Anna-Irene Spindler

Braune Augen


Скачать книгу

etwas einschenken? Ihr werdet sehen, es ist ein ganz ausgezeichneter Rotwein. Die deutschen Soldaten, die während dieses Krieges, den man jetzt den zweiten Weltkrieg nennt, hier einquartiert waren, haben ein paar Kisten davon vergessen. Der kommandierende Major hatte ihn aus Frankreich mitgebracht. Vermutlich Kriegsbeute. Der Aufbruch der Truppen erfolgte damals ziemlich überstürzt und der Major schien mir andere Sorgen zu haben, als seine Flaschen einzupacken.“ Er reichte ihr das Glas.

      „Auf Euer Wohl!“ „Zum Wohl, Antonio!“

      Noch nie zuvor hatte sie einen ähnlich großartigen Wein getrunken.

      „Antonio, es ist ein wundervoller Wein!“

      „Ja, ich denke er ist inzwischen ganz akzeptabel. Es ist ein 1929er Chateau Latour.“

      „Mein Gott!“, entfuhr es ihr „der ist ein Vermögen wert.“

      „Kann sein. Aber ich kann die Kisten nicht zu einer Weinauktion bringen, also trinke ich ihn lieber selbst.“

      „Na, jetzt habe ich wieder etwas dazu gelernt“, meinte Teresa.

      Fragend sah er sie an.

      „Ich weiß jetzt, dass Geister zwar nicht frieren, aber offensichtlich öfter einmal durstig sind.“

      „Nicht ganz. Ich verspüre weder Hunger noch Durst. Aber ebenso wie ich ein Feuer im Kamin als etwas sehr Angenehmes empfinde, liebe ich guten Wein und genieße ein entsprechendes Essen dazu. Äußere Einflüsse oder Umstände haben keine Bedeutung für mich. Empfindungen und Gefühle habe ich aber trotzdem.“ Er stockte kurz und fuhr dann fort: „Als wir uns das erste Mal trafen, war ich sehr betroffen, als ich Eure Ungläubigkeit und Ablehnung spürte. Mir war Euer Interesse für das Schloß nicht entgangen und ich hoffte nach vielen Jahren wieder etwas Gesellschaft zu bekommen.“

      Antonio hob sein Glas. Teresa überlegte kurz, nahm ebenfalls ihr Glas zur Hand und sagte dann: „Wie wäre es, wenn wir dieses förmliche Sie – Ihr - Euch einfach weglassen und uns unterhalten wie gute Freunde?“

      Die Flammen des Kaminfeuers tanzten in seinen Augen, als er nickte.

      „Aber gerne. Auf dein Wohl, Teresa!“

      „Auf dich, Antonio!“

      Der Brauch, eine neu geschlossene Brüderschaft mit einem Kuss zu besiegeln, war ihm offenbar fremd. Sie hütete sich jedoch ihn darauf anzusprechen. Trotzdem empfand sie so etwas wie leises Bedauern. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, das es fast zwei Uhr geworden war.

      „Ich denke ich werde jetzt heim gehen. Es ist schon reichlich spät und ich möchte morgen früh nach Rietingen.“ Fast entschuldigend fügte sie hinzu: „Ich gehe normalerweise am Sonntag immer in die Kirche.“

      Ängstlich sah sie ihn an. Würde er sie auslachen? Die meisten Menschen machten sich über sie lustig, wenn sie davon erzählte, dass sie regelmäßig zum Gottesdienst ging. Er hingegen schien darüber nicht sehr erstaunt zu sein und meinte nur: „Hier im Schloß gibt es auch eine kleine Kapelle. Ihr – äh, ich meine du kannst sie dir ja gelegentlich einmal ansehen.“

      Er wollte sie zu ihrer Wohnung begleiten, aber sie lehnte ab.

      „Das ist nicht nötig. Außer uns ist ja niemand hier, also wird mich keiner belästigen. Und verlaufen kann ich mich auch nicht.“ Sie streckte ihm die Hand hin. „Gute Nacht, Antonio!“

      „Gute Nacht, Teresa! Angenehme Träume!“

      Er nahm ihre Hand. Aber anstatt sie zu schütteln verabschiedete er sich mit einem Handkuss von ihr. Sie gingen gemeinsam zur Zimmertür. Er sah ihr nach als sie den Gang entlang ging. Sie spürte seinen Blick und drehte sich nach ihm um. Antonio war verschwunden. Und das Licht in der Bibliothek war aus, so als hätten das Feuer und die Kerzen nie gebrannt.

      Teresa stand in ihrem Badezimmer vor dem Spiegel, kämmte sich die Haare und trällerte vor sich hin. Es war ein toller Tag gewesen! Das Abendessen, der Film und jetzt zum Abschluss noch das Treffen mit Antonio. Wie oft war sie in ihrer Kindheit und als Teenager von ihren Eltern und Freunden gehänselt worden, weil sie so hoffnungslos romantisch war. Ausgelacht hatte man sie, als sie mit den ausrangierten Kleidern ihrer Großmutter durch die Wohnung stolzierte und verkündete, sie wäre eine Prinzessin und ein verzauberter Prinz würde kommen und sie heiraten. Es konnte doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet sie jetzt einen Mann getroffen hatte, der zwar schon über zweihundert Jahre tot, aber trotzdem so charmant und gut aussehend war, dass selbst George Clooney wie ein müder Gigolo-Abklatsch wirkte. Noch nie zuvor hatte ihr jemand die Hand geküsst, nicht einmal während ihres Tanzkurses! Und Antonio hatte es gleich zweimal getan. Sie trällerte wieder vor sich hin und tanzte vergnügt zu ihrem Bett.

      Ihren Plan, am Morgen nach Rietingen in die Kirche zu fahren, musste sie sehr schnell aufgeben. Teresa hatte vergessen den Wecker zu stellen und verschlafen. Hastig stopfte sie ein Stück Kuchen in den Mund und schlüpfte noch während sie kaute in ihren Mantel. Sie warf die Haustür hinter sich zu und spurtete über den Hof zu ihrem Auto. Das heißt sie wollte spurten. Sie kam keine drei Schritte weit, da rutschte sie aus und landete reichlich unsanft auf ihrem Hintern. Die Schottersteinchen des Hofes waren mit einer dicken Eisschicht überzogen. Als sie nachts vom Schloß zu ihrer Wohnung gegangen war, hatte es leicht geregnet. Es war dann wohl noch kälter geworden und so dieses prächtige Glatteis entstanden. Vorsichtig stand sie auf. Gut, dass sie ihren Mantel anhatte. Die kleinen Steine waren verflixt spitz und hart. Es würde einen schicken blauen Fleck geben.

      ‚Also gut, dann gönne ich mir einen gemütlichen, faulen Sonntag‘, dachte Teresa als sie auf einem weichen Kissen sitzend ihren Kaffee schlürfte. Sie würde lesen, fern sehen, Puzzle bauen, stricken, Tee trinken, ins Feuer schauen.

      ‚Schade eigentlich, dass der Sonntag auch nur vierundzwanzig Stunden lang ist‘, ging es ihr durch den Kopf. Ein bisschen traurig war sie schon, denn am ersten Advent wäre sie gerne in die Kirche gegangen. Da fiel ihr ein, was Antonio ihr am Abend zuvor gesagt hatte. Sie würde später in die Schlosskapelle hinüber gehen, dort eine Adventskerze anzünden und beten.

      Teresa schaltete den Fernseher aus und stand vom Sofa auf. Ihre obligatorische Sonntagvormittag Sendung war zu Ende. Seit ihrer Kindheit gehörte ‚Die Sendung mit der Maus‘ zu ihren Lieblingsbeiträgen und sie fand die Geschichten heute noch genauso interessant wie damals, als sie acht Jahre alt gewesen war. Die Eisschicht im Hof war inzwischen weg getaut und man konnte sich gefahrlos hinaus wagen. Sie steckte eine Kerze in ihre Manteltasche, ging zur Maschinenhalle hinüber und suchte sich eine Gartenschere. Aus der Hecke neben der Straße schnitt sie ein paar Hagebuttenzweige ab. Von den Fichten hinter der Scheune stibitzte sie einige kleine Wedel. Sie räumte die Schere wieder auf, um sich keinen Ärger mit Alex einzuhandeln und machte sich dann im Schloß auf die Suche nach der Kapelle. Diese befand sich im zweiten Stock, auf der Westseite des Hauses. Es war ein kleiner Raum mit einem Erker. Dieser halbrunde Anbau hatte vier hohe, bunte Fenster in denen die Apostel mit ihren jeweiligen Symbolen dargestellt waren. In der Mitte zwischen den Fenstern befand sich ein kleiner Marmoraltar.

      „Oh mein Gott!“

      Sie starrte mit offenem Mund das Gemälde an, das in einem vergoldeten Rahmen zwischen den beiden mittleren Fenstern über dem Altar hing. Es stellte eine Szene aus dem Matthäus-Evangelium dar. Maria Magdalena begegnet dem auferstandenen Christus. Teresa konnte ihre Augen nicht abwenden. Es war als ob die Augen des gemalten Christus sie magisch in ihren Bann zogen. Noch nie zuvor hatte sie ein Gesicht von so überirdischer Schönheit gesehen. In den Augen lagen Milde und Verständnis. Als könnten sie bis in das Herz aller Menschen sehen und alle Sorgen und Nöte verstehen.

      ‚Ja. So muss er ausgesehen haben‘, schoss es ihr durch den Kopf. Maria Magdalena kniete vor dem Auferstandenen im Moos. Auch ihr Gesicht, das nur im Profil zu sehen war, war von einer so unglaublichen Schönheit, dass es einem beinahe den Atem verschlug. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie ihren Blick von den beiden Gestalten auf dem Altarbild losreißen konnte. Sie versuchte ihre mitgebrachten Zweige auf dem Boden vor dem Altar zu einem kleinen Kranz zu arrangieren. Es war eine reichlich stachelige Angelegenheit. Am Ende stellte sie noch die Kerze in die Mitte. Jetzt hatte es tatsächlich