Anna-Irene Spindler

Braune Augen


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Aber es kommen heutzutage so selten Menschen hierher. Ich bin etwas aus der Übung, was die Etikette betrifft. Da keine Euch bekannte Person anwesend ist, die mich vorstellen könnte, werde ich das ausnahmsweise selbst übernehmen. Auch wenn ich zugeben muss, dass dies in höchstem Maße unpassend ist. Mein Name ist Antonio José Emilio Sebastiano Friedrich August Henrik Graf von Gerona Fürst von Maybach-Berghof.”

      Eine überaus schwungvolle, elegante Verbeugung folgte dieser, mit einer tiefen, weichen Stimme vorgetragenen Vorstellung. Sie schloß die Augen ganz fest. ‚Ich bilde mir das alles nur ein. Wenn ich die Augen aufmache ist er sicher wieder weg.‘

      „Fühlt Ihr Euch nicht wohl? Wollt Ihr Eure Zofe rufen?”

      Ganz vorsichtig öffnete Teresa die Augen nur einen winzig kleinen Spalt. Nein, er war nicht fort. Im Gegenteil, er war einige Schritte nähergekommen und seine Augen hatten sogar einen leicht besorgten Ausdruck angenommen. Wenn sie sich später an diesen Augenblick zurück erinnerte, wunderte sie sich immer vor allem über eines: Seltsamerweise hatte sie sich niemals auch nur einen Moment lang gefürchtet. Sie konnte nicht sagen warum, aber sie empfand keine Angst. Vielleicht lag es daran, dass es heller Tag war. Vielleicht lag es aber auch an seinen Augen. Ja, das musste es sein! Diese braunen Augen, die auch im Tageslicht den leicht grünen Schimmer hatten. Ihr wurde bewusst, dass sie ihn immer noch anstarrte. Er hatte doch mit ihr gesprochen. Richtig! Er hatte ihr seinen Namen genannt.

      ‚Fürst von Maybach-Berghof!‘

      Jetzt wurde ihr Einiges klar. Ihm gehörte das Alles hier. Er war der Besitzer. Komisch war nur, dass sie ihn nicht hatte hereinkommen hören. Auch seine Kleidung war etwas extravagant. Sie versuchte ihrer Stimme einen möglichst normalen Klang zu verleihen als sie ihn ansprach:

      „Sie haben eine außergewöhnliche Ähnlichkeit mit Ihrem Vorfahren.”

      Erwartungsvoll sah sie ihn an.

      Er runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht so recht was Ihr meint.”

      „Sie müssen doch zugeben, dass Ihnen der Mann auf diesem Bild ziemlich ähnlich sieht.”

      „Tut mir leid, ich kann Euch nicht ganz folgen.” Er runzelte die Stirn.

      „Okay. Ganz langsam. Dieses Schloß gehört Ihnen. Richtig?”

      „In einem gewissen Sinn, ja”, kam prompt die Anwort aus seinem Mund.

      „Gut! Und Sie haben Ähnlichkeit mit dem Mann auf dem Bild, der ja offensichtlich einer Ihrer Vorfahren ist.” Zustimmung heischend blickte sie ihn an.

      Stirnrunzelnd betrachtete er das Bild, dann wendete er sich wieder Teresa zu.

      „Ich wusste es! Man hätte diesem dilettantischen italienischen Pinsler das geforderte Honorar nicht auszahlen sollen! Auch ich bin der Meinung, dieses Porträt ist nicht allzu gut gelungen. Die Ähnlichkeit ist einfach nicht groß genug.”

      Jetzt war es an ihr, ihn verständnislos anzustarren.

      „Was meinen Sie damit? Wer ist der Mann auf dem Bild?”

      Er musterte sie höchst irritiert. Sie kam ihm vor, wie ein kleines Kind, das von Nichts, aber auch gar nichts eine Ahnung hat. Mit einer ausladenden Geste zeigte er auf das Bild.

      „Dies, meine verehrte Unbekannte, soll ein Abbild meiner Person darstellen. Gemalt im Jahr des Herrn 1769. Fertiggestellt drei Wochen vor meinem Tod. Ich bin, wie ich Euch bereits gesagt habe Antonio José Emilio Sebastiano Friedrich August Henrik Graf von Gerona, Fürst von Maybach-Berghof, geboren am 14. Juni 1742 auf dem Schloß meiner Mutter in Spanien, gestorben am 5. August 1769 ungefähr an der Stelle, wo sich jetzt das vierzehnte Grün Eures Golfplatzes befindet.”

      Das war zuviel für Teresa. In ihrem Kopf drehte sich Alles und ihre Knie wurden weich. Sie schaffte es gerade noch bis zu einer Fensternische. Hätte sie sich nicht am Fensterknauf festgeklammert, wäre sie tatsächlich umgekippt.

      „Ihr solltet Euch ausruhen. Ihr seht ein wenig blass aus.”

      Er stand jetzt dicht neben ihr, aber seine Stimme drang kaum bis zu ihr durch.

      Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, so als wollten sie Fangen spielen.

      „Er ist tot! Seit mehr als zweihundert Jahren! Aber wieso kann ich ihn dann sehen und mit ihm sprechen?”

      Ohne dass es ihr selbst bewusst war, hatte sie laut gesprochen.

      Der Mann neben ihr zuckte leicht zusammen. Das Leuchten verschwand aus seinen Augen. Sie konnte noch kurz seinen niedergeschlagenem Blick erhaschen, ehe er traurig den Kopf hängen ließ. Obwohl er nur eine Armeslänge von ihr entfernt stand, verschwammen plötzlich seine Umrisse. Es war so, als würde er in einem dichten Nebel verschwinden. Seine Konturen waren nur noch undeutlich zu sehen. Er hatte den Kopf wieder gehoben. Das Letzte, was sie von ihm sah waren seine Augen. Dann war er verschwunden. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihren Blick von der Stelle losreißen konnte.

      „Es kann nicht sein! Ich habe das nur geträumt!”, flüsterte Teresa.

      Sie sah aus dem Fenster. Die Spielbahnen des Golfplatzes lagen genauso friedlich da wie immer. Auch die Bäume am Horizont hatten sich nicht verändert. Sie drehte sich um. Aber es war kein Zweifel möglich. Der Mann mit dem sie gesprochen hatte und der Mann auf dem Bild waren ein und dieselbe Person. Was hatte er gesagt? Krampfhaft versuchte sie sich an seine Worte zu erinnern.

      ‚Geboren 1742, gestorben 1769.‘ Siebenundzwanzig Jahre. So ungefähr hätte sie auch das Alter des Mannes auf dem Bild geschätzt.

      ‚Antonio Graf von Gerona Fürst von Maybach-Berghof‘. An die anderen Vornamen konnte sie sich nicht mehr erinnern. Sie schüttelte den Kopf. Es war unmöglich! Sie warf einen letzten Blick auf das Gemälde und verließ dann die Bildergalerie. Die Treppen rannte sie so schnell hinunter, dass sie einige Male fast gestürzt wäre. Sie warf das große Hauptportal mit einem lauten Knall hinter sich zu und versperrt die Tür. Den Hof überquerte sie, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Erst als sie ihre eigene Türe hinter sich geschlossen hatte, konnte sie wieder aufatmen. Auf dem Wohnzimmertisch stand die Cognac Flasche. Sie schnappte sich ein Glas und ließ sich auf das Sofa plumpsen. Nach zwei Gläsern fühlte sie sich deutlich besser. Und nach einem weiteren großen Schluck war sie wieder in der Lage richtig zu denken. Eines war auf jeden Fall klar: Sie hatte nicht geträumt! Sie war weder alt, noch senil, noch hatte sie jemals hysterische Anwandlungen gehabt. Nach zwei weiteren Gläsern Cognac, kam sie dem Rätsel endlich auf die Spur.

      „Ist doch klar altes Mädchen, du wohnst hier nicht allein. Du teilst das schnuckelige Anwesen mit einem Hausgeist!” Zufrieden kicherte sie vor sich hin.

      Dass sie darauf nicht schon früher gekommen war! Unverzüglich leerte sie noch ein weiteres Glas um diese weise Erkenntnis auch gebührend zu begießen. Als sie die Flasche bis auf einen kleinen Schluck geleert hatte, war es selbstverständlichste Sache der Welt, einen Hausgeist zu kennen. Was sie noch nicht ganz verstand, war die Tatsache, dass er am helllichten Tag herumlief, anstatt um Mitternacht mit grauslichem Gestöhn durch die Gänge zu schleichen und mit Ketten zu rasseln. Aber obwohl sie auch noch die allerletzten Tropfen Cognac aus der Flasche heraus kitzelte, kam sie der Lösung dieses Problems kein bisschen näher. Teresa runzelte die Stirn und versuchte angestrengt sich zu konzentrieren. Vergebens. Es gab keine plausible Erklärung.

      „Danach muss ich ihn unbedingt fragen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe“, lallte sie schließlich halblaut vor sich hin. Da sie mit einem Mal schrecklich müde war, stand sie auf um ins Bett zu gehen. Mit viel Konzentration schaffte sie es den Weg in das Schlafzimmer zu bewältigen ohne hinzufallen. Nachdem sie sich das Knie am Schrank und den Kopf am Türrahmen gestoßen hatte, fiel sie auf ihr Bett und schlief den Schlaf der Gerechten.

      Die Begegnung

      Das stürmische Gebimmel der Türglocke riss Teresa aus dem Schlaf. Mit einem Ruck richtete sie sich auf. Aber das hätte sie wohl besser gelassen. Ihr war ja so schlecht! Sie schaffte es gerade noch bis zum Badezimmer. So blieb ihr die ziemlich unerfreuliche