Till Angersbrecht

Die Leiden des Schwarzen Peters


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gesetzt und beruhigt haben, denn - ich sagte es ja schon - in Wahrheit spaltet ein mächtiger Streit die Goldenberger, ein Streit zwischen Schloss und Rathaus, möchte ich sagen, dessen Protagonisten, vom Sturm in die Halle getrieben, sich hier auf einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Draußen unter der heißen, die Gedanken einschläfernden Junisonne hatte man die Form noch gewahrt, vermutlich wäre gar nichts geschehen, die einen hätten ihre üblichen Intrigen gesponnen, die anderen ihre Pläne so leise ausgesprochen, dass der Abend ohne äußere Aufgeregtheit mit Kartenspiel, Scherz und Zoten genauso verlaufen wäre wie andere Abende zuvor. Der Sturm aber hat die falsche Gemütlichkeit fortgeblasen. Es trifft sich so, dass alle sich auf einmal an ein und demselben Tisch zusammenfinden – und dieser Umstand allein reicht natürlich schon aus, um das in den Köpfen schwelende Feuer anzufachen.

      So habe ich denn auch gleich an einen Film denken müssen, den ich einige Tage zuvor auf dem Fernsehschirm miterlebte. Auf eine mit gelbem Sand bestreute Arena in einer fernen Stadt, deren Namen mir leider entfallen ist, wurde ein Stier getrieben. Zunächst war er ganz allein, sprang mit gesenkten Hörnern über die Bahn, stieß hier und dort gegen die hölzerne Reling. Tausende von Augen waren von den Zuschauertribünen auf ihn gerichtet, aber er blieb allein - zwischen ihm und der umgebenden Welt gab es keine Gemeinsamkeit, obwohl alle Augen einzig auf ihn geheftet waren. Doch dann traten seine Gegner in die Arena, sie kamen durch eine Seitenpforte. Der eine schwenkte ein rotes Tuch, das würde sein Todfeind sein, die anderen eilten mit messerbewehrten Stöcken herbei, um den Bullen zu reizen.

      Ich wusste, dass der Baron im Rathaus keine Freunde hat, in ganz Goldenberg stehen überhaupt nur wenige Bürger auf seiner Seite. Er sei ja doch ein Auslaufmodell, die neue Zeit kenne keinen Adel und keine Privilegien, das seien die Dinosaurier unserer Zeit, die in Goldenberg nichts mehr zu suchen hätten – so ist hier allseits zu hören. Bremme, der Bürgermeister, ist jedenfalls der Mann mit dem Degen, den es jederzeit in den Fingern juckt, dem Stier den tödlichen Stich zu versetzen; Saase ist der Mann, der den Bullen mit seinem messerbewehrten Stock reizen soll. Und die ewig qualmende Zigarre mit dem runden Kopf, ich meine Tautzig? Der versäumt überhaupt keine Gelegenheit, böswillig gegen den „verknöcherten Aristokraten“ zu löcken.

      Der Schlosspark gehört plattgemacht, niedergewalzt, pflegt Tautzig jedem zu sagen, der es hören will, ebenso wie jedem anderen, der davon nichts wissen will, denn Tautzig nimmt niemals ein Blatt vor den Mund. Meistens setzt er dann noch hinzu:

      Goldenberg braucht keinen Baron und schon gar keinen Schlosspark. Da werden wir ein schönes, modernes Kaufhaus hinsetzen, damit unsere Stadt und unsere Bürger endlich was richtig Fortschrittliches aus sich machen.

      Dazu pafft Tautzig dann einen blauen Kringel aus dem Zigarrenstängel und ist sichtlich mit sich zufrieden. Man könnte meinen, er wäre schon als Säugling mit diesem Lutscher auf die Welt gekommen oder hätte sich für den Rest seines Lebens einen Ersatz für die Mutterbrust gesucht.

      Noch viel rühriger ist Bremme, der eigentliche Feind des Barons: Er lässt keine politische Veranstaltung aus und kein Bürgerforum, ohne gegen den Schlossherrn zu eifern und die ganze, wie er es nennt, verzopfte Vergangenheit. Er und der alte Tautzig haben sich in der Gasthalle bereits niedergesetzt, wobei es niemandem entgehen kann, dass der bleiche Chemiker Saase ebenso zu ihrem Clan gehört wie Torsten Spinnebeck, Eigentümer des „Goldenberger Stadtboten“, des wichtigsten und einzigen täglich erscheinenden Blattes, das Spinnebeck selbst ebenso wie seine Freunde gern als „Sprachrohr des Fortschritts“ bezeichnen. Die vier Herren haben sich bereits an die eine Seite des Tisches gesetzt.

      Auf der anderen Seite, wo sich der Herr Baron und seine Töchter Phebe und Luna niederlassen, finden sich diejenigen zusammen, die den Stier bewundern, ihn wie eine kostbare, vom Aussterben bedrohte Art auf jeden Fall der Nachwelt erhalten wollen, weil er, wie sie meinen, zu Goldenberg doch ganz genauso gehöre wie die Kirche, das Schloss und der Park mit dem Teich, den Rosen und den schönen alten Kastanienbäumen. Zu diesen Freunden des Herrn von Kneek zählen der Apotheker Julius, der Lehrer Dönnewat und sogar sein Kollege, der grimmige Trimmelsbaum, der Schriftsteller Knirzbein, aber auch die Frau Pastor, obwohl Letztere sich stets bemüht, jeder eindeutigen Stellungnahme auszuweichen, da sie - wie sie stets zu betonen pflegt - für alle Schäfchen Goldenbergs zuständig sei – auch für die schwarzen, so habe ich sie einmal murmeln gehört.

      Etwas später - der Regen ist da schon nahezu abgeklungen und jenes furchtbare Ereignis steht nahe bevor, welches ganz Goldenberg aufwühlen wird -, stößt auch Goldenbergs Polizeihauptmann, Fritzi Knarr, zu der Gruppe, aber darin liegt nicht mehr als ein Zufall, denn auch der Hauptmann hält sich grundsätzlich aus allen Streitigkeiten heraus.

      Das Komplott

      Würdet ihr von mir verlangen, ein wenig historische Ordnung in meinen Bericht zu bringen, dann hätte ich schon längst den Umstand erwähnen müssen, dass es der Schriftsteller Knirzbein war, der die Fronten in Goldenberg eigentlich erst richtig auseinanderriss und sie so für alle sichtbar machte, denn üblicherweise wird hier ja jedes Problem hinter verschlossenen Türen ausgemunkelt und abgetuschelt – ein Außenstehender könnte der Meinung sein, dass Streit und Zwist der Parteien in Goldenberg überhaupt unbekannt sind, aber dieser Eindruck ergibt sich nur, weil man die Bürger im allgemeinen immer vor vollendete Tatsachen stellt. Bremme hatte dem Herrn von Kneek bereits einen Wink erteilt – in aller Freundschaft natürlich, wie er es mit scheinheiliger Jovialität formulierte, aber keinesfalls ohne drohenden Unterton: Er täte gut daran, seinen Park zu verkaufen, andernfalls würde man die Subventionen für die Erhaltung des Schlosses streichen - dann sollte der Herr Baron selber sehen, wo er mit seinen zwei Töchtern unterkommt!

      Unterdes war die Zigarre, ich meine, der alte Tautzig, nicht untätig geblieben; als Direktor der Goldenberger Zigarrenfabrik, des einzigen florierenden Unternehmens der Stadt, verfügte er allein über die nötigen Mittel, um das Grundstück vor dem Schloss zu erwerben. Für einen mit allen Wassern gewaschenen Kaufmann seines Schlags verstand es sich natürlich von selbst, dass sich das eingesetzte Geld gehörig vermehren müsse – von den Bäumen, dem Teich und den Blumen im Park konnte man das jedenfalls nicht erwarten. Die standen da nur so untätig herum und waren deshalb ein zinsloses Übel. Nur eine einzige Lösung kam daher für Tautzig in Frage: Der ganze Park muss verschwinden, und ein großes Kaufhaus mit einem nicht weniger flächendeckenden Abstellplatz für die Autos der Kunden war auf dem so gewonnenen Areal zu errichten. Es sollte – das war von vornherein die feste Absicht des Zigarrenmoguls - größer sein als das Schloss, und zwar aus dem einleuchtenden Grund, weil der Fortschritt eben immer größer sein muss als alles, was er siegreich verdrängt. Dafür würde er, Tautzig, zur Not tief in die Tasche greifen. Ein Monument des modernen, von der Nachwelt bewunderten Goldenberg würde so im Zentrum der Stadt entstehen und zur gleichen Zeit ein pädagogischer Meilenstein, von dem sich Tautzig eine mächtige Wirkung auf die Bürger der Stadt versprach, denn diese waren in seinen Augen immer noch allzu verträumt, allzu sehr in ihrer Rückständigkeit befangen. Man brauchte ja nur an Dönnewat, den spintisierenden Poeten zu denken!

      Knirzbein: Wie ein Zugereister das Rathaus erbeben lässt

      Das Komplott des Bremme-Clans war tatsächlich schon abgesprochen - hinter verschlossenen Türen versteht sich -, es fehlte nur noch das offizielle Votum des Stadtrats, da brachte, wie ich schon sagte, ein Auftritt von Knirzbein das ganze wohlgefügte Gebäude dieser Verschwörung ins Wanken. Und das war auf spektakuläre und völlig unerwartete Art geschehen.

      Rein äußerlich gibt sich Knirzbein, der zugereiste Schriftsteller, als schwärmerische Natur zu erkennen, wie sie in Goldenberg überaus selten ist - eigentlich habe ich Ähnliches nur bei Dönnewat erlebt. Viel zu groß und merkwürdig leuchtend stehen zwei Augen in einem Gesicht, das eher schmal und länglich ist, alles in allem, so würde ich sagen, eine fledermausartige Physiognomie. Dieser Eindruck wird noch durch eine gewisse Zappeligkeit unterstrichen, die Knirzbein daran hindert, allzu lange auf ein und demselben Platz auszuharren, zumindest gibt er regelmäßig einer inneren Unruhe nach, die ihn dazu zwingt, sich plötzlich von seinem Platz zu erheben oder von diesem sogar aufzuspringen und einige Schritte hin und her zu gehen,