Walter K. Ludwig

Gaukler


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      „Okay.“

      Die Frau eilt davon. Limbach sieht ihr nach. Und freut sich. Eine Leserin. Eine Leserin seines ersten und bisher einzigen Buches. Das sie offenbar mit hierher, nach Hamburg, genommen hat. Oder vielleicht hier gekauft hat. Und hier liest. In der Bahn. Im Hotelzimmer. An der Alster. An der Elbe. Wo auch immer. Sein Buch. Ein Roman. Ein Krimi.

      Genau genommen: Ein hanebüchenes, vom Verlag dreist als Politthriller tituliertes Machwerk, gespickt mit dunklen Verschwörungstheorien, Halbwahrheiten, Andeutungen und Stammtischparolen, garniert mit etwas Action und ein wenig Sex. Sabbernde Männer-Fantasie. Und ein Mega-Erfolg. Genau das, was die Leute derzeit offenbar lesen wollen. Zum Glück. Für ihn. Die Grundlage seines neuen Lebens.

      Die Frau kommt zurück. Ihre Wangen haben sich ein wenig gerötet. Was gut zu ihren dunkelrot getönten Haaren passt.

      Sie hält ein Exemplar seines Buches in der Hand. Sie schlägt es auf und hält es ihm hin. Und lächelt dabei verlegen wie ein kleines Mädchen.

      „Hier, bitte.“

      Limbach sieht sie freundlich an.

      „Für?“

      „Sabine aus Dortmund.“

      Routiniert und gönnerhaft signiert der Bestsellerautor das Exemplar. Die Frau bedankt sich artig und verabschiedet sich schnell. Limbach muss an das Reh denken. Das sich so selten blicken lässt. Und so schnell wieder verschwindet.

      „Darf's noch was sein? Noch ein Glas Champagner vielleicht?“ Die Bedienung ist an den Tisch getreten.

      „Nein danke, muss noch fahren.“

      Der Gedanke an das Reh ist Limbach eine Warnung. Immer und überall. Bloß keine falsche Bewegung, denkt er. Sonst ist es gleich wieder weg.

      Limbach ist fest entschlossen, alles richtig zu machen. Aber was ist richtig? Und was falsch? Das sagt einem ja keiner. Keiner. Ja, Limbach ist ein Erfolgsautor. Aber erst seit kurzem. Seit sehr kurzer Zeit. Gestern noch Hartz-IV-Empfänger. Heute Bestsellerautor. Liebling der Medien, Stammgast in sämtlichen Talkshows. Alle möglichen und unmöglichen Preise abgeräumt. Und, bisheriger Höhepunkt seiner noch jungen Schriftsteller-Karriere: Neuerdings Jury-Mitglied bei „Deutschland sucht den Super-Autor“. Der Bohlen der Buchbranche.

      Eigentlich gibt es zwei Limbachs. Der eine ist für die Medien. Mitunter wild pöbelnder Skandal-Autor, der die Erwartungen der begeisterten Meute punktgenau bedient. „Kinski der Krimi-Szene“ hat eine junge Journalistin kürzlich voller Bewunderung geschrieben. Das war, nachdem Limbach in einer Fernsehdiskussion gesagt hatte, die Argumente der Initative „Eine Schule für alle“ erinnerten ihn an die Roten Khmer.

      Riesen-Eklat. Fernseh-Rat.

      Tags darauf sind die Verkaufszahlen von Limbachs Buch erneut in die Höhe geschnellt.

      Der andere Limbach ist der Limbach für die Leser. Wann immer ein Leser, eine Leserin an ihn herantritt, reagiert er freundlich und mit ausgesuchter Höflichkeit. Nicht aus Berechnung. Sondern aus tiefster Überzeugung. Und aus ehrlicher Freude. Denn er liebt seine Leser. Am Anfang, als er noch nicht so bekannt und erfolgreich war, hat er sogar einen besonderen Service angeboten: Hauslesungen bei Lesern. „Autor kommt zu Ihnen nach Hause und liest“ hat der entsprechende Eintrag auf seiner Homepage gelautet.

      Honorar: Eine warme Mahlzeit.

      Jetzt, wo er berühmt ist, geht das natürlich nicht mehr. Leider. Dafür sind andere Dinge möglich. Dinge, die er vor kurzem noch nicht für möglich gehalten hätte. Eindeutige Angebote von wildfremden Frauen zum Beispiel.

      Hoffnungsvolle Nachwuchsautoren, die ihm ihre Manuskripte in die Hand drücken.

      Windige Literatur-Agenten, die ihm ihre Dienste anbieten und die abenteuerlichsten Versprechungen machen. Und Verleger, die ihn mit unsittlichen Angeboten abwerben wollen, sowieso.

      Limbach zahlt, gibt der Bedienung ein üppiges Trinkgeld und geht. Er setzt sich an das Steuer seines Lamborghini Aventador und startet den 700-PS-Motor. Klima-Zerstörung? Limbach ist sich der Problematik durchaus bewusst. Aber der Sound beruhigt nun mal seine Nerven. Und das ist gut für seine Gesundheit. Und seine Gesundheit geht ihm nun mal über alles. Außerdem vermeidet er schon seit Jahren konsequent Flugreisen – seit ein Kollege mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter auf der Rückreise aus der Dominikanischen Republik abgestürzt ist. Seine CO2-Bilanz kann sich also durchaus sehen lassen, findet er. Jedenfalls vergleichsweise.

      Ohne festes Ziel fährt Limbach los. Zunächst dreht er eine Runde um die Außen-Alster. Vor dem amerikanischen Generalkonsulat muss er wie immer einen Umweg machen, weil dort aus Sicherheitsgründen die Straße gesperrt ist. Bin Ladens Vermächtnis. Aus dem CD-Player tönen die Stones. „Time is on my side“, nölt Jagger. Limbachs Lieblingsstück neuerdings. Davor hat er oft „Paint it black“ gehört. Wie sich die Zeiten ändern, denkt er.

      Bis zu seiner Verabredung ist noch jede Menge Zeit. Er fährt stadtauswärts Richtung Autobahn. Auf der A7 Richtung Kiel jagt er den Lambo kurz auf

      250 hoch. Ein schwarzer BMW will es mit ihm aufnehmen.

      „Wohl größenwahnsinnig“, knurrt Limbach belustigt und wirft dem Mittzwanziger-Schnösel am Steuer einen mitleidigen Blick zu. Dann tritt er das Gaspedal kurz durch und der BMW-Schnösel gibt bald entnervt auf. „Da muss Papi das nächste Mal wohl noch etwas tiefer in die Tasche greifen“, sagt Limbach halblaut vor sich hin und sieht dabei triumphierend in den Rückspiegel, wo der BMW immer kleiner wird und bald nicht mehr zu sehen ist. Limbach fährt bis Höhe Neumünster und macht sich dann auf den Weg zurück nach Hamburg. Wie immer am Steuer des Lambo ist er in einem Hochgefühl. Ein fast rauschhafter Zustand. High ohne Drogen. Die Pferdestärken röhren und tragen ihn in einem Wahnsinnstempo voran.

      Limbach geht es gut. So gut wie noch nie in seinem Leben. Endlich ist er da angekommen, wo er immer hinwollte. Ganz oben. War auch höchste Zeit.

      Er hat schwere Jahre hinter sich. Sehr schwere. Fast wie Bukowski. Na ja, nicht ganz. Der hatte es erst mit fünfzig geschafft, hatte dann noch dreiundzwanzig gute Jahre und hatte dann zügig ausgecheckt.

      Wie viel Zeit mir wohl bleibt, überlegt Limbach. Je erfolgreicher er wird, desto ängstlicher wird er auch. Morgen kann alles schon wieder vorbei sein, sagt er sich oft. Die Angst sitzt tief. Umso mehr, als sein Erfolg auf einer Lüge basiert, im Grunde genommen. Auf einer Riesenverarschung jedenfalls. Und wenn alles auffliegen würde? Bald? Oder irgendwann? Nicht auszudenken.

      „It's all over now, baby blue“, singt Jagger.

      Zurück in Hamburg, stellt Limbach den Lambo in einem Parkhaus in der Innenstadt ab und sucht dann sein nahegelegenes Stamm-Bistro auf. Er setzt sich an seinen ständig für ihn reservierten Stammplatz in der Ecke, von wo aus er das ganze Lokal gut im Blick hat. Die Bedienung begrüßt ihn freundlich und bringt ihm einen Milchkaffee und die Tageszeitungen, ohne dass er etwas sagen muss. Flüchtig blättert er die Zeitungen durch. Nirgendwo steht etwas über ihn und er verliert schnell das Interesse. Von den umliegenden Tischen trifft ihn der ein oder andere neugierige Blick. Doch niemand behelligt ihn. Allenfalls wird hie und da ein wenig getuschelt. Limbach hat nichts anderes erwartet. In Hamburg passiert es ihm selten, dass er angesprochen wird. Eigentlich fast nie. Und wenn doch, dann von Touristen. Das schätzt er an Hamburg. Hier können die berühmtesten Hollywoodstars völlig unbeachtet mitten durch die Innenstadt schlendern. Was andernorts hysterische Reaktionen auslösen würde, lässt die Leute an der Elbe weitgehend kalt. Jedenfalls tun sie so. Hanseatische Gelassenheit eben. Oder Blasiertheit. Das kann man sehen, wie man will.

      „Was macht die Karriere?“, fragt Peggy, die Bedienung.

      „Geht voran“, behauptet Limbach.

      „Hast du inzwischen mit deinem zweiten Buch angefangen?“

      „Klar, schon längst“, lügt er frech.

      „Brav. Kriegst auch 'n Eis. Mach ich persönlich.“

      „Super.“

      Das