Martin Cordemann & Lucien Deprijck

ZU ZWEIT DURCH DIE ZEIT


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von der Freßsucht seines Freundes.

      „Nein.“ Feder schüttelte den Kopf. „Ich hatte nur keine Hand frei.“ Mit der nun vom Krapfen befreiten, freien Hand, die auf allem, was sie berührte, Spuren von Puderzucker hinterließ, durchsuchte er die Taschen seines Anzugs. Irgendwann hatte er anscheinend das Gesuchte gefunden und reichte Teer nun eine Art Brosche, steckte sich selbst auch eine an und nahm seinem Partner dann, so schnell es ihm möglich war, den Krapfen wieder ab.

      „Was ist das?“

      „Eine Art Brosche. Sie verbindet uns mit der Zeitmaschine. Und mit der Fernsteuerung. Also, es ist …“

      „Wir müssen die Dinger tragen, damit wir durch die Zeit reisen können?“

      Feders „Ja“ ging in einem großen Bissen schokoladenüberzogenem Krapfen unter.

      „Unglaublich“, murmelte Teer und hatte damit vollkommen recht. Es war unglaublich, sogar unglaubwürdig. Und doch … nicht völlig unmöglich. Nur eben sehr unwahrscheinlich. „Wo wollen wir als erstes hinreisen?“ Teers Augen begannen zu strahlen. Was sollte ihr erstes Ziel sein? Der Urknall? Die Entstehung der Erde? Die Ermordung Kennedys? All das waren wichtige Ereignisse in der Geschichte der Menschheit, ja, sogar vor der Geschichte der Menschheit. All das waren Ereignisse, die gesehen, erforscht, erlebt werden wollten. Und sie würden es tun. Als erste Menschen überhaupt.

      „Wir können die besten Mahlzeiten aller Zeiten zu uns nehmen“, brummte Feder zwischen zwei Bissen, eigentlich eher während zweier Bissen.

      Ja, das konnten sie. Und das würden sie. Aber vielleicht sollten sie erstmal klein anfangen. Keine zu große Reise machen. In eine Zeit reisen, die sie auch kannten, damit sie nicht auffielen. Und um zu testen, ob die Maschine auch funktionierte.

      „Kleine Schritte“, stimmte Feder dem Unausgesprochenen zu.

      „Ja, beginnen wir mit kleinen Schritten.“

      Feder sah das mit bunten Elementen bestreute Ding an, von dem er gerade abgebissen hatte. Es schien seinen gewohnten Standards nicht standhalten zu können. „Puh, das Ding ist ja von gestern. Ich würde sagen, wir tauschen das um gegen seine frische Version.“

      Noch bevor Teer Einspruch erheben konnte, hatte Feder ein paar Tasten gedrückt und die beiden befanden sich … da, wo sie auch vorher schon gewesen waren: in Teers Arbeitszimmer. Es gab nur einen kleinen Unterschied. Teer war gerade da. Denn es war gestern. Und es gab ein kleines Problem. Denn er war wach. Und stand vor der Tafel. Und war gerade mit seiner Formel zur Lösung des Zeitreiseproblems beschäftigt. Als er die beiden sah, erschrak er – und fiel in Ohnmacht.

      „Oh, das ist schlecht“, murmelte Feder.

      „Ja“, stimmte Teer zu, der sich an ein solches Ereignis überhaupt nicht erinnern konnte. Dann sah er fragend seinen Freund an. „Wieso?“

      Feder deutete auf die Tafel.

      „Du hast das Zeitproblem noch nicht gelöst.“ Er sah den Teer von gestern an, der bewußtlos auf dem Fußboden lag. „Und so wie's aussieht, wirst du das wohl auch nicht mehr schaffen.“

      „Und … was bedeutet das?“

      „Wir müssen dich dazu kriegen, die Lösung zu finden …, oder wir werden aufhören zu existieren!“

      2

      „Jetzt sitzen wir ganz schön in der Tinte“, sagte Feder.

      Beide hatten sich in Teers Arbeitszimmer auf der Schreibtischplatte niedergelassen.

      „Scheiße! Du und deine altmodischen Tintenfässer! Das Ding ist ausgelaufen!“

      Er betrachtete seine pechschwarzen Handflächen. „Und außerdem sind wir, wie gesagt, in ernsten Schwierigkeiten.“

      „Warum eigentlich?“ fragte Teer. „Wir leben doch. Wenn diese blöde Zeitreise-Formel gar nicht entsteht, dann leben wir doch einfach weiter.“

      „Eben nicht! Wenn wir die Möglichkeit der Zeitreise nicht finden, dann reisen wir morgen auch nicht. Dann sind wir also gar nicht hier. Ich meine: werden nicht hier sein … werden nicht hier gewesen sein. Du verstehst schon.“

      „Aber wir sind doch hier. Diese Tatsache beweist doch, daß wir es irgendwie schaffen.“

      „Ja, stimmt. Wir sind hier. Und das gleich zweimal. Wenn wir jetzt hier weiterleben, dann wird die Welt von morgen, aus der wir gestartet sind, gar nicht existieren. Dann ändern sich die Dinge.“

      „Du meinst, eine Parallelwelt ist entstanden?“

      „Vielmehr eine Alternativwelt“, sagte Feder gewichtig. „Was wir in den vergangenen 20 Stunden erlebt haben, existiert gar nicht. Hat nie existiert. Wird nie existieren. Das Frühstück, morgen früh … wird niemals stattfinden.“

      Das schien ihn arg zu betrüben.

      Teer ging hinaus, ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Feder folgte ihm.

      „Aber wir haben das Frühstück doch im Magen. Und verdauen es gerade.“

      „Trotzdem wird es so nie stattfinden. So Gott will, werde ich zwar morgen früh frühstücken. Ich werde auch vermutlich wieder Rührei in die Pfanne hauen. Aber werde ich auch dieselben Eier aus der Schachtel nehmen? Unwahrscheinlich. Ich greife da immer wahllos hinein. Es wird also ein anderes Frühstück sein.“

      „Noch schlimmer“, sagte Teer, der im stillen darüber nachdachte, wie Feder es fertigbrachte, trotz seiner ständigen Freßgelüste nicht dick zu sein wie eine Tonne. „Dein Abziehbild wird dir morgen früh die Eier vor der Nase wegschnappen. Nicht du wirst die Eier verputzen, sondern er. Der übrigens in Kürze hier erscheinen wird.“

      „Das gefällt mir nicht!“ sagte Feder.

      „Daß er deine Rühreier bekommt?“

      „Daß es uns zweimal gibt. Oder daß wir uns möglicherweise morgen in nichts auflösen. Entweder hören wir auf zu existieren, oder wir werden hier weiterleben, in Welt x1. Und dann gibt es uns zweimal. Und das kann kompliziert werden.“

      Sie waren wieder im Arbeitszimmer angelangt, mit nur leidlich sauberen Händen. Die Tinte ging nicht ganz ab. Eine schöne Sauerei: Tinte an den Fingern, die verschmierte Tinte auf dem Schreibtisch, Teer 2 bewußtlos am Boden.

      Teer 1 löste stöhnend seine Krawatte und schmiß das Ding wütend zu Boden. Schöner Schlamassel!

      „Da fällt mir was ein“, sagte er dann. „Diese Formel: Weißt du sie noch?“

      Feder überlegte. Wo bekam er jetzt etwas zu essen her?

      „Warte mal …“ Teer schloß die Augen. Öffnete sie wieder, ging zur Tafel und schrieb eine Gleichung aus Buchstaben und Zahlen. „Ich glaube, so war das doch.“

      Feder trat hinzu und musterte das Geschriebene mit kritischem Blick.

      „Das war anders“, sagte er und wischte einen Teil wieder aus. „So. So war das.“

      „Ja“, murmelte Teer, „könnte sein. Aber diese Potenz ist falsch. So!“

      Er hatte eine Zahl ausgewischt und eine andere hingeschrieben.

      Sie standen beide vor der Tafel, in einträchtiger Stille.

      „Könnte hinkommen“, sagte Feder.

      „Wir können ja nochmal in Ruhe …“, setzte Teer an. Aber in diesem Moment hörten sie Teer aufstöhnen – den Teer, der am Boden lag. Er kam zu sich.

      „Verdammt!“ sagte Feder. „Du … ich meine: er wacht auf.“

      Gleichzeitig hörten sie die altmodische Glocke der Haustür.

      „Das