Einen Kühlschrank oder fließendes warmes und kaltes Wasser gab es auch nicht. Das Leben war das eines Ureinwohners vor mehr als hundert Jahren. Irgendwie gewöhnte Monique sich aber an dieses Leben. Die beiden bekamen zwei Töchter und als die Mädchen in die Schule kamen, nahmen sie ihre Ponys um die wenigen Kilometer zur Schule zu reiten. Ein alter VW-Käfer, den sie sich nach ihrer Heirat gekauft hatten ermöglichte, dass sie regelmäßig zum Einkaufen fahren konnten. Ohne die Möglichkeit Lebensmittel gekühlt zu lagern, waren sie beinahe täglich auf frische Lebensmittel angewiesen.

      Die nächsten Nachbarn wohnten ungefähr einen Kilometer entfernt und auch sie lebten so wie die beiden Künstler.

      Beim Bau ihres Hauses hatten sie bereits eventuell fortschrittliche Entwicklungen mit eingeplant. Das Badezimmer war weitgehend eingerichtet und auch die Stromleitungen waren installiert. Es fehlte lediglich der Anschluss ans Stromnetz.

      Als einige Jahre später eine Stromleitung unweit ihres Hauses gezogen wurde, aber immer noch kein Anschluss für ihr Haus vorgesehen war, legte ihr Mann eine eigene Leitung, über etwas mehr als dreihundert Meter und schloss das Haus somit an die Trasse an. Der Anschluss bestand aus einer Art isoliertem Haken, der über die Leitung gelegt wurde und der jederzeit rasch wieder entfernt werden konnte. Der Strom war natürlich geklaut, was ihn nicht weiter störte. Er hatte jahrelang gebeten, ihm eine Leitung zu legen.

      Die anschließende Bitte an die Telefongesellschaft nach einem Anschluss wurde sofort erfüllt und keiner kam auf die Idee, nach dem Stromanschluss zu fragen.

      Nun konnten sie sich einen Kühlschrank zulegen und ein Telefon, einen Computer und einen Boiler für die Warmwasseraufbereitung. Damit trat ein wenig Normalität in ihr Leben. Seltsamerweise hatten sie sich so an das Leben ohne diese Annehmlichkeiten gewöhnt, dass sie weiterhin beinahe täglich in das nahegelegene Dorf einkaufen fuhren. Telefon und Computer fanden schnell ihren Platz in Moniques Alltag.

      Über das Internet hielt sie den Kontakt zu ihrem Bruder, der sie, seitdem er zu Reichtum gelangt war, auch finanziell unterstützte. Er freute sich bereits darauf, seine Schwester zu sehen. Seine Schwester war mehr als erstaunt als er ihr schrieb, dass er in China ein sehr erfolgreicher Maler sei. Sie wusste natürlich, dass er durchaus das Talent dazu besaß, allerdings lag seine Stärke immer bei der Grafik. „Welch eine Ironie,“ hatte sie ihm einmal geschrieben „ich habe Kunst studiert und das Malen zu meinem Lebensinhalt gemacht und du verdienst das große Geld damit. Ich freue mich schon, wenn ich ein Bild für 500 $ verkauft bekomme und du würdest dafür wahrscheinlich nicht einmal den Pinsel in die Hand nehmen.“

      Corentin Murat konnte ihr nur recht geben. Aber er konnte ihr nicht die Wahrheit schreiben.

      Es wird schon noch eine Zeitlang dauern bis ich dich sehen kann, liebe Monique, dachte er, als er sich wieder intensiv dem Malen zuwandte.

      Kapitel 7

      Henri Medernach packte seinen Koffer. Er nahm sich nur Freizeitkleider mit auf diese Reise in die Bretagne. Als er gehört hatte, dass er mit seinem alten Freund Ewen Kerber zusammenarbeiten würde, freute er sich richtig auf das Unternehmen.

      Wie lange hatte er Ewen nicht mehr gesehen. Sie kannten sich schon seit der gemeinsamen Zeit auf der ENSP, der Ècole Nationale Supérieure de la Police, in Saint-Cyr au Mont d'Or. Ewen und er hatten gemeinsame Ausflüge nach Grenoble und Annecy unternommen, waren zusammen in die nahen Alpen zum Skifahren gegangen und hatten sich sogar gemeinsam in ein Mädchen verliebt. Das Mädchen fand aber mehr Gefallen an einem anderen Polizeischüler und so gingen sie damals beide leer aus.

      Er freute sich, Ewen nach über dreißig Jahren wieder zu sehen. Sie waren über all die Jahre in Verbindung geblieben. Nach der Heirat von Ewen wurden die Kontakte zwar etwas seltener, sind aber nicht völlig abgebrochen. Sie schrieben sich zu Weihnachten und zu den Geburtstagen aber zu einem Treffen war es aus unerklärlichen Gründen nicht gekommen.

      Henri hatte mitbekommen, dass die Frau und die Tochter von Ewen bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Er wusste auch, dass er vor wenigen Monaten wieder geheiratet hatte. Vielleicht würde er wenigstens seine zweite Frau kennenlernen können.

      Henri hatte sein ganzes Leben in Luxemburg zugebracht, wenn man von seiner Ausbildungszeit im ENSP einmal absah. Sein Vater war bei der CFL, der luxemburgischen Eisenbahngesellschaft tätig gewesen. Wie fast jeder Junge, so hatte auch Henri davon geträumt, einmal Lokomotivführer zu werden. Als Kind war er an jedem freien Tag zum Bahnhof gegangen und hatte allen ein- und ausfahrenden Zügen zugesehen. Henri kannte jede Lokomotive der luxemburgischen, belgischen und französischen Eisenbahn, die er einmal im Bahnhof von Bettembourg gesehen hatte. Er wusste wie viele PS sie hatten und ob sie für Güterzüge oder Personenzüge vorgesehen waren.

      Nach dem Abitur wandelte sich sein Interesse. Jetzt war es nicht mehr die Eisenbahn die ihn anzog, sondern die Welt der Banken. Henri begann eine Ausbildung zum Bankkaufmann, bei einer der größten luxemburgischen Banken. Nach etlichen Jahren erfüllte ihn seine Arbeit nicht mehr. Der Verdienst war sehr gut aber die reine Büroarbeit befriedigte seine Bedürfnisse nicht. Er entschied sich, wieder von vorne zu beginnen und ließ sich zum Polizisten ausbilden. Sein Interesse galt vor allem den Aufgaben der Kriminalpolizei und so kam er zur ENSP um dort seine Ausbildung zu vervollständigen.

      Nach seiner Ausbildung war er dann zur Kriminalpolizei der Stadt Luxemburg versetzt worden.

      Er war über dreißig Jahre für die Polizei tätig gewesen und hatte sich nicht nur zum Abteilungsleiter hochgearbeitet, er war auch der erfolgreichste Kripobeamte des Landes. Vor zwei Jahren war er in den Ruhestand getreten und hatte sich einen Traumurlaub an der ligurischen Küste erfüllt.

      Henri Medernach hatte seine Taschen gepackt und wollte sich jetzt ein Glas Rotwein gönnen. Da er abgeholt wurde brauchte er auch keine Rücksicht auf den Alkoholspiegel in seinem Blut zu nehmen. Er ging in seinen Keller und betrat den kleinen Raum, den er als Weinkeller eingerichtet hatte. Er sah sich die dort lagernden Weine an und entschied sich für einen Château Gazin 2006. Nur gut, dachte er sich, dass ich meine Weine wohltemperiert in diesem Weinschrank lagere. Sonst könnte ich jetzt nicht einfach eine Flasche für den sofortigen Verzehr herausnehmen.

      Henri genoss sein Glas Rotwein. Dieser Wein war köstlich, genau das Richtige für diesen Augenblick.

      Er nahm sich vor, in der Bretagne von Zeit zu Zeit einen guten Tropfen zu trinken. Vielleicht konnte er mit Ewen ab und zu einen Abend so verbringen, wie früher in Saint-Cyr au Mont d'Or.

      Da er auf keinen Fall die ganze Flasche leeren wollte, überlegte er sich, den Rest einfach auf die Fahrt mitzunehmen. Die Reise in die Bretagne war lang. Zwar erreichte er von Luxemburg aus in nur gut zwei Stunden Paris, aber in Paris musste er übernachten und den Bahnhof wechseln, danach würde der TGV nur noch bis Le Mans mit Höchstgeschwindigkeit fahren. Von Rennes bis nach Quimper fuhr er dann noch mit der Geschwindigkeit eines Regionalzugs.