Michael Schenk

Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt


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Wenn

      wir sie nicht erwischen, wimmelt es in der Hochmark bald von den

      verdammten Biestern, und dann ist keine Herde mehr sicher.«

      Kormund schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich glaube eher, dass es ein

      Weibchen mit seinen Jungen ist. Übel genug für die Herden.« Er blickte in

      das Tal hinein, an dessen Eingang sie gehalten hatten. »Aber wenn wir Glück

      haben, erwischen wir sie hier. Der Zugang des Tals ist schmal und die Hänge

      sind sehr steil, auch für ein Raubkralle. Zwei Mann decken den Zugang und

      achten darauf, dass keines der Biester entkommt, ihr anderen folgt mir.« Er

      blickte kurz in den Himmel hinauf. »Und wir sollten uns beeilen. Das Wetter

      wird bald umschlagen, und dann dürfte es verdammt ungemütlich werden.«

      Kormunds alte Narbe an der Brust, die ein Ork ihm beigebracht hatte,

      schmerzte wieder einmal. Seine Erfahrung täuschte ihn nur selten, und wenn

      er behauptete, das Wetter werde umschlagen, dann hatten die anderen keinen

      Grund, daran zu zweifeln. Zwei von ihnen hielten Pfeil und Bogen

      schussbereit, die beiden anderen folgten Kormund ins Tal hinein.

      Die Hochmark des Pferdefürsten Garodem war die nördlichste Mark des

      Reitervolkes. Sie bestand aus einer Reihe miteinander verbundener Täler, gut

      geschützt durch die steil aufragenden Berge und nur über zwei Pässe

      zugänglich. Der nördliche von ihnen wurde von der Stadt und Festung von

      Eternas geschützt, der südliche durch die Wachen der Schwertmänner.

      Die Täler boten Raum für die wachsenden Herden an Pferden, Schafen und

      Hornvieh sowie für die zahlreichen Äcker, auf denen Getreide wuchs. Die

      Berge waren reich an Metallen und Brennstein, nur an Holz mangelte es, doch

      das konnte durch den Handel mit den unteren Marken besorgt werden.

      Kormund und seine vier Begleiter waren Pferdelords wie die meisten

      wehrhaften Männer der Marken. Sie hatten gelernt, dass Einigkeit ihr Volk

      stark machte und man die eigene Freiheit mit der Waffe verteidigen musste.

      Zu oft waren sie von Orks und anderen Feinden bedroht worden, als dass das

      Pferdevolk diese Lektionen nicht gelernt hätte.

      Aber auch im Frieden war eine Mark Bedrohungen ausgesetzt. Es gab

      Raubwild oder Barbaren und Ausgestoßene, gegen die es die Grenzen zu

      schützen galt. Dafür unterhielt der Pferdefürst einer Mark eine Truppe

      Schwertmänner: Pferdelords, die ständig unter Waffen standen und von ihrem

      Herrn versorgt und ausgerüstet wurden. Sie waren die Elite der Kämpfer und

      verstanden sich auch auf den Umgang mit Schwert und Lanze.

      Die Hufe der Pferde pochten leise auf dem mit Gras bewachsenen Boden,

      während Kormund und seine beiden Flankenreiter aufmerksam in das Tal und

      zu dessen Hängen spähten. Der stämmige Scharführer musste auf den Bogen

      verzichten, denn die alte Wunde verhinderte, dass er ihn ausreichend spannen

      konnte. So hielt er die Stoßlanze mit dem Berittwimpel bereit und folgte mit

      den Blicken den Spuren des kleinen Rudels.

      Die Schatten im Tal wurden länger, Wolken zogen sich zusammen; es

      würde wohl nicht mehr lange dauern, und einer der heftigen Gewitterstürme

      brach über das Land herein. Noch war es Herbst, doch die Nächte wurden

      schon ungewöhnlich kalt. Vermutlich würde es ein schwerer Winter werden,

      der den Herden zusetzte. Da konnte kein Pferdelord ein Rudel Raubkrallen

      dulden, das die kostbaren Tiere hungrig belauerte.

      Ursprünglich hatte das Rudel aus acht Tieren bestanden, aber die

      Herdenwächter des Hammergrundweilers hatten zwei von ihnen erlegt.

      Anschließend hatten die Bewohner des Weilers den Pferdefürsten gebeten,

      einen Trupp Schwertmänner zu entsenden, um die Raubkrallen zu stellen.

      Obwohl Kormund nicht mehr der Jüngste war, hatte er sich gefreut, wieder

      einmal hinausreiten zu können, denn der Ritt würde ihm auch Gelegenheit

      geben, einen alten Freund zu besuchen.

      »Die Abdrücke sind frisch«, raunte er. »Sie müssen hier irgendwo

      herumstreichen. Seid vorsichtig. Sie kennen unsere Pfeile und fürchten sie.

      Aber wenn sie in die Enge getrieben werden …«

      »Ich bin nicht zum ersten Mal einer Raubkralle auf der Spur, guter Herr

      Kormund«, brummte einer der Schwertmänner.

      »Ja, aber diese hier sind besonders gefährlich«, erwiderte der Scharführer

      und sah den Schwertmann ernst an. »Sie haben zwei Herdenwächter des

      Hammergrunds angefallen und einen von ihnen getötet, bevor jemand

      eingreifen konnte. Diese Bestien haben Blut geleckt. Menschenblut. Sie

      wissen nun, dass man uns töten kann, und werden nicht mehr davor

      zurückschrecken.«

      Die drei Reiter zogen sich zu einer weiten Linie auseinander. Während

      Kormund die Spuren des Rudels, die tiefer ins Tal hineinführten, im Auge

      behielt, entfernten sich die beiden anderen von ihm, damit sie die Hänge

      besser übersehen konnten.

      Die Raubkrallen scheuten davor zurück, ein Risiko einzugehen. Ein

      Angriff, bei dem sie sich verletzten, konnte sie daran hindern, weiter auf die

      Jagd zu gehen, und sie so einem qualvollen Hungertod preisgeben. Im Rudel

      war die Chance größer, dass ein geschwächtes Tier genug Nahrung abbekam,

      um wieder gesund zu werden. Nein, sie riskierten nicht viel, diese eleganten

      Räuber, aber deswegen waren sie keineswegs feige. Wenn es darauf ankam,

      kämpften sie rücksichtslos. Kein vernünftiger Mann würde sie unterschätzen.

      Doch Terwin, der Schwertmann an Kormunds rechter Seite, war nicht

      vernünftig. Obwohl er sich im Kampf gegen die Orks bewährt hatte, fehlte

      ihm der Instinkt, die Raubkrallen richtig einzuschätzen. Kormund merkte das,

      als der Reiter sich entfernte und auf den steilen Hang zuhielt, der den

      Raubkrallen ein Entkommen unmöglich machte. Der erfahrene Scharführer

      wandte den Kopf und musterte die Felsen, die vereinzelt und in Gruppen am

      Fuße