Anna-Irene Spindler

Braune Augen


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vor dem Altar standen. Die Lederpolsterung der Kniebank war schon ziemlich abgewetzt und verschlissen. Wie viele Generationen hatten wohl schon hier gekniet und ihre Gebete und Bitten zu diesem wunderschönen Bildnis geschickt?

      Nach einer halben Stunde verließ sie die Kapelle. Sie vergewisserte sich noch einmal, ob sie die Kerze ausgeblasen hatte, warf einen letzten Blick auf das Bild und schloß leise die Tür. Langsam schlenderte sie durch die Gänge und Räume. Sie ließ sich sehr viel Zeit. Obwohl sie es sich gar nicht so recht eingestehen wollte, wartete sie auf Antonio. Aber er ließ sich nirgends blicken. Es war fast drei Uhr, als sie das große, schwere Hauptportal hinter sich zusperrte. Es hatte wieder zu regnen begonnen und Wind war aufgekommen, der welke Blätter über den Hof blies. Das ganze Anwesen lag trostlos und verlassen da. So als hätte nie eine Menschenseele darin gewohnt. Traurig und niedergeschlagen kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Als sie ihren Mantel aufhängte, sah sie ihr Spiegelbild an und sagte: „Sei ehrlich, du wolltest ihn wiedersehen. Und jetzt bist du traurig weil er nicht da war.“ Unwillkürlich nickte sie. Richtig! Sie hätte sehr gerne wieder seiner weichen Stimme zugehört. Sich mit ihm über Bücher unterhalten, auch wenn sie diese normalerweise als stinklangweilig einstufen würde. Einen Schluck Wein mit ihm getrunken und in seine geheimnisvollen braunen Augen gesehen. Plötzlich wünschte sie sich inständig, er hätte nicht nur ihre Hand, sondern auch ihren Mund geküsst. Sie betrachtete wieder ihr Spiegelbild. Röte war ihr in die Wangen gestiegen.

      „Oh mein Gott, ich werde mich doch nicht etwa in ihn verlieben?“, stammelte sie. Unsinn! Sie fand ihn einfach nur nett. Das war alles. Entschlossen drehte sie sich um und marschierte in die Küche, um sich ihr verspätetes Mittagessen zu kochen.

      Die Vergangenheit

      Die ganze Woche über blieb das Wetter so unfreundlich. Es nieselte oder regnete fast pausenlos. Graue Wolken hingen düster und drohend am Himmel. Sogar am Mittag benötigte man noch Beleuchtung in den Zimmern. Ihre Arbeit im Büro war in der Regel in zwei Stunden erledigt, so dass sie schon um elf Uhr Feierabend machen konnte. Alex kam nur noch morgens kurz vorbei, um zu prüfen ob der Platz und die Übungsanlage noch bespielbar waren. Ansonsten gab es für ihn nichts mehr zu tun, da er die Maschinen schon alle winterfest gemacht hatte. Zugegebener Maßen nicht ganz uneigennützig bot ihm Teresa an, immer wieder einmal im Schloß nach dem Rechten zu sehen, so dass er deswegen nicht extra herfahren musste. Antonio bekam sie nicht zu Gesicht. Zweimal wanderte sie durch das ganze Haus ohne ihn zu treffen. Sie kam sich ziemlich albern vor. Schließlich war sie schon fast soweit zu glauben, sie hätte sich alles nur eingebildet. Am Freitag war sie schließlich so niedergeschlagen, dass sie beschloss am Wochenende ihre Schwester zu besuchen. Sie hatte zwar überhaupt keine Lust, bei dem miesen Wetter so weit zu fahren. Aber Alles war besser, als allein herum zu sitzen und Trübsal zu blasen. Vielleicht hatte Alex ja doch recht gehabt, als er ihr prophezeit hatte, sie würde es nicht lange hier aushalten. Am Telefon erzählte ihre Schwester, dass sie am Freitag Abend zu einer Elternbesprechung in den Kindergarten musste und Teresa hatte kein Interesse mit ihrem extrem redseligen Schwager den Abend zu verbringen. Also einigten sie sich darauf, dass Teresa, falls überhaupt, erst am Samstag Morgen losfahren würde. Wenigstens schien das Fernsehprogramm halbwegs akzeptabel zu sein. Sie hatte Tee gekocht und wollte sich gerade mit ein paar Lebkuchen auf dem Sofa niederlassen, als das Telefon klingelte. Es war Alex.

      „Bist du so lieb und hängst morgen früh das Schild mit der Platzsperrung hinaus. Es soll laut Wetterbericht die ganze Nacht weiter regnen, da müssen wir den Platz unbedingt zu machen. Es wäre toll, wenn du das übernehmen könntest, dann muss ich morgen nicht extra hinaus kommen.“

      Alex konnte betteln wie ein kleiner Junge. Sie überlegte kurz und meinte:

      „Ich kann das doch auch heute noch machen. Wahrscheinlich fahre ich morgen früh weg, da vergesse ich es vielleicht.“

      „Kein Problem. Du bist doch meine Beste. Ich danke dir. Tschüs! Einen schönen Abend noch!“, klang Alex‘ Stimme durch den Hörer.

      „Ade, Alex!“ Teresa legte auf und stellte ihre Teekanne seufzend unter die Wärmehaube. Sie schnappte sich ihre Jacke und ging zur Scheune hinüber. Nach einer kurzen Suche fand sie die Platzsperre-Tafel. Fast war sie versucht sich ins Auto zu setzen. Aber ihr Umweltbewusstsein siegte und sie entschied sich zu Fuß zu gehen. Es war zwar finster, aber inzwischen kannte sie den Weg schon beinahe im Schlaf. Der Sturm zerrte wie verrückt an ihrem Schirm. Krampfhaft hielt sie ihn fest. Es war ein scheußliches Wetter. Obwohl sie nur zehn Minuten bis zum Abschlag der ersten Spielbahn brauchte, war sie trotz des Regenschirmes völlig durchnässt. Mit klammen Fingern tauschte sie die Schilder aus und machte sich dann gleich wieder auf den Heimweg.

      „Eine blöde Idee, zu Fuß zu gehen“, schimpfte sie vor sich hin.

      „Zu meiner Zeit galt es als höchst unschicklich im Finstern allein herum zu spazieren.“

      Sie stieß einen spitzen Schrei aus und ließ das Schild fallen. Entschlossen hielt sie ihren Schirm fest und drehte sich blitzschnell um. Diesem Wüstling, der ihr hier nachts auflauerte, würde sie mit dem Regenschirm eins überziehen, dass ihm Hören und Sehen verginge. Sie wollte gerade zuschlagen, da erkannte sie Antonio, der im strömenden Regen schräg hinter ihr stand.

      „Mein Gott, hast du mich erschreckt! Um ein Haar hätte ich dich erschlagen.“ Erleichterung schwang in ihrer Stimme mit.

      „Ich schätze, da bist du gut zweihundert Jahre zu spät dran. Die Arbeit hat dir schon Friedrich von Bernwald abgenommen“, lachte er. „Trotzdem hast du dir kein schönes Wetter für einen abendlichen Spaziergang ausgesucht. Komm, lass uns gehen, ehe wir wegschwimmen.“

      „Gute Idee! Stell dich unter!“

      Sie hielt den Schirm über ihn und gemeinsam marschierten sie zurück.

      „Ich habe Tee gemacht. Wenn du Lust hast, kannst du eine Tasse mit trinken“, bot sie Antonio an, während sie die Türe aufsperrte.

      „Gerne.“ Er folgte ihr in die Diele. Sie sahen aus wie zwei gebadete Mäuse. Als sie die Pfütze bemerkten, die sich in kürzester Zeit unter ihren Schuhen gebildet hatte, mussten beide lachen.

      „Es hätte tatsächlich nicht viel gefehlt und wir wären weggeschwommen“, sagte Teresa und wischte sich die Lachtränen von den Wangen.

      Sie ließen die nassen Schuhe im Windfang stehen und gingen hinein. Teresa musterte Antonio.

      „Ich schau einmal ob ich etwas Trockenes für dich zum Anziehen habe. Du bist ja auch tropfnass.“

      „Oh, dass ist nicht nötig, meine Sachen trocknen schnell. Wenn es dir recht ist, mache ich inzwischen Feuer.“

      Teresa ging in das Schlafzimmer und zog sich um. Jetzt fühlte sie sich schon gleich behaglicher. Noch während sie sich die Haare trocken rubbelte, ging sie in das Wohnzimmer zurück, um Antonio auch ein Handtuch zu bringen. Er stand vor dem Kaminofen, in dem bereits ein lustiges Feuer flackerte.

      „Hier, für dich“, sagte sie und hielt ihm das Handtuch hin. Er drehte sich um. Da sah sie, dass seine Kleidung und auch seine Haare vollkommen trocken waren. So als hätte er keinen einzigen Tropfen Regen abbekommen.

      „Danke, aber ich benötige das nicht mehr.“ Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht.

      „Es ist so schwierig für mich, nicht zu vergessen, dass du kein normaler Mensch bist. Du siehst einfach nicht aus wie ein Geist. Und du benimmst dich auch nicht so!” Nachdenklich und fast ein wenig vorwurfsvoll sah sie ihn an.

      „Wie muss sich denn ein Geist deiner Meinung nach benehmen?“

      „Ich...ich...weiß auch nicht so genau. Auf jeden Fall sieht ein Geist nicht so aus wie du. Geister sind alt und runzlig. Manchmal sieht man sogar schon ihre Knochen. Sie haben zerlumpte Kleider, sind fast durchsichtig oder doch zumindest ganz weiß. Und sie erscheinen nur nach Mitternacht und laufen nicht am helllichten Tag auf Golfplätzen herum. Außerdem ist es ihr Job Menschen zu erschrecken und nicht mit ihnen Wein zu trinken oder sie im Regen nach Hause zu begleiten.“ Sie war sehr zufrieden mit ihrer Argumentation.