Martin Cordemann & Lucien Deprijck

ZU ZWEIT DURCH DIE ZEIT


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Jetzt schnell!“

      In der Eile blieb ihnen keine andere Möglichkeit, als hinter dem Schreibtisch abzutauchen.

      Teer war zu sich gekommen. Er blickte auf. Er hatte gerade einen Weg gefunden, wie alle Menschen friedlich miteinander leben konnten, jeder genügend zu essen hatte und es allen gut ging. Dann war er aufgewacht. Mist! Und war er nicht auch kurz davor gewesen, das Problem der Zeitreise zu lösen? Doch dann … war er wohl eingeschlafen.

      Feder kam ins Zimmer, wie üblich ohne anzuklopfen.

      „Wie sieht’s denn hier aus?“ sagte er. „Alles mit Tinte verschmiert!“

      Teer 2 an der Tafel drehte sich erschrocken um, verstrickte sich in die von Teer 1 hingepfefferte Krawatte, die sich am Kaminrost verfangen hatte, und knallte mit dem Kopf so brachial gegen eine gußeiserne Löwenfigur am Kamin, daß er sofort tot war. Es kam so plötzlich und so entsetzlich, daß Teer und Feder 1 reflexiv hinter dem Schreibtisch in die Höhe fuhren. Feder 2, bleich, starrte entgeistert auf seinen toten Kollegen, dann, noch bleicher, auf Teer und Feder 1, griff sich ans Herz, röchelte und fiel um.

      Dann war es totenstill. Im Sinne des Wortes.

      „Na toll!“ sagte Feder. „Das haben wir ja sauber hingekriegt!“

      Teer ging hinüber, bückte sich, wagte aber nicht, die am Boden Liegenden anzufassen. Sich selbst den Puls fühlen? Und dann keinen finden? Er erschauerte.

      „Genickbruch“, konstatierte er. „Und Herzinfarkt. Das hast du jetzt von deinen andauernden Bagels und Donuts und diesem ganzen fetten Zeug!“

      Feder beschloß, von nun an allen Arten fettigen Gebäcks abzuschwören.

      „Und jetzt?“

      Feder nahm sich einen Hocker und setzte sich. Der Anblick seiner Leiche war ihm doch in die Glieder gefahren.

      „Eigentlich ist doch alles in Ordnung“, sagte er.

      „Na, wenn du meinst …“

      „Überleg doch mal! Wir müssen jetzt nur noch ihre Plätze einnehmen. Die Leichen müssen wir natürlich verschwinden lassen. Aber dann ist doch alles bestens: Ich baue die Zeitmaschine nach der Formel …“

      „… wenn die stimmt!“

      „… und dann unternehmen wir schon morgen unsere erste Expedition.“

      Teer kratzte sich verwirrt das Kinn. „Die Zeitmaschine hätte eigentlich er bauen sollen.“ Er zeigte auf den mausetoten Feder 2. „Und er hat sie doch auch gebaut. Oder nicht?“

      „Ja, das hat er. Vielmehr: ich. Sonst hätten wir ja nicht mit der Maschine verreisen können.“

      „Aber jetzt ist er tot und kann sie überhaupt nicht mehr bauen.“

      „Dafür baue ich sie ja. Bzw. habe ich sie schon gebaut. Muß sie aber jetzt nochmal bauen. Und da ich’s schon mal gemacht habe, wird’s mir umso leichter fallen.“

      Teer hatte einen stieren Blick. Ihm war das alles zu hoch. Feder auch. Aber er tat wenigstens so, als ob er das alles durchblickte.

      „Wie kannst du sie gebaut haben und doch noch nicht gebaut haben?“

      „Das sind die Tücken der Zeitreise“, sagte Feder. Er blickte auf die Standuhr neben der Tür. 17 Uhr fünf. „Am besten, man denkt nicht drüber nach. Sonst wird man verrückt. Und jetzt laß uns erst einmal beten, daß die Formel stimmt!“

      „Und wenn nicht?“

      In diesem Moment materialisierte sich ein Bagel mit rosa Überzug direkt vor ihnen auf dem Tisch. Teer und Feder blickten sich an, dann wieder den Bagel.

      „Da siehst du’s“, sagte Feder. „Die Antwort auf unsere Frage. Die Formel stimmt. Ganz offenbar habe ich die Zeitmaschine ein zweites Mal gebaut und damit diesen Bagel in die Vergangenheit geschickt – und zwar exakt so, daß wir ihn sehen müssen. Er ist sozusagen eine Botschaft. Der Beweis. Jetzt kann ich ruhig an die Arbeit gehen!“

      Er wollte den Bagel ergreifen, aber da verschwand dieser ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Feder fluchte. „Offenbar werde ich die glorreiche Idee haben, ihn gleich wieder zurückzuholen!“

      Feder machte sich unverzüglich ans Werk. Er baute die Zeitmaschine, schickte damit den Bagel um die entsprechende Anzahl von Stunden in die Vergangenheit – holte ihn aber schnell zurück, bevor sein Ich des vorigen Tages ihm das Ding wegschnappen konnte. Er holte ihn zurück und verspeiste ihn. Dabei lachte er sich kaputt, als er an sein eigenes enttäuschtes Gesicht von gestern dachte. Seinen Schwur, sich fortan gesund zu ernähren, hatte er ganz offenbar schon wieder vergessen.

      „Schön, schön“, sagte Teer. „Aber: Sind wir jetzt eigentlich noch wir?“

      „Wie belieben?“

      „Wir haben uns selbst in die Vergangenheit geschickt, aber das, was wir gestern waren, ist unter tragischen Umständen zu Tode gekommen. Sind wir noch wir selbst? Oder nur eine Art Klon? Was sind wir?“

      Feder gähnte. „Müde“, sagte er. „Und hungrig. Aber das Schwerste haben wir noch vor uns!“

      Es war mitten in der Nacht, als Teer und Feder die in Plastiksäcke verpackten Leichen ihrer Pendants an einer unbeleuchteten Stelle des alten Hafens bemüht waren, in den Fluß zu wuchten.

      „Gleich ist alles überstanden“, ächzte Feder. „Jetzt nur noch ins Wasser mit den beiden. Und dann schlafen. Und dann in Ruhe nachdenken, welches erste Ziel wir mit der Zeitmaschine ansteuern!“

      Sie waren gerade dabei, Teer 2 an die Kante des Piers zu rollen, als plötzlich das Licht einer Taschenlampe aufflammte und ihnen grell ins Gesicht schien.

      „Das nächste Ziel ist, glaube ich, das Kittchen!“ sagte ein als Wachmann erkennbarer stämmiger Bursche. „Dann laßt doch mal sehen, was ihr da so hübsch verpackt habt!“

      3

      „Äh“, sagte Teer. Mehr fiel ihm spontan nicht ein.

      Feder war da ein wenig versierter. „Äh, äh“, kam es aus seinem Mund. Leider, offensichtlich, nicht viel versierter!

      Der Wachmann sah die beiden drohend an. Alles wirkte wie aus einem schlechten Film. Und vor allen Dingen extrem kriminell. Zwei Typen, die bei Nacht zwei Plastiksäcke in der Größe von Menschen an den Fluß rollten, da konnte doch was nicht mit rechten Dingen zugehen.

      „Chemiemüll?“ versuchte es Feder und wünschte sich insgeheim, er hätte seinen letzten Bagel nicht schon aufgegessen. Dann hätte er jetzt was gehabt, wo er seine Zähne hineinschlagen konnte, und Teer hätte die ganze Sache mit dem Sprechen übernehmen müssen.

      „Bitte?“ fragte der Wachmann.

      „Ich habe nicht Sie gemeint.“ Feder wandte sich Teer zu, der noch immer wie erstarrt dastand. „Sollen wir sagen, es sind Chemieabfälle?“

      „Ich kann Sie hören, Freundchen“, sagte der Wachmann. Leute, die Freundchen sagten, waren Feder schon immer unsympathisch gewesen. Freundchen oder Freund, das waren Wörter, die die Leute offensichtlich niemals ernst meinten. Also warum sie dann überhaupt sagen? Warum konnte man denn nicht direkt zu den Drohungen übergehen? Denn ums Drohen ging es hier doch, soviel war klar.

      „Das ist ein Privatgespräch“, versuchte es Feder, aber der Wachmann warf nun einen verdächtig intensiven Blick auf die beiden Säcke.

      „Sind da etwa Leichen drin?“

      „Na, was meinen Sie denn?“

      „Ich meine: ja!“ rüffelte der Kerl.

      „Mit dem Begriff 'rhetorische Frage' sind Sie wohl nicht sonderlich vertraut, oder?“ Feder schien nun langsam der Kragen zu platzen. Er wünschte sich, er hätte das weitere Hemd angezogen. Seine Kragen waren ihm immer zu eng. Lag vielleicht an den