Jay Bates

Der Schnüffel-Chip


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mit ein paar Hammerschlägen die rechte Scheibe zertrümmert, sich seine auf dem Nebensitz liegende Laptop-Tasche geschnappt und waren auf ihrem Motorrad um die Ecke verschwunden, noch ehe er hatte reagieren können. Gott sei Dank waren nur seine darin befindlichen Sandwichs ihre Beute gewesen, neben der Tasche selbst natürlich ?­­ auch sie hatte Geld gekostet. Und seinen neuen Pass mit den biometrischen Daten auf dem Chip, sein wichtigster und kostbarster Besitz, den trug er sowieso immer am Körper tief in seinen Taschen vergraben.

      Besonders dieser Ausweis war es gewesen, der ihm den Vorwurf seiner Frau eingebracht hatte, er habe sie nur wegen der Staatsbürgerschaft geheiratet. Von Anfang an hatte die Beziehung auf Missverständnissen beruht. Sie hatte eigentlich nur den exotischen feurigen Liebhaber gesucht. Und er konnte nicht einmal mit einem Kondom richtig umgehen. Eddie, sein Freund, hatte ihn immer gewarnt vor „Sex-Kontakten zu Weibern, die nur mal einen schwarzen Schwanz ausprobieren möchten.” Doch er hatte sich nach emotionaler Wärme gesehnt in dieser Welt, in der er ständig fror, und war nach ihrer ersten Nacht bei ihr geblieben. Aber sie war arrogant und kalt, und nur morgens im Bett genoss er ihre körperliche Wärme. Jetzt litt er unter dem Verbot, seinen dreijährigen Sohn zu sehen, den sie herabsetzend immer „das Milka-Baby” nannte. Und seine Wohnung war jetzt kalt und leer und ohne jegliches Geräusch eines menschlichen Wesens.

      Die hohen Unterhaltszahlungen seit ihrer Scheidung hatten ihn gezwungen, die zwei Jobs anzunehmen, legale immerhin mit allen Papieren. So war er tagsüber Gärtner in einer exklusiven Wohnanlage und abends Gebäudereiniger in Banken und Büros. Da brauchte er das Auto, so alt und klapprig, wie es war, denn die Fahrten mit den Bussen, die immer öfter wegen der Smog-Fahrverbote notwendig waren, waren extrem zeitraubend und umständlich.

      Okambo hatte sich seine Wohngegend ja nicht aussuchen können. Die Höhe der Miete bestimmte sein soziales Umfeld, und das war überhaupt nicht zu seiner Zufriedenheit. Der hohe Anteil an Ausländern, insbesondere Jugendlichen, machte ihn – den Schwarzen – zu einer beliebten Zielscheibe von Aggressionen. Jeder, der nur eine Spur hellere Haut hatte als er, glaubte höher zu stehen als “dieser Kongoaffe“. Angriffe, mit denen er alleine fertig werden musste, denn er war kein Mitglied irgendeiner Bande, die ihn hätte schützen können, und die Polizei traute sich auch nur in Notfällen und beachtlichen Mannschaftszahlen in diese Gegend. Nicht einmal die Müllabfuhr kam regelmäßig, und entsprechend sah es aus.

      Nun war er auf dem Weg zur Bushaltestelle, den Kragen seines warmen cremefarbenen Raglan-Mantels aus dem Secondhand-Shop hochgeschlagen. Eine große, kräftige Gestalt mit aufrechtem Gang, allein auf weiter Flur. Der starke Regen hatte kurz nach dem Aufstehen aufgehört, und er hatte sich entschieden, lieber nicht zu frieren als sich nur mit seinem dünnen Regenmantel zu schützen. Es schien ja dieses Jahr überhaupt nicht Frühling werden zu wollen. Dunkle Wolkenfetzen jagten über den Himmel und ab und zu fegte eine Bö die Straße entlang. Es fiel nur noch ein leichter Nieselregen, kaum zu merken. Er legte sich auf die pelzigen Härchen seines Mantels wie Nebeltröpfchen auf ein Lotusblatt. Derselbe feine Überzug bedeckte seine kurzen gekräuselten Haare wie ein Brautschleier bei einer afrikanischen Hochzeit.

      Gemächlich, doch mit festem und weiträumigem Schritt ging er die Straße entlang. Den Bus um 9 Uhr 35 würde er noch gut erreichen. Die Häuserzeilen der grauen Mietskasernen, durch einfallslose Graffiti verunstaltet, begleiteten ihn in ihrer Eintönigkeit, nur unterbrochen von einem nicht minder hässlichen brach liegenden Grundstück, dessen Gestrüpp, von Müllbeuteln und Unrat bedeckt, erst wenige grüne Spuren zeigte. Hier spielten oft Kinder, doch zu dieser frühen Tageszeit war noch niemand zu sehen.

      Als ein kurzer Sonnenstrahl ein paar undefinierbare Blümchen am Anfang des verwilderten Grundstücks beleuchtete, lächelte er. Sein Auto war fertig, und es würde nicht viel kosten. Eigentlich begann der Tag doch ganz gut.

      2.

      Der Name ”Kastanienallee” war ein Relikt aus früheren Zeiten. Die Kastanien waren verschwunden, die ehemals breiten Bürgersteige zu Parkhäfen verkommen, um die sich die abendlichen Schlachten der Heimkommenden entzündeten, und die Bürgerhäuser mit ihren Vorgärten waren zum großen Teil vierstöckigen Mietskasernen gewichen. Gelegentlich roch es etwas nach Kloake, weil wegen der vielen Leerstände in diesem Viertel und der hohen Wasserpreise die Abwasserleitungen nicht mehr genügend durchgespült wurden.

      Aufmerksam steuerte Carlo Diaz seinen Bus um die zahllosen Schlaglöcher herum, dessen zermarterte Stoßdämpfer keine weiteren Attacken schlechter Straßen ertragen würden. Er wurde für solche Schäden am Bus von den Verkehrsbetrieben persönlich haftbar gemacht und sogar finanziell beteiligt ?­­ das konnte ins Geld gehen und sogar seinen Personenbeförderungsschein gefährden, auf dessen rechtmäßigen Erwerb er so stolz war. Viele PBS seiner Kollegen waren ja mit ”Vitamin B” erworben oder gar im Internet gekauft worden.

      Im hinteren Teil des Busses war inzwischen Lärm entstanden, der ihn ablenkte. Ein Mann mittleren Alters war mit zwei Jugendlichen, einem Jungen und einem Mädchen, offensichtlich in Streit geraten.

      Carlo Diaz konnte über dem Motorengeräusch nur Teile verstehen. Wörter wie „Frechheit!”, „Reg dich ab, Alter!”, „Ich rufe die Polizei” und „Willst du’n Messer sehen?” drangen an sein Ohr. Auch das Mädchen schien kräftig mitzumischen.

      Langsam schien sich der Streit zu einer Rangelei zu steigern, wie er im Rückspiegel beobachten konnte. Die Jugendlichen hatten begonnen, den Mann hin und her zu schubsen, der offensichtlich behindert war und sich nicht zur Wehr setzen konnte. Hilflos und verängstigt klammerte er sich an eine Haltestange wie ein dürres Kapuzineräffchen an seine Mutter.

      Kurz entschlossen zog Carlo Diaz seinen Bus zur Seite an den Straßenrand. Das Fauchen der Druckluftbremsen, mit denen er den Bus abrupt zum Stehen brachte, passte gut zu seinem Gesichtsausdruck. Gewohnheitsmäßig zog er den Zündschlüssel ab, nahm sein Funksprechgerät aus der Halterung und schritt nach hinten, Würde und Drohung in einem.

      Ruhig, aber mit klarer und lauter Stimme fragte er: „Was ist hier los?”

      Der Mann, der sich aus der Nähe als recht betagt entpuppte, versuchte sofort, seine Beschwerde loszuwerden. Seine Stimme klang gepresst, als hätte die Angst vor den Angreifern noch seinen Hals umklammert. „Die haben mir ihre Limonade über die Hose gekippt!”

      In der Tat konnte Carlo Diaz nun feststellen, was ihm im Rückspiegel entgangen war: Die beiden hatten Getränketüten in den Händen, aus denen Strohhalme ragten. Das machte die Sache einfach.

      Ein scharfer Blick, ein strenger Ton: „Der Verzehr von Speisen und Getränken ist im Bus verboten. Werft die Sachen in den Papierkorb!”

      Der schlaksige Junge, dessen Hosenboden knapp über den Kniekehlen begann, ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. Auch der Blick auf die Fahrgast-Behandlungsutensilien an Diaz’ Gürtel – ausziehbare Schlagrute, Pfefferspray und Handschellen – schien ihn nicht vorsichtig zu stimmen. „Auch wenn du der Fahrer bist, du hast uns gar nicht zu sagen!”

      Das Mädchen, einen Kopf kleiner, drahtig und mit einer aggressiven roten Haarfarbe, assistierte ihm: „Die Vorschriften interessieren uns nicht und ihr alten Säcke auch nicht!”

      Carlo Diaz reagierte professionell. Er hob das Funksprechgerät an den Mund und tat so, als wollte er es benutzen, ließ es dann aber wieder etwas sinken und fragte: „Wollt ihr die harte Tour oder macht ihr, was ich sage?! Sonst ist eure Reise hier zu Ende.“ Er deutete auf die Überwachungskamera im vorderen Teil des Busses: „Und lächelt! Ihr seid auf Sendung!“

      Der Junge grinste und zeigte seine gepiercte Zunge: „Dann hol’ doch die Bullen!“

      Carlo blieb kühl. Sein kaltes Lächeln kündigte den bevorstehenden Sieg an: „Das könnte dir so passen! Vielleicht gleich noch mit ’nem Sozialarbeiter?! Nee nee, wir haben unsere eigene Security, die ist in fünf Minuten hier... und da kriegt ihr das volle Waschprogramm: Vorwäsche, Hauptgang, Schleudern. Also, was ist nun?“

      Das war natürlich ein Bluff – niemand von den Fahrern würde wegen einer solchen Lappalie drei Qualifikationspunkte riskieren. Aber er wirkte.