Walter K. Ludwig

Gaukler


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er es jemals tun wird, steht in den Sternen. Worüber sollte er schreiben? Er hat nicht die leiseste Ahnung.

      „Baby, you 're out off time“, hat Jagger vorhin noch gesungen.

      * * *

      „Time, Newsweek, New York Times...“

      „Wow!“

      „... Paris Match, Times, Corriere della Sera...“

      „Echt?“

      „... Asahi Shimbun, Dagens Nyheter, El Pais...“

      „Sag' bloß!“

      „... Bangkok Post, Washington Post, Main-Post.“

      „Och komm!“

      „Mensch Stefan, wir haben Anfragen aus der ganzen Welt. Alle wollen die Titelstory über dich nachdrucken.“

      „Toll.“

      „Ja, nä?“

      „Da rollt der Jubel ja.“

      „Komm, für dich aber auch.“

      „Hm.“

      Abendessen in einem Nobelrestaurant am Hafen. Stefan Limbach und Silke Schröder. Austern für Schröder. Steak für Limbach. Silke Schröder ist Journalistin. Genauer: Skandal- und Sudel-Reporterin bei einem vielgelesenen Revolverblatt mit Sitz in Hamburg. Abteilung Blut und Sperma.

      Und Limbachs Komplizin, sozusagen. Sechsundreißig. Blondes Gift. Eiskalt und skrupellos. Typ falsche Schlange. Bereit, für ihre Karriere über Leichen zu gehen. Im gewiss nicht zimperlichen Kollegenkreis wird sie, irgendwie passend, „SS“ genannt. Was sie nicht weiß. Limbach kennt sie seit ihrem Volontariat. Als er noch Redakteur bei einer angesehenen Tageszeitung war. Kultur-Korrespondent in Hamburg. Vor hundert Jahren. Seitdem sind sie befreundet. Warum weiß Limbach manchmal nicht so genau.

      SS ist die Initiatorin seines Erfolgs. Ohne sie wäre er immer noch auf Hartz IV. Erst ist sein Buch nämlich gar nicht gut gelaufen. Unbekannter Autor, kleiner Verlag, gleichgültiger Verleger, schlechte Karten, bei annähernd hunderttausend Neuerscheinungen in Deutschland pro Jahr.

      Dann kam SS. Mit einem teuflischen Plan. Brachte in ihrem Revolverblatt eine groß aufgemachte Titelgeschichte über Limbach und seinen Roman. Lobte das Werk über den grünen Klee. Neue Ära der Kriminalliteratur und so. Präsentierte ihn selbst als schwulen, jüdischen Ex-Junkie mit linksautonomer Hausbesetzer-Vergangenheit. Geläuterter Bürgerschreck aus gutem Hause, die Masche.

      Alles erstunken und erlogen. Außer das mit dem guten Hause.

      Tags darauf wurden die Buchhandlungen gestürmt und in der Druckerei liefen die Maschinen heiß.

      Und Limbachs neues Leben begann.

      Mit ungeahnten Möglichkeiten. Er hat es SS zu verdanken. Jetzt kommt sich Limbach vor wie Faust. Der Faust von Goethe. Mit Schröder als Mephisto.

      Wie SS ihren Chef dazu gebracht hat, ihn, einen völlig unbekannten, kleinen, allenfalls mäßig begabten Möchtegern-Autor auf sechs reich bebilderten Heftseiten zu präsentieren, möchte er lieber nicht wissen.

      Natürlich hat sie nicht aus purer Freundschaft gehandelt. Noch nie in ihrem Leben hat Silke Schröder etwas ohne Berechnung getan. Sie kassiert fünfzig Prozent seiner nicht unbeträchtlichen Tantiemen. Egal. Limbach hat ihr alles zu verdanken.

      Sein Buch ist jetzt seit genau einem Jahr auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste. Und ein Ende der Nachfrage ist nicht abzusehen.

      Eines ist ihm allerdings klar: Man darf SS niemals den Rücken zudrehen! Wirklich niemals. Dreh' ihr den Rücken zu, und sie rammt dir ein Messer hinten rein, sagt er sich immer wieder. Eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken. Weiß man das und hält sich konsequent an diesen Grundsatz und noch an ein paar andere, hat man theoretisch eine kleine Chance, die Begegnung mit ihr zu überleben. Eine kleine. Theoretisch.

      Limbach schaudert.

      „Wie viele Lizenzen hat dein Verleger eigentlich bisher verkauft?“, flötet Silke Schröder. Ihre Pupillen haben die Form von Euro-Zeichen.

      „So um die zwanzig, glaub' ich. Korea ist jetzt auch dabei. Und Japan. Mit Thailand verhandelt er gerade.“

      „Geil!“

      Limbach hat den Eindruck, dass das Thema sie sexuell erregt. Er legt nach.

      „Kanada und Brasilien hat er letzte Woche klar gemacht. Norwegen und Finnland die Woche davor. Und für nächste Woche haben sich zwei Herren aus China angekündigt.“

      Silke Schröder rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

      „Na also. Läuft doch. Ich sag's ja. Filmrechte?“

      „Noch nicht, soweit ich weiß.“

      „Kommt noch, wirst sehen.“

      „Ich weiß nicht...“

      „Aber ich. Herr Ober!“

      Der Ober eilt beflissen herbei und deutet eine Verbeugung an.

      „Der Champagner perlt nicht.“ Silke Schröder hält ihm mit vorwurfsvollem Blick ihr Glas hin.

      „Entschuldigung. Ich kümmere mich sofort darum.“ Er verbeugt sich ein weiteres Mal, nimmt das Glas und fliegt davon.

      „Bei fünfzehn Euro pro Glas kann man ja wohl erwarten, dass einem nicht irgendwelches abgestandenes Gesöff vorgesetzt wird“, erklärt Silke Schröder dem peinlich berührten Limbach. Er sagt nichts.

      „Hast du dir schon mal über eine Theaterverwertung Gedanken gemacht?“

      „Äh, nee. Eigentlich nicht.“

      „Solltest du aber. Kann mächtig Schotter bringen, wenn das Ding gut läuft.“

      Limbach fröstelt.

      „Erstmal müssen die natürlich was für die Bühnenaufführungsrechte abdrücken, is' ja klar. Dann gibt’s obendrauf nochmal zehn Prozent vom Einspielergebnis für den Autor. Mindestens. Alles Verhandlungssache.“

      „Aha.“

      „Kannst du mir glauben. Ich habe mich ausgiebig mit dem Thema befasst. Brecht war Millionär. Mehrfacher. Wusstest du das?“

      „So? Nee. Trotzdem, ich weiß nicht. Das ist für die Bühne doch völlig ungeeignet. Wie soll das gehen? Selbst als Film kann ich mir das kaum vorstellen. Viel zu komplex, das Ganze.“

      „Deren Problem. Hauptsache, sie machen Knete locker. Wie sieht's mit den Hörspielrechten aus?“

      „Keine Ahnung.“

      „Aber auf die Idee, eine Hörbuch-Fassung rauszubringen, wird dein Verleger, dieser linke Knispel, ja wohl selber kommen, oder?“

      „Ich weiß nicht. Ich denke schon. Vielleicht...“

      Silke Schröder wirft Limbach einen mitleidigen bis verständnislosen Blick zu.

      „Honey, ich seh' schon, ich muss noch kündigen und offiziell deine Agentin werden.“

      Limbach schluckt und lächelt gequält.

      „Andererseits kann ich da, wo ich jetzt bin, am meisten für dich tun. Mehr als jede Agentin wahrscheinlich.“

      „Vermutlich.“

      „Ganz sicher.“

      Falsche Schlange.

      Der Ober bringt ein neues Glas Champagner. Silke Schröder mustert es kritisch und führt es, nachdem es Gnade vor ihren Augen gefunden hat, zum Mund. Sie nickt dem Kellner zu, der sich daraufhin erleichtert verzieht.

      „Und du willst wirklich nicht?“

      „Nee, wirklich nicht.“ Limbach trinkt brav von seinem Alsterwasser.

      „Versteh' ich nicht. Ich trinke ja nichts anderes.