Martin Cordemann & Lucien Deprijck

ZU ZWEIT DURCH DIE ZEIT


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sich dicht vor Feder auf, ein weiterer Versuch, bedrohlich zu wirken, wie Feder fand. Er hatte ja wenig Verständnis für diese Art Verhalten. Aber wenigstens stierte der Kerl nicht mehr die beiden Leichensäcke an.

      „Nun, ähm, Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es hier zu tun haben“, spielte Feder nun die letzte Karte aus, die er nicht hatte. Denn, wenn man ehrlich war, keiner kannte ihn oder seinen Partner. Sie waren das, was man verschrobene Wissenschaftler nannte, wohlhabend geboren, Anwesen geerbt, das Personal übernommen, sich der Wissenschaft gewidmet. So eine Art alter Adel, nur, daß sie nicht ständig in der Klatschpresse auftauchten. Dafür waren ihre Leben einfach zu langweilig. Oder waren es gewesen, bis Teer dieses blöde Zeitreiseproblem lösen mußte und sie …

      „Nein“, kam es von oben herab, also vom Wachmann, der nun von oben herab sprach, obwohl er einen halben Kopf kleiner war als Feder. „Ich weiß nicht, mit wem ich es hier zu tun habe. Mit zwei Clowns?!“

      „Nicht ganz“, murmelte Teer, der sich endlich aus seiner Starre gelöst hatte. „Aber so etwas ähnliches.“

      „So etwas ähnliches?“ Der Wachmann, ein wenig irritiert von den Puderzuckerflecken auf Feders Kleidung, die er möglicherweise für Rauschgift hielt und die ihn einen riesigen Coup wittern ließen, den er hier gerade jetzt aufzuklären kurz bevor stand, sah nun zu Feders Partner hinüber. „Was ist denn sowas ähnliches wie Clowns?“

      Teer lächelte. „Zauberer!“

      „Zauberer?“ Der Wachmann verstand kein Wort. Feder ging es ähnlich.

      „Wir sind Zauberer“, sagte Teer mit einer Zuversicht, die Feder ein wenig Angst einjagte. Hatte sein Freund gerade den Verstand verloren? Oder, schlimmer noch … Nein, wenn er ehrlich war, fiel ihm gerade nichts Schlimmeres ein. „Und wir sind hierher gekommen, um einen neuen Trick auszuprobieren. Einen sehr gefährlichen Trick.“

      „Was für einen Trick?“ Der Wachmann war noch nicht überzeugt, begann aber zu zweifeln.

      „Wir beide“, Teer deutete erst auf Feder und dann auf sich selbst, „werden uns in diese beiden Plastiksäcke hineinzaubern. Es ist sehr gefährlich, weil wir, wenn die Säcke nicht rechtzeitig geöffnet werden, dabei sterben könnten.“

      Und bevor der Wachmann auch nur den Deut eines Einwands erheben konnte, hob Teer einen der Säcke hoch und trat an die Hafenkante. Feder, in der Hoffnung, sein Freund habe einen Plan, tat es ihm nach.

      „Schauen Sie genau hin“, sagte Teer, drückte eine Taste auf einem kleinen Kästchen … und schon waren die beiden Männer verschwunden. Die beiden Plastiksäcke, die nun von niemandem mehr gehalten wurden, stürzten ins Wasser. Es dauerte mehrere Stunden, bis ein Team von Tauchern die beiden Körper von Teer und Feder aus dem Wasser geborgen hatte. Doch jede Hilfe kam zu spät, beide waren mehr als tot.

      „Wir sind bei einem Zaubertrick ums Leben gekommen“, sagte Feder, die Zeitung von morgen, dem Zeitpunkt, zu dem er sie nach Teers Benutzung der „Wahlwiederholung“, gebracht hatte, in der Hand. In der anderen hatte er einen Bagel. Und im Mund auch, so daß es für Teer schwierig war, ihn richtig zu verstehen.

      „Bitte?“

      „ZAUBERTRICK IM HAFEN GEHT SCHIEF“, las Feder nun, traurig, sich für die nächste Zeit nicht seinem Bagel widmen zu können. „Die beiden Wissenschaftler Teer und Feder, die sich offensichtlich als Zauberer versuchen wollten, sind in der vergangenen Nacht im Hafen gestorben. Der diensthabende Wachmann bestätigt, daß es eindeutig dieselben zwei Leute waren, die er an der Hafenkante gestellt hat, die in den beiden Säcken aus Plastik gefunden wurden und so weiter und so weiter. Damit sind wir fein raus. Wir sind keine Mörder.“

      „Nein, wir sind nur tot.“

      „Wo ist da das Problem?“

      „Wer erbt dein Anwesen, wenn du mal nicht mehr bist?“

      „Tante Boa.“

      „Tante … Feder-Boa?“

      „Wir nennen sie nicht so.“ Feder biß pikiert in seinen Bagel.

      „Und der können wir vertrauen? Daß sie nicht einfach die Zeitmaschine aus deinem Keller wegschmeißt?“

      „Tante Boa haßt Keller“, sagte Feder, als würde das alle Probleme aus der Welt schaffen. Und er sagte es erst 45 Sekunden später, nachdem er den Bagel verspeist hatte.

      „Dann müssen wir uns also keine Sorgen machen?“

      „Nein.“ Feder schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Plan, wie ich dafür sorge, daß wir wieder zu Lebenden erklärt werden.“

      „Und was ist das für ein Plan?“

      Feder griff in eine Papiertüte und förderte einen weiteren Bagel zutage. „Das hat Zeit“, meinte er beruhigend. „Wir haben ja eine Zeitmaschine, wir können reisen, wannhin wir wollen. Ob wir die Sache heute klären oder in 10 Jahren ist doch egal. Solange wir uns daran erinnern.“ Er biß in den Bagel, was eine weitere Unterhaltung erstmal unmöglich machte, oder zumindest sehr einseitig.

      „Und was machen wir jetzt?“ fragte Teer nach einiger Zeit.

      „Ich würde sagen, Dinner mit Shakespeare.“ Feder lächelte. Davon hatte er schon immer geträumt. Mit berühmten Persönlichkeiten der Geschichte zu essen. Andere wollten in die Vergangenheit reisen, um Hitler zu töten oder ihr eigener Vater zu werden. Feder nicht. Er wollte nur essen. Mit so vielen bekannten Persönlichkeiten wie möglich. Was, wenn sie selbst am letzten Abendmahl teilnehmen konnten? Wäre das nicht das Größte. Vorher mußte er allerdings sein Hebräisch ein wenig auffrischen. Oh, ihnen standen großartige Reisen bevor und noch großartigere Mahlzeiten. Doch sie wollten klein anfangen … aber nicht zu klein. Shakespeare würde einen hervorragenden Anfang darstellen. „Also“, sagte er und gab etwas in das kleine Kästchen ein, „speisen wir mit dem bekanntesten Dichter aller Zeiten.“ Feder drückte den Knopf.

      „Oh-oh“, sagte Teer, als die beiden die Augen wieder öffneten. Ein grün gekleideter Mann mit einer Art Maschinengewehr in der Hand rannte schreiend auf sie zu. Wann auch immer sie waren, in Shakespeares Zeit waren sie jedenfalls nicht!

      4

      Teer und Feder verstanden kein Wort von dem, was der Mann ihnen aufgeregt mitteilte. Ein Farbiger in Uniform, mit einer Riesen-Knarre, die mindestens so gefährlich aussah wie Ripleys Flammenwerfer in „Aliens – Die Rückkehr“. Der Soldat winkte energisch mit der Hand, was wohl heißen sollte, sie sollten hier verschwinden.

      „Was um alles in der Welt hast du da eingetippt?“ fragte Teer panisch.

      „London, 13. Juni 1594“, sagte Feder. „Ich kenne Shakespeares Lieblingslokal und habe eine Ahnung, wo wir ihn finden könnten.“

      Teer riß ihm das Kästchen aus der Hand. „Du Idiot!“ sagte er. „Hier steht Tondon, 31. Juni 1954! Kannst du nicht ein bißchen aufpassen!“

      Der Soldat wurde indessen ungeduldig.

      „What are you doin’ here?“ fragte er barsch. Zwei andere Uniformierte kamen näher.

      „Wo zum Henker liegt Tondon?“ keuchte Feder, dem der Schweiß ausbrach. Vor Angst. Und vor Hitze. Eine drückende, tropische Hitze.

      „Offenbar in Afrika. Hier ist ja der Teufel los. Scheint irgendein Aufstand zu sein. Irgendwelche Unruhen.“

      Jetzt standen drei Soldaten vor ihnen, einer davon noch fast ein Junge, und genau der legte in jugendlichem Eifer seine Waffe an und schrie: „I kill you!“

      „Um Himmels willen, drück schnell irgendwas!“ zischte Teer.

      „Du hast doch jetzt das Ding. Drück du! Schnell! Irgendwas!!!“

      Teer drückte irgendwas.

      Sie materialisierten sich in … ja, was war das eigentlich? Ein Ort? Ein Zustand? Die Hölle? Überall waberten