Jean-Pierre Kermanchec

Blaues Netz


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seinem Gesicht ansehen, dass er freudig erregt war, Ewen nach so vielen Jahren wiederzusehen.

      „Ewen, lass dich umarmen!“ sagte Medernach und nahm seinen Freund in den Arm. Ewen Kerber strahlte ebenfalls.

      „Du bist grau geworden, mein lieber Freund,“ sagte er zu Henri Medernach, „aber ansonsten immer noch genau derselbe wie früher. Ich freue mich, dich in meiner Heimat begrüßen zu dürfen. Wir werden uns in den nächsten Tagen viel zu erzählen haben.“

      „Das werden wir sicherlich.“ meinte Medernach und klopfte Ewen väterlich auf die Schulter.

      „Nehmen Sie bitte Platz, Monsieur Kerber.“ sagte Nourilly und zeigte auf den noch freien Platz.

      Kerber und Medernach setzten sich und Nourilly wurde wieder dienstlich.

      „Wir waren gerade dabei über ihren gemeinsamen Fall zu sprechen, Monsieur Kerber. Monsieur Medernach meint, dass er mit seinen Nachforschungen in Pont Aven beginnen würde, da man dort den Toten gefunden hat.“ Zu Medernach gewandt meinte er dann:

      „Der Mann könnte aber auch nur dort abgelegt worden sein um die Spuren zu verwischen.“

      Medernach nickte und sah zu Ewen Kerber als er antwortete.

      „Ich denke, dass man den Toten überrascht hat als er eine Entdeckung machte, aber die Spuren am Tatort können uns vielleicht etwas mehr verraten. Habt ihr etwas Besonderes entdecken können bei der Spurensicherung, Ewen?“

      Ewen Kerber schüttelte den Kopf.

      „Nein, es gab nur eine Schleifspur parallel zum Aven und die führte zu einem Felsen. Das Fehlen von Blut auf dem Felsen deutet aber daraufhin, dass der Mann nicht dort ermordet wurde.“

      „Wenn er aber nicht dort ermordet wurde, wie ist er dann dort hingekommen? Er muss ja zu diesem Zeitpunkt schon tot gewesen sein. Am Fundort habt ihr keine größeren Blutspuren finden können und am Ende der Schleifspur auf diesem Felsen auch nicht. Führte denn eine weitere Spur von dem Felsen weg?“ Henri sah seinen Freund gespannt an.

      „Eben nicht, das hat mich deshalb sofort auf den Gedanken gebracht, dass der Tote nur über den Aven transportiert worden sein konnte. Aber von wo aus und warum zu dieser Stelle. Hätte man ihn auf diesem Felsen liegen lassen, dann wäre es durchaus denkbar, dass man den Leichnam vielleicht erst in ein paar Wochen oder sogar Monaten gefunden hätte. Dieser Felsen ist abseits der üblichen Spazierwege entlang des Aven. Wobei sich die schöneren Wege sowieso auf der anderen Seite befinden, aber das nur nebenbei bemerkt.“

      „Interessant, sehr interessant.“ murmelte Medernach.

      Die drei besprachen noch eine Weile das weitere Vorgehen und Ewen Kerber und Medernach verabredeten sich dann für den Abend in Melgven. Nourilly informierte Medernach noch darüber, dass man ihm einen Mietwagen besorgt habe, der auf dem Parkplatz des Kommissariats stand und der ihm für die Dauer seines Aufenthaltes zur Verfügung stand. Natürlich war es ein bretonisches Auto, ein Citroën C4.

      Nachdem Henri Medernach sich verabschiedet und seinen Wagen in Besitz genommen hatte machte er sich auf den Weg nach Concarneau zu seinem Hotel. Er war froh, dass der Wagen ein Navigationsgerät besaß, das ihn aus Quimper zur voie express führte. Zahlreiche Kreisverkehre mussten passiert werden bevor er auf die Schnellstraße nach Concarneau kam. Nach vielleicht fünfzehn Kilometern kam bereits die Ausfahrt von Concarneau. Medernach fuhr von der voie express ab und folgte dem Navigationsgerät. Vor dem ersten Kreisverkehr sah er auf dem Hinweisschild, dass die vierte Ausfahrt nach Melgven führte. Er musste aber jetzt an der dritten, in Richtung Stadtzentrum abbiegen. Sein Hotel das «Les Sables Blancs» befand sich an dem gleichnamigen Strand. Sein Navi führte ihn vorbei an dem Einkaufszentrum von Leclerc. Medernach überlegte, dass er sich hier einige Kleinigkeiten kaufen könnte. Gummistiefel waren unbedingt nötig wenn man in der Bretagne oft am Wasser entlang gehen wollte. Er bog auf den Parkplatz des Einkaufszentrums, parkte und betrat den Supermarkt.

      Mit den Gummistiefeln und verschiedenem Obst fuhr er anschließend durch ein sehr ruhiges Wohngebiet in Richtung seines Hotels. Er bog in die Rue des Sables Blancs ein und folgte der Straße nach Westen. Bereits nach wenigen hundert Metern sah er das Hotel auf der linken Seite liegen. Er stellte seinen Wagen vor dem Hotel ab. Medernach stieg aus und atmete die frische Meeresluft tief ein. Er roch die Algen und plötzlich hatte er das Gefühl im Urlaub zu sein. Henri drehte sich um und betrachtete das Hotel. Es hatte vier Sterne und sah durchaus ansprechend aus.

      Mit dem Hotel Imperiale in Santa Margarita durfte er es natürlich nicht vergleichen. Er hatte dort den schönsten Urlaub seines Lebens verbracht, gleich nach seiner Pensionierung. Es sollte ein Traumurlaub werden. Es wurde auch ein Traumurlaub, allerdings mit einem Kriminalfall verbunden, den er lösen konnte und bei dem er eine bezaubernde junge Frau kennengelernt hatte, mit der er bis heute freundschaftlich verbunden geblieben ist.

      Medernach nahm seinen Koffer aus dem Kofferraum, die Gummistiefel ließ er stehen und betrat die Eingangshalle. An der Rezeption wurde er von einer charmanten jungen Frau begrüßt, die ihm, nachdem er seinen Namen genannt hatte das Anmeldeformular und danach den Zimmerschlüssel aushändigte. Zimmer 214 auf der zweiten Etage. Medernach bedankte sich und ging auf sein Zimmer. Er legte sich ein wenig hin um sich von der langen Zugfahrt zu erholen.

      Es war gegen vier Uhr am Nachmittag als Medernach sich auf den Weg machte, die nähere Umgebung zu erkunden. Zuerst wollte er sehen, wo das Haus lag, in dem er sich am Abend mit Ewen Kerber verabredet hatte. Er verließ das Hotel. Mit seinem Mietwagen fuhr er nun den Weg zurück. Nachdem er sich in den diversen Kreisverkehren total verfahren hatte, entschloss er sich, doch lieber das Navigationsgerät zu befragen. Medernach stellte sich in eine Parklücke und gab die Adresse ein, Kermanchec, Melgven. Mehr hatte er nicht bekommen. Vergeblich sah er nach, ob sich nicht doch noch eine Hausnummer oder ein Straßenname fand. Nichts!

      Er überlegte, ob es sich bei der Adressangabe um eine Aufgabe handelte seinen kriminalistischen Instinkt zu testen oder ob es hier in der Bretagne üblich war eine Adresse eher vage anzugeben um nicht direkt gefunden zu werden. Henri Medernach steuerte seinen Wagen nun, entsprechend der Angaben auf dem kleinen Bildschirm seines Navi durch die Seitenstraßen von Concarneau.

      Als er die D783 erreicht hatte, zeigte das Gerät, dass er dieser Straße folgen sollte. Er durchfuhr mehrere Kreisverkehre und überquerte den Pont du Moros. Von der Brücke aus hatte er einen schönen Blick auf den Hafen von Concarneau und auf die Ville Close, der Altstadt von Concarneau, von der er gelesen hatte und die er unbedingt während seines Aufenthaltes besuchen wollte. Es war eine der am meisten besuchten Attraktionen der Bretagne.

      Nachdem er die Brücke überquert hatte, zeigte das Navi, dass er gleich nach links abbiegen sollte. Die Ampel stand auf grün und er konnte abbiegen. Er folgte nun der D22 und der Hinweistafel Melgven. Der Weg führte ihn an einem kleinen Weiher vorbei und er erreichte nach etwa einem Kilometer einen Lieu dit, Maison Blanche, auf bretonisch Ty Gwenn, wie er dem Ortsschild entnehmen konnte.

      Für Medernach war es ganz normal, dass man die Orte auf Französisch und Bretonisch bezeichnete. Auch in Luxemburg waren die Schilder zweisprachig.

      Wenn Henri gut aufgepasst hatte, dann waren es gerade zwei oder drei Häuser, die sich hier befanden. Er folgte der Straße. Nach wenigen hundert Metern tauchte dann das kleine Ortsschild «Kermanchec» auf. Er stellte fest, dass hier viele Häuser standen. Als er bis zwanzig gezählt hatte und der Ort sich immer noch fortsetzte, hörte er auf zu zählen und überlegte, wie er nun das richtige Haus finden sollte. Er war jetzt bereits durch den ganzen Weiler gefahren und es gab einige Seitenstraßen, in denen sich ebenfalls zahlreiche Häuser befanden. Wie kriegt der Briefträger hin, hier die Post zu verteilen? Es blieb ihm nichts anderes übrig, als alle Bewohner zu kennen. Jeder neue Briefträger würde seine Probleme haben, sich hier sofort zurechtzufinden.

      Henri Medernach stellte den Wagen auf dem Seitenstreifen, gleich hinter einem «Calvaire», wie die Wegkreuze hier hießen ab und rief Ewen an. Er war froh, dass Ewen Kerber ihm seine Handynummer gegeben hatte, bevor er von Quimper nach Concarneau aufgebrochen war.

      „Kerber.“ meldete sich sein Freund nach wenigen Sekunden.

      „Ewen,