Walter K. Ludwig

Gaukler


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den Anschlägen politische Motive ganz offensichtlich sind, sind er und seine Abteilung zuständig. „Polizei tappt völlig im Dunkeln“ titeln die Zeitungen hämisch und fragen: „Wann gibt es den ersten Toten?“ Dabei hat es den schon längst gegeben: Vor dreizehn Jahren war der Vater eines Senators zu Tode gekommen, als er bei seinem Sohn zu Besuch war. Ihn traf ein Stein am Kopf, der durch das Fenster flog. Biedermann vermutet stark, dass es einen Zusammenhang mit den Anschlägen der jüngsten Zeit gab.

      Nicht nur die Handschrift ist genau die gleiche. Es führt auch eine DNA-Spur direkt zu einem der Steine, mit denen kürzlich die Fensterscheiben des Chefredakteurs eingeworfen worden sind.

      Und da prahlt dieser Limbach in diesem Revolverblatt mit seiner linksautonomen Vergangenheit. Outet sich, romantisch verklärt, als militanter Akteur der achtziger Jahre, als die besetzten Häuser in der Hafenstraße bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatten. Tönt, dass man bei der Wahl der Mittel damals eben nicht immer zimperlich sein konnte, wenn man etwas erreichen wollte. Vergleicht sich und seine Mitstreiter sogar mit den Verschwörern des 20. Juli („Die nahmen sogar Mord in Kauf“). Und lässt, so ganz nebenbei, durchblicken, dass er als ehemaliger Szene-Insider so einiges wisse, was die Strafverfolgungsbehörden auch heute noch brennend interessieren dürfte. Auch und gerade im Fall des getöteten Senatoren-Vaters.

      Wissen, das nur jemand haben konnte, der wusste, wer der Täter war.

      Oder der vielleicht sogar selbst der Täter war.

      Aber der Leitende, der General und der Senator verweisen auf das Renommee des Autors, der kurz vor dem internationalen Durchbruch stehe.

      Biedermann sitzt an seinem Schreibtisch und studiert Akten. Seine Lieblingsbeschäftigung. Seit seiner Scheidung vor fünf Jahren ist er praktisch mit seinem Beruf verheiratet. Böse Zungen behaupten allerdings, das sei er auch schon vorher gewesen, deshalb sei es zur Trennung von seiner Frau gekommen.

      Biedermanns Telefon klingelt. Hauptkommissar Kostner.

      „Herr Oberstaatsanwalt, es ist etwas passiert.“

      * * *

      Peter-Heinrich Wagner bewohnt ein schmuckes Einfamilienhaus im Hamburger Stadtteil Farmsen-Berne. Er und seine Frau Ute haben für ihren Star-Autor gekocht, um ihn bei Laune zu halten. Beziehungsweise, um seine Laune zu verbessern. Ebenfalls anwesend: die beiden Töchter, Jule, 20, und Tanja, 23.

      Es gibt Lasagne und Rotwein.

      Limbach ist war zum ersten Mal bei seinem Verleger zu Gast und wundert sich ein wenig über die nach seinem Geschmack recht gediegene Einrichtung. Das Zuhause eines Ex-Revoluzzers und alternativen Verlegers hat er sich irgendwie anders vorgestellt. Ikea und WG-Atmosphäre vielleicht, und im Bücherregal Marx und Mao oder so. Mindestens aber ein Che-Guevara-Konterfei an der Wand.

      Stattdessen: Eiche rustikal und die alten Klassiker. An den Wänden moderne Kunst. Und in der CD-Sammlung auffällig viel Barock.

      Limbach erläutert seine Zukunftspläne.

      „Es wird wohl auf Bergen hinauslaufen.“

      „Hä? Bergen?“

      „Ja, Bergen in Norwegen. An der Westküste. Die regenreichste Großstadt Europas. Durchschnittlich regnet es dort an zweihundertfünfzig Tagen im Jahr. Toll, nicht? Ich liebe ja Regen.“

      „Ich weiß nicht... Und was willst du da machen?“ Peter-Heinrich Wagner gefällt nicht, was er hört.

      „Ein Restaurant eröffnen. Zusammen mit Nui. Thailändische Küche in Norwegen. Der Hammer, sag' ich euch, der Hammer!“

      „Ich weiß nicht, Thai-Lokal in Norwegen, so was gibt’s doch sicher schon.“ Ute Wagner.

      „Na und? Wenn man so denkt... Alles gibt’s schon.“

      Limbach wird irgendwie vom Teufel geritten. Er bindet seinen Gastgebern einen Bären nach dem anderen auf und empfindet eine diebische Freude dabei. Unter anderem behauptet er, möglicherweise auch eine Tango-Schule eröffnen zu wollen.

      Er, der notorische Nichttänzer.

      Eigentlich könnte ich denen auch weismachen, ich gehe ins Kloster, überlegt er. Und schreibe dort meine Memoiren. Er hat am Nachmittag noch eine ganze Weile mit Vivien zusammengesessen und hat mit ihr ziemlich herum gesponnen. Die beiden haben sich in den schillerndsten Farben ausgemalt, was Limbach jetzt alles machen könnte, wenn er sich tatsächlich aus der Buchbranche zurückziehen sollte.

      Dabei haben sie eine Menge Spaß gehabt und sich gegenseitig hochgeschaukelt. Vivien hat sich förmlich vor Ideen überschlagen. Sie reichten von der Produktion und dem weltweiten Vertrieb von Original-Piraten-T-Shirts aus Somalia über den Schmuggel von Alkohol in den Iran bis zur Gründung einer Partei.

      Tolle Frau, diese Vivien, hat Limbach gedacht. Kann ich verdammt gut leiden. Seine Laune hat sich daraufhin im Lauf des Nachmittags erheblich verbessert. Jetzt sitzt ihm wieder der Schalk im Nacken.

      Und sein Verleger frisst ihm aus der Hand. So was Schönes, denkt Limbach. Und dreht noch ein wenig auf.

      „Und dann gibt es ja noch diese alte Idee von mir, die immer wieder mal hochkommt, alle paar Jahre. Vor allem in Krisenzeiten. Also in Zeiten wie jetzt.“

      „Die da wäre?“ Frau Wagner ist neugierig.

      „Ich könnte ins Kloster gehen.“

      Der Verleger bricht in schallendes Gelächter aus und verschluckt sich dabei.

      Es dauert eine ganze Weile, bis er wieder sprechen kann.

      „Stefan, ich stell' mir das gerade vor: Du im Kloster. In Mönchskutte. Jeden Morgen um fünf aufstehen. Dann arbeiten, beten, arbeiten, den ganzen Tag... abends dann zur Beichte beim Abt. Wegen unkeuscher Gedanken, womöglich...“ Der Verleger hat einen hochroten Kopf und Tränen in den Augen.

      „... zwischendurch Choräle singen...“

      Ist doch immer wieder schön, wenn man zur Erheiterung seiner Umgebung beitragen kann, denkt Limbach. Und sag' nichts gegen Choräle.

      „... den Klostergarten pflegen...“

      Jetzt kommt bestimmt irgendwas mit Touristen, denkt Limbach.

      „... fette Touristen mit käsigen Beinen durchs Kloster führen...“

      Wenn's der Bildung und der Erbauung dient, denkt Limbach, wieso nicht.

      „... und zu guter Letzt noch das Klosterarchiv auf Vordermann bringen...“

      Da hätte ich sogar Freude dran, ist sich Limbach sicher.

      „Du könntest auch die Klosterzeitung machen.“ Ute Wagner.

      „Oder die Klosterchronik schreiben.“ Tanja.

      „Das ist mein Ernst. Ich habe einfach genug von dieser verkommenen, kaputten Welt. Der Welt der Pornodarsteller und Fußballspieler. Ein Kloster wäre für mich das reinste Paradies.“

      Aber nur, wenn es ein gemischtes Kloster ist, also Männlein und Weiblein. Und auch nur, wenn ich Nui mitnehmen darf. Und den Lambo behalte ich auch, denkt Limbach bei sich. Und grinst in sich hinein. Mönch mit Lambo. Und blutjunger, bildschöner thailändischer Freundin. Das wäre doch mal was.

      Nach außen hin jedoch: Todernste Miene. Leidender Gesichtsausdruck. Verzweifelter Autor. Fertig mit der Welt. Limbach wundert sich über sein schauspielerisches Talent.

      Betretene Wagner-Gesichter. Längeres Schweigen.

      „Würden die dich denn überhaupt noch nehmen?“ Jule.

      „Ich glaub' schon. Wenn ich denen mein ganzes Vermögen spende, auf jeden Fall.“

      Peter-Heinrich Wagner ist das Lachen abrupt vergangen. Dieser Limbach treibt ihn noch zur Verzweiflung. In den Ruin auf jeden Fall, wenn er jetzt nicht höllisch aufpasst. Er will Limbach Wein nachschenken. Der wehrt ab.

      „Du, für mich nichts mehr, danke. Ich muss ja noch