Anna-Irene Spindler

Braune Augen


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von frisch gemahlenen Kaffeebohnen zog durch ihre Küche. Teresa öffnete die Haustür. Tatsächlich, Alex hatte sie nicht vergessen! Zweimal pro Woche brachte er ihr frische Brezeln mit, wenn er morgens zur Arbeit kam. Er hängte die Stofftasche immer an die Türklinke. Sie revanchierte sich mit Kaffee, den sie ihm in seiner Frühstückspause in den Aufenthaltsraum brachte. Ein, wie sie fand, äußerst praktisches Arrangement. Sie schaltete das Radio ein.

      „Und jetzt das Tageshoroskop für alle Frühaufsteher und auch Morgenmuffel unter unseren Hörern.”

      Sie schmunzelte, denn sie bedauerte all die armen Tröpfe, die ihr Leben nach einem solchen Unsinn ausrichteten.

      „Die Krebs-Geborenen sollten ihren Träumen nicht so viel Bedeutung beimessen.”

      Träume! Plötzlich musste sie wieder an den Traum von heute nacht denken. Seltsam, sie hatte wunderbar geschlafen und fühlte sich ausgezeichnet an diesem Morgen. Aber der Traum! Etwas irritierte sie. Sie konnte sich nur nicht mehr genau erinnern, was es war.

      „Ach was soll’s! Es wird nicht mein letzter Traum gewesen sein“, murmelte sie vor sich hin.

      Entschlossen stand sie vom Tisch auf, um sich fertig anzuziehen. Je früher sie ins Büro kam, desto eher war sie mit ihrer Arbeit fertig und konnte auf den Platz zum Spielen.

      In dieser Zeit des Jahres bestand die Post des Golfclubs fast ausschließlich aus Angeboten für Golfreisen in sonnige Gefilde. Die aufwändigste Arbeit war es, zu sortieren, was gleich zum Altpapier wandern konnte und was man für die Mitglieder zum Mitnehmen auslegen musste. Sie war mit ihrer Arbeit im Prinzip fertig, als Alex um kurz vor halb eins seinen Kopf in ihr kleines Büro streckte.

      „Wie sieht es aus? Brauchst du noch lange? Ich für meinen Teil, bin nämlich für heute fertig.” Fragend schaute Alex sie an.

      Sie ließ einen kurzen Blick über ihren Schreibtisch schweifen und nickte.

      „Ich mache auch Schluss. Die Meldungen an den Verband sind erst am dreißigsten November fällig. Das kann ich auch morgen erledigen.” Sie überlegte kurz. „Ich muss mich nur noch schnell umziehen. Treffen wir uns um zwei Uhr. Okay?”

      „Gut! Also, bis gleich!” Alex Kopf verschwand wieder.

      Teresa schaltete ihren Computer aus und den Anrufbeantworter ein und sperrte das kleine Büro ab. Es befand sich auf der linken Seite des Eingangsbereiches des Clubhauses. Dem Büro vorgebaut, direkt links neben der Eingangstür, befand sich der Raum, in dem sie während der Sommersaison hauptsächlich tätig sein würde. Er war gebaut wie die Rezeption eines Hotels, so dass sie für Clubmitglieder und Gäste als Ansprechpartnerin gut erreichbar war. Das Clubhaus hatte ihr bereits bei ihrem ersten Besuch gut gefallen. Jetzt allerdings lag es ziemlich öde und verlassen da. Es gab zwar einige unermüdliche Golfspieler, denen kein Wetter zu wüst war, aber auch die gingen nach der Runde gleich nach Hause. Auf dem Nachhauseweg warf sie einen prüfenden Blick auf die zweite Spielbahn. Es war nicht allzu nass. Normale Schuhe würden also ausreichen. Zu Hause holte sie trotzdem eine alte Hose aus dem Schrank, weil sie aus Erfahrung wusste, dass sie nach zwei Stunden aussehen würde, als wäre sie durch den Schlamm gewatet. Sie setzte sich auf die Bettkante um Socken anzuziehen. Dabei fiel ihr Blick auf die Wand neben ihrem Bett.

      Da hing kein Bild! Das war es also, was nicht gestimmt hatte!

      Sie versuchte sich an den vollständigen Traum zu erinnern. Aber es fiel ihr nichts mehr ein. Das Einzige was klar und deutlich vor ihr stand, war das Gesicht mit diesen eigentümlich glitzernden braunen Augen. Merkwürdig! Sie überlegte, wo sie es schon einmal gesehen haben könnte. Im Fernsehen? Im Kino? In einer Golfzeitschrift? Auf einem Plakat?

      „Wieso sehe ich im Traum ein Gesicht, das mir vollkommen unbekannt ist?”

      Ihr Spiegelbild wusste auch keine Antwort. Aber sie war spät dran und musste sich beeilen, um rechtzeitig zum ersten Abschlag zu kommen.

      Es war ein herrlicher Nachmittag. Meteorologen pflegten so etwas ‚ruhiges, stilles Herbstwetter‘ zu nennen. Die Sonne ließ sich zwar nicht blicken, aber es war nicht kalt. Eigentlich ideales Golfwetter. Um halb fünf, kurz bevor es dunkel wurde, kamen sie wieder beim Gutshof an.

      „Es war toll Alex. Vielleicht klappt es ja in diesem Jahr noch einmal, dann wiederholen wir das Ganze.”

      „Aber gerne! Übrigens, morgen werde ich nicht kommen. Ich fahre zur Vorstellung einer neuen Maschine. Also bis übermorgen! Tschüs!”

      Sie schaute noch seinem Auto hinterher und ging dann über den Hof zu ihrer Wohnung. Das Knirschen der kleinen Kieselsteine unter ihren Schuhen mit den Spikes wurde durch die hohen Gebäude, die den Hof umgaben, so verstärkt, dass sie unwillkürlich vorsichtiger auftrat, um nicht solchen Lärm zu machen. Sie schaute zum Haupthaus hinüber und blieb überrascht stehen. Im zweiten Stock war einer der hohen Fensterflügel offen. Mittags war ihr das überhaupt nicht aufgefallen.

      ‚Seltsam, heute geht doch gar kein Wind‘, dachte sie, als sie ihre Haustür aufsperrte. Sie zog andere Schuhe an und ging wieder zurück über den Hof zum Greenkeeper-Büro. Es war zwar nicht ihr Problem, aber Alex würde ja morgen nicht kommen und in der momentanen Jahreszeit konnte man das Fenster auch nicht einfach offenstehen lassen. Nicht einmal in einem alten Gemäuer. Außerdem würde der Fensterflügel vermutlich gegen die Mauer schlagen sobald Wind aufkam und sie müsste sich das Geklapper anhören. Im Büro fand sie tatsächlich einen überdimensionalen Schlüsselbund, von dem sie annahm, dass er zum Gutshaus gehörte. Die Schlüssel sahen allesamt ziemlich antik aus.

      Als sie vor der großen, mit verwitterten Schnitzereien verzierten Eingangstür stand, zögerte sie kurz. Aber dann probierte sie die Schlüssel der Reihe nach aus, um den richtigen heraus zu finden. Es bedurfte zwar einiger Anstrengung, ehe sie den passenden Schlüssel im Schloß umdrehen konnte, aber die Tür ließ sich leicht und gänzlich ohne jedes spektakuläre Quietschen öffnen.

      ‚Hoffentlich gibt es in dem alten Kasten schon elektrisches Licht. Ich habe wahrhaftig keine Lust mit einer Taschenlampe oder einer Kerze durch die Gänge zu geistern‘, schoss es ihr durch den Kopf.

      Inzwischen war es draußen schon ziemlich dunkel. Sie tastete mit der Hand an der Wand neben dem Türrahmen entlang. Nach kurzem Suchen stieß sie tatsächlich auf einen reichlich altertümlichen Drehschalter, den sie schwungvoll betätigte. Zwei total verstaubte Wandlampen tauchten die Halle und das Treppenhaus in einen trübes Licht. Neugierig sah sie sich um. Früher einmal musste es traumhaft schön gewesen sein. Selbst in der spärlichen Beleuchtung der beiden verstaubten Lampen konnte man noch die einstige Schönheit der Stuckdecke erahnen, obwohl sie große bräunliche Stockflecken aufwies und an vielen Stellen abgeblättert war. Die Schnitzereien am Treppengeländer waren teilweise zerbrochen. Aber das schwarze, durch die jahrhundertelange Benutzung ganz blank polierte Holz wirkte eigenartiger Weise kein bisschen schäbig oder lächerlich. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie die Treppe hinaufging. Sie hatte schon viele Burgen und Schlösser besichtigt, die allesamt hervorragend renoviert waren. Aber immer hatte sie das Gefühl gehabt, als wäre die ganze zu besichtigende Pracht künstlich und unecht. Hier hingegen wirkte alles so gediegen und würdevoll. Wie hatte sich Alex ausgedrückt?

      ‚...ziemlich heruntergekommen. Nichts Besonderes.‘

      Da war sie aber ganz anderer Meinung.

      ‚Schade, dass es schon so dunkel ist‘, dachte sie und beschloss gleichzeitig am nächsten Tag wieder zu kommen um sich das Alles hier in Ruhe bei Tageslicht anzuschauen. Es gab ja weit und breit keinen Menschen, den sie vorher um Erlaubnis hätte fragen können. Also konnte auch niemand etwas dagegen haben.

      Im zweiten Stock überlegte sie kurz, wo sie das offene Fenster gesehen hatte, aber da hörte sie es gegen die Hauswand klappern. Das Geräusch kam aus der rechten Hälfte des Ganges der vom Treppenhaus wegführte. In den Seitengängen schien es kein elektrisches Licht zu geben, aber die Beleuchtung reichte gerade noch aus, um zu sehen wo sie hintrat. Schemenhaft konnte sie an den Wänden die Umrisse von unzähligen Hirschgeweihen und sonstigen Jagdtrophäen erkennen. Es kostete sie einige Mühe und einen abgebrochenen Fingernagel den offenen Fensterflügel wieder zu schließen.