Walter K. Ludwig

Gaukler


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Ritual, das er sich seit einiger Zeit angewöhnt hat, das seinen festen Platz nach dem Frühstück hat und ohne das er niemals das Haus hätte verlassen können.

      Die innere Stimme, die diesmal besonders laut gelästert hat, hat er wie immer ignoriert.

      Limbach ist in sein Arbeitszimmer gegangen. Hat sich an den überdimensionalen Schreibtisch gesetzt. Hat den Computer hochgefahren. Hat dann seinen Namen gegoogelt. Einige tausend Einträge, wie gehabt. Hat dann den Titel seines Buches eingegeben. Weit über hunderttausend Nennungen. Verkaufsrang eins bei Amazon. Zufriedenes Lächeln.

      Bis dahin war noch alles gut gewesen.

      Aber dann war er auf die aktuelle SPIEGEL-Bestsellerliste gegangen. Und war aus allen Wolken gefallen. Denn dort stand nicht, wie üblich, sein Buch auf Platz eins. Schlimm genug, doch das hätte er noch verkraftet, wenn auch zähneknirschend. Nach über einem Jahr ununterbrochen an der Spitze war ja damit zu rechnen gewesen, früher oder später. Schließlich ist die Konkurrenz nicht auf den Kopf gefallen.

      Von Platz eins auf Platz zwei gerutscht zu sein ist also nicht das Thema. Aber wer ihn von der Spitze verdrängt hat, das bringt ihn dann doch aus der Fassung. Nicht Follett oder Fitzek etwa, nicht Wolf und auch kein Ludwig.

      Sondern eine Pornodarstellerin!

      Limbach ist die Kinnlade nach unten gesackt. Fassungslos hat er minutenlang auf den Bildschirm gestarrt. Hat dann den Namen der ihm völlig unbekannten Frau gegoogelt und sich eingehend über sie informiert. Ist sogar auf ihrer Homepage gewesen. Ist dann unruhig und ständig „Pornoschlampe“ vor sich hin murmelnd in der Wohnung hin und her gegangen, wie ein Hamster im Laufrad. Hat schließlich seinen Verleger angerufen, ihm die Ohren voll gejammert und sich mit ihm für den Nachmittag verabredet.

      Jetzt sitzt er im Lambo und fährt über die Reeperbahn. Aus dem CD-Player dröhnt „Highway to Hell“ von AC/DC. Er braucht jetzt unbedingt ein ordentliches, deftiges Frühstück. Mit Rührei, Speck und starkem Kaffee. Und Vivien. Vivien? Komisch, dass ich gleich an die gedacht habe, denkt er. Er kennt sie doch kaum und noch gar nicht so lange. Vivien arbeitet als Bedienung in einem Lokal direkt auf der Reeperbahn. Sie war ihm gleich aufgefallen. Nicht bloß, weil sie hübsch und nett ist. Das sind alle Bedienungen, die bei der Restaurantkette arbeiten, zu der das Lokal gehört und die es bestimmt nicht zuletzt auch deshalb zu etlichen Filialen in Hamburg und Umgebung und neuerdings auch darüber hinaus gebracht hat.

      Vivien hat aber außerdem Witz und Charme. Und sie ist intelligent. Sein Status als Erfolgsautor scheint sie nicht allzu sehr zu beeindrucken, ja, manchmal scheint sie sich sogar fast ein wenig über ihn lustig zu machen, was ihm gefällt.

      Gleichzeitig ist sie aber eine der wenigen, die sich wirklich für seine Arbeit als Autor zu interessieren scheint, und in ihm nicht nur den Prominenten sieht. Imponiert hat ihm ihre Aussage, dass es ihrer Meinung nach gar keine Bestsellerautoren gebe, sondern bloß Autoren. Schließlich würden Bestseller von Lesern gemacht, nicht von Autoren. Man müsse also wohl eher von Bestsellerlesern sprechen.

      Limbach ist zunächst ein wenig verblüfft gewesen, hat dann aber zugeben müssen, dass diese Sichtweise nicht ganz abwegig ist. Seine Dankbarkeit, ja Demut, angesichts des Glücks, das ihm gleich mit seinem ersten Buch widerfahren ist, hat sich daraufhin noch einmal verstärkt.

      Limbach parkt den Lambo in einer Seitenstraße und betritt das Lokal. Es ist mittelprächtig besetzt, dennoch ist sein Lieblingsplatz nicht frei, was seine schlechte Laune noch verstärkt. Er muss mit einem Platz direkt neben dem Eingang vorliebnehmen. Vivien sieht ihm gleich an, dass etwas nicht stimmt.

      „Moin. Was is‘n dir denn für ‚ne Laus über die Leber gelaufen?“, will sie wissen.

      „Moin. Kann‘ jetzt nicht drüber reden, brauch‘ erst ma ‚n Frühstück“ brummt Limbach ungewohnt einsilbig.

      „Okay, kommt sofort. Wie immer, ja?“

      „Hm.“

      Nach einer ordentlichen Portion Rühreier mit Speck, dazu drei Brötchen mit Wurst, Käse und Marmelade, einem Glas Orangensaft, zwei Bechern Kaffee und einem kurzen Blick in die Blöd-Zeitung ist er dann langsam so weit, dass er kommunizieren kann. Vivien hat sich auf seine Bitte hin kurz zu ihm an den Tisch gesetzt, um ihm zuzuhören. Sie hat kurze, braune Haare, braune, lebhafte Augen, ist mittelgroß, macht einen sportlichen, durchtrainierten Eindruck. Limbach findet sie sehr anziehend.

      Er sitzt schweigend da.

      „Was‘n nu?“

      „Hm?“

      „Was ziehst‘n so ‚ne Fresse?“

      „Ich hör auf.“

      „Womit?“

      „Mit dem Schreiben.“

      „Ach!“

      „Ich schwör‘s.“

      „Und warum? Hasses nich‘ mer nötig, oder was? Quillt dein Konto über?“

      „Nee, Quatsch. Aber es is‘ sinnlos. Absolut sinnlos. In diesen Zeiten. Und vor allem in diesem Land. In diesem unseren Lande.“

      „Aha. Und warum?“

      „Weil die Leute von mir nichts mehr lesen wollen.“

      „Kommstn‘ jetzt darauf? Bisher hatte ich aber einen ganz anderen Eindruck. Und nicht nur ich.“

      „Bisher. Und das war Zufall. Ein Versehen. Eine Panne, sozusagen. Und es war bestimmt das letzte Mal. Das wird mir mit Sicherheit kein zweites Mal gelingen.“

      „Das kannst du gar nicht wissen. Der Leser ist der Souverän, der entscheidet. Das weißt du doch.“

      „Und genau das ist das Problem. Der Leser ist launisch, extrem launisch.“

      „Aber er hat sich schon einmal für dich entschieden. Vielleicht tut er‘s ein zweites Mal.“

      „Komm, ich war nie Viva-Moderator, bin kein Schauspieler, kein Friseur und erst recht kein Fußballer.“

      „Hä?“

      „Auch kein Koch.“

      „Na und?“

      „Und Pornodarsteller sowieso nicht.“

      „Bitte?“

      „Das sind nun mal die angesagten Leute, heutzutage. In diesem unseren Lande. Dass ich überhaupt einen Verlag gefunden habe damals, grenzt schon an ein Wunder.“

      „Also, dann freu‘ dich doch umso mehr! Stefan, ganz ehrlich, ich versteh‘ dein Problem nicht ganz. Ich muss dann auch wieder …“

      Vivien macht Anstalten, aufzustehen. Limbach hält sie zurück. Er sieht ihr in die Augen. Sie sieht wirklich verdammt gut aus. Ihm fällt ein, dass er eigentlich so gut wie nichts über sie weiß.

      Und doch bespricht er gerade mit ihr sein zurzeit größtes Problem. Wieso? Ist sie eigentlich hauptberufliche Bedienung? Oder vielleicht Studentin und jobbt hier nebenbei? Oder vielleicht Praktikantin? Oder die Tochter des Chefs? Oder was? Eigentlich ziemlich unhöflich, immer nur von sich zu reden, und nie etwas zu fragen. Außerdem dämlich. Limbach beschließt, das demnächst zu ändern.

      Demnächst.

      „Also?“

      „Also was?“

      „Stefan, bitte! Was is‘ nu dein Problem?“

      „Also gut.“

      Limbach erzählt Vivien von dem ungeheuerlichen Vorgang auf der Bestsellerliste. Dass eine „seit fünf Jahren dreißigjährige Silikon-Blondine mit Körbchengröße 75 G (‚Kann man da eigentlich noch von Körbchen sprechen?‘) aus der Pornobranche es geschafft habe, mit ihrer notdürftig als Roman getarnten Lebensgeschichte (‚Dreck!‘) aus dem Stand heraus auf Platz eins zu kommen. Und ihn von dort zu verdrängen.“ Dabei vermeidet es Limbach peinlichst, den Namen der Frau in den Mund zu nehmen und spricht von ihr immer nur als „Pornoschlampe“.