einfachen Sekretärin konnte er sich als erfolgreicher Geschäftsmann nicht in der Öffentlichkeit präsentieren. Er besaß vier gut gehende Nobelboutiquen, in denen ein Paar Socken zweihundert Euro und mehr kosteten. Am Anfang hatte er sie geflissentlich übersehen, wenn er das Sekretariat betrat. Das änderte sich schlagartig, als sie ihn während eines Turniers vor der Disqualifikation bewahrte. Er hatte vergessen seine Scorekarte zu unterschreiben, ehe er sie bei ihr ablieferte. Sie rannte ihm nach und machte ihn darauf aufmerksam. Als Dankeschön ging er mit ihr zum Essen. Es schmeichelte ihr, dass er sich mit ihr abgab. Robert war nicht nur erfolgreich, sondern auch sehr gutaussehend. Wo immer er auch auftauchte, umgab ihn sofort ein ganzer Schwarm schöner Frauen. Nach einiger Zeit fiel ihr auf, dass er sich nur dann um sie bemühte, wenn er gerade keine Andere hatte oder seiner augenblicklichen Flamme eins auswischen wollte. Aber das machte ihr weiter nichts aus. Robert konnte sehr charmant sein und Teresa genoss es, an seiner Seite unterwegs zu sein und im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Auch wenn dies immer nur solange dauerte, bis er eine Neue gefunden hatte. Sie hatte ihm vor ihrem Umzug die neue Anschrift und Telefonnummer mitgeteilt. Er wollte sich gleich mit ihr in Verbindung setzen. Bisher hatte er sich natürlich nicht gemeldet. Wie konnte es auch anders sein. Mit einem leisen Seufzer trank sie den letzten Schluck Wein und bezahlte. Es wurde höchste Zeit, wenn sie im Kino noch einen ordentlichen Platz ergattern wollte.
Der Film war toll! George Clooney sah einfach so richtig gut aus! Noch besser, als Robert. Sie war so hingerissen, dass sie zwischendurch sogar vergaß Gummibärchen in den Mund zu schieben. Gebannt verfolgte sie die Handlung auf der Leinwand. Gerade im Moment betrat er das Büro seines Chefs und begrüßte ihn mit einer leichten Verbeugung.
‚Das kann Antonio aber besser!‘
Vor Schreck ließ sie die Tüte mit den Bärchen fallen. Wie konnte ihr nur mitten in einem Film mit ihrem Lieblingsstar so ein lästerlicher Gedanke kommen. Sie hob ihre Bärchen auf und versuchte sich wieder auf die Handlung zu konzentrieren. Es war seltsam. Bisher hatte es sie noch nie gestört, dass der schöne George nicht wirklich groß war. Nicole Kidman, in ihren High-Heels, war deutlich größer als er. Sie versuchte sich zu erinnern, wie groß Antonio war. ‚Blödsinn!‘ Teresa schüttelte energisch den Kopf. Aber die Spannung war dahin. Als der Film zu Ende war, stellte sie fest, dass er ihr nicht sonderlich gut gefallen hatte. Warum, konnte sie im Endeffekt nicht sagen.
Der Regen hatte aufgehört und als sie auf der schmalen Landstraße von Rietingen zum Golfplatz fuhr, stieg gerade der Mond über den Wald empor. Die Wolken hatten sich verzogen. Es war eine sternklare Nacht. Es würde bestimmt sehr kalt werden. Gut, dass sie ihr Auto in die Scheune zu den Maschinen stellen konnte, sonst würde sie morgen bestimmt kratzen müssen. Sie schloß das Tor und ging quer über den Hof.
‚Ich muss mir unbedingt eine Taschenlampe in das Auto legen, sonst breche ich mir noch den Hals‘, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich vorsichtig Schritt für Schritt zu ihrer Wohnung vor tastete. Sie sperrte die Haustüre auf und machte Licht. Als sie ihre Jacke an den Haken hängte, sah sie den großen Schlüssel auf der Ablage. Automatisch, ohne nachzudenken zog sie die Jacke wieder an, nahm den Schlüssel und ehe sie sich versah war sie auf dem Weg zum Schloß hinüber. Der Mond stand jetzt bereits hoch am Himmel. Er tauchte die alten Gebäude in geheimnisvolles Licht. Sein Schein fiel durch die hohen Fenster herein und erhellte die Gänge, die von der spärlichen Beleuchtung des Treppenhauses nicht mehr erreicht wurden. Der Reihe nach öffnete sie die Türen. Ging von einem Raum zum nächsten. Alles war still und verlassen. Die Umrisse der wenigen Möbel waren im bleichen Mondlicht nur schwach zu erkennen. Bildete sie es sich nur ein, oder war unter der Tür vor ihr ein schwacher Lichtschimmer zu erkennen? Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter, die sich auf Schulterhöhe befand. Ganz langsam schob sie die Tür auf. Es war die Bibliothek. Auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes brannten einige Kerzen. Dieses Zimmer war nicht wie die anderen mit einem Porzellanofen ausgestattet, sondern ein großer, offener Kamin befand sich in der Ecke. Darin flackerte ein helles Feuer. Auf dem Kaminsims standen ebenfalls Kerzen. Sie schloß die Tür und trat an den Ledersessel heran, der vor dem Kamin stand.
„Schön, dass Ihr heute abend noch vorbei kommt. Ich habe nicht damit gerechnet.“
Antonio stand auf und verbeugte sich. Bei ihm wirkte es natürlich, nicht gekünstelt und angelernt wie bei George Clooney.
„Wollt Ihr mir ein bisschen Gesellschaft leisten?“ Er schien über ihre Anwesenheit nicht im Geringsten erstaunt zu sein. Als sie nickte, wies er mit der Hand auf den zweiten Sessel vor dem Feuer. Komisch. Sie hätte schwören können, der wäre eben noch nicht da gewesen.
„Was lesen Sie gerade?“ Fragend blickte sie auf das Buch, das auf seiner Sessellehne lag.
„Cervantes“, kam prompt die Antwort
„Und ich dachte, Sie würden sich vielleicht für Wilde`s Canterville Ghost interessieren.“
„Oh nein, dieses Werk ziehe ich nur zu Rate, wenn ich Anregungen für den Umgang mit ungebetenen Besucherinnen brauche.“
Sie sah ihn von der Seite an. „Wenn ich Sie störe, müssen Sie es mir sagen. Ich möchte auf keinen Fall lästig sein.“
Er beugte sich in seinem Sessel nach vorn, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Sein Kopf hob sich und sie sah ihm direkt in die Augen, die sich dicht vor ihrem Gesicht befanden.
„Es ist schon beinahe einhundert Jahre her, dass ich mich so netter Gesellschaft erfreuen durfte.“
Verlegen senkte sie den Blick. An Komplimente dieser Art war sie nicht gewöhnt. Er streckte die Beine aus, schlug sie über einander und lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück.
„Was gefällt Ihnen denn so besonders an diesem armseligen Ritter?“
Sie fragte ihn weniger aus Interesse, sondern vielmehr um ihre Verlegenheit zu überwinden. Seinen Blick weiter auf die Flammen gerichtet antwortete er:
„Er sieht die Welt mit anderen Augen als seine Mitmenschen. Für ihn hat die Wirklichkeit keine Bedeutung. Sie ist ihm gleichgültig. Auch die Meinung der Menschen ist ihm einerlei. Schlechtigkeit und Böses existieren für ihn nicht. Er hat ein großes Ziel vor Augen. Das verfolgt er geradlinig und unverdrossen. Ich bewundere ihn.“ Er sah sie fragend an. „Was haltet Ihr von Alonso Quijano?“
Teresa wurde von dieser Frage ziemlich überrascht. Eigentlich hatte sie sich bisher keine Gedanken über Don Quijote gemacht. Ihr war das Buch viel zu fade und langatmig und sie war nie auf die Idee gekommen es ein zweites Mal zu lesen. Aber das wollte sie nicht unbedingt zugeben.
„Tja, also, die Menschen halten ihn für verrückt und wenn ich es recht bedenke haben sie glaube ich gar nicht so unrecht.“
„Ich denke er ist normaler als die meisten Leute. Was soll verrückt daran sein, das Leben so zu sehen wie es sein sollte und nicht wie es wirklich ist?“
„Wenn ich ehrlich bin, haben mich solche Fragen bisher nicht allzu sehr gekümmert.“
Antonio lachte. „Selbstverständlich. Ihr habt für derartige Dinge sicherlich keine Zeit, da Ihr ja den ganzen Tag beschäftigt seid.“ Er wendete seinen Blick von ihr ab und beobachtete wieder die Flammen. „Ich hingegen habe seit über zweihundert Jahren alle Zeit der Welt. Ihr werdet mich jetzt sicher für einen merkwürdigen, weltfremden Spinner halten.”
„Aber nicht doch! Es ist doch nicht seltsam, wenn ein Hausgeist vor dem Kamin sitzt und über Don Quijote philosophiert. Das ist vollkommen natürlich.“
Mit einem spitzbübischen Grinsen sah sie ihn an. Der melancholische Ausdruck in seinen Augen verschwand. Lachend drohte er ihr mit dem Finger.
„Nehmt Euch in acht Teresa! Wenn Ihr Euch über mich lustig macht, hole ich mein Leichentuch heraus und spuke heulend durch die Gänge, genau wie Sir Simon.“
Eine Weile sahen Beide stumm ins Feuer.
„Was haltet Ihr von einem Glas Wein?“, unterbrach Antonio die Stille und deutete auf die Gläser und die Flasche, die auf einem Tischchen neben dem Kamin standen.
„Das stand doch