Michael Schenk

Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt


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Glas. »Das war kein Brandgeschoss. Zumindest kenne ich keines, das

      eine solche Hitze entwickeln könnte.«

      »Du hast recht. Der Stein ist geschmolzen. Zwar nur an der Oberfläche,

      doch die Hitze muss enorm gewesen sein.«

      »Auch dort an der Türeinfassung und an der Wand des Turms sind solche

      Stellen.« Neolaras trat neben die metallene Tür und betastete den Rahmen.

      »Und hier ist ein Loch im Metall.« Er schob seine Hand durch die Öffnung

      und schüttelte den Kopf. »Als habe man eine glühende Lanze

      hindurchgerammt.«

      »Ich kenne keine Waffe und keinen Zauber, die das bewirken könnten.«

      Elgeros wandte sich um und gab seinen Männern einen Wink. »Fünf von euch

      durchsuchen die Gebäude, die anderen halten die Mauer. Gebt der Truppe

      Zeichen, dass sie einrücken soll.« Er senkte seine Stimme und sah seinen

      Freund an. »Ich glaube nicht, dass uns noch Gefahr droht. Hier werden wir

      kein lebendes Wesen mehr finden.«

      Durch die offen stehende Tür fiel nur wenig Licht in den Raum, der sich

      über die ganze untere Ebene des Turms erstreckte. Er wirkte ungemütlich und

      kalt und strahlte eine finstere Drohung aus. Nur einige Tische und Bänke

      standen umher, und in der Mitte befand sich eine erkaltete Feuerstelle. Hinten

      erhob sich das gemauerte Rund des Brunnens von Niyashaar, und eine

      steinerne Treppe führte an den Wänden entlang hinauf zu den oberen Ebenen.

      Ein hölzerner Waffenständer war umgestürzt, und einige Waffen lagen auf

      dem Boden verstreut.

      Elgeros zog fröstelnd die Schultern zusammen und bewegte sich zur

      Treppe hinüber. Misstrauisch spähte er nach oben und betrat dann zögernd die

      Stufen. Neolaras folgte, und ihre Schritte hallten hohl in dem Gemäuer wider.

      Auf der nächsten Ebene lagerten ein paar Notvorräte und es gab einfache

      Schlafstätten. Hier oben war Ordnung und es wirkte ganz so, als habe die

      elfische Besatzung aufgeräumt, bevor sie verschwunden war. Die Decken

      waren sorgsam gefaltet und an einem der Bettgestelle lag eine Schriftrolle

      bereit, die nur darauf zu warten schien, dem Ruhe suchenden vor dem Schlaf

      noch etwas Entspannung zu bieten. Ob es auch hier die eigentümlichen

      Brandspuren gab, konnten die Elfen nicht feststellen, denn dazu war es zu

      dunkel. Aber sie bezweifelten es. In diesem Raum war sicherlich nicht

      gekämpft worden.

      Im Hof waren Kommandos zu hören, als die Hundertschaft einrückte. Man

      vernahm das Zufallen der Torflügel und die Geräusche von Männern, die auf

      die Wehrmauer hasteten.

      Elgeros deutete über sich und dann machten sich die beiden Führer daran,

      auch noch die zwei oberen Turmebenen zu durchsuchen. Dort fiel durch die

      Schießscharten genug Licht ein, sodass sie Einzelheiten der Einrichtung

      erkennen konnten. Die Öffnungen in den Turmmauern waren mit Klarstein

      geschlossen, der die Witterung draußen hielt und freie Sicht gewährte. Er war

      von hervorragender Qualität und verzerrte nicht den Blick. Auch die

      Menschen verstanden sich inzwischen darauf, feinen Quarzsand zu schmelzen

      und mit Zusätzen zu versehen, sodass der durchsichtige Klarstein entstand.

      Aber die Scheiben, welche sie daraus fertigten, waren dick und von Schlieren

      durchzogen.

      Neolaras trat an eine der Fensteröffnungen und blickte in den Hof hinunter,

      während Elgeros den Raum absuchte. Er war im Lauf der Jahrtausendwenden

      mit liebevollen Details versehen worden und hatte viel von seiner

      ursprünglichen Zweckmäßigkeit und Kälte verloren. Der Boden aus feinen

      Hölzern wies Einlegearbeiten auf, und dick gewobene Tücher in bunten

      Farben und Mustern bedeckten das grobe Mauerwerk der Wände. Mehrere

      zierliche Regale standen im Raum, gefüllt mit den Büchern und Schriftrollen

      des Volkes. An den farbigen Bändern, mit denen sie verschlossen waren,

      erkannte der Bogenführer, dass es sich überwiegend um Poesie handelte. Er

      konnte das gut verstehen, denn er hatte selbst schon Wache in Niyashaar

      gehalten und wusste, wie sehr es einen Elfen an diesem einsamen Ort nach

      Schönheit verlangte.

      Ein kleiner Schreibtisch stand auf sieben gedrechselten Beinen, sieben

      Stützen, welche die Häuser der Elfen symbolisierten. Schreibzeug lag

      griffbereit neben einer halb geöffneten Schriftrolle. Elgeros entrollte sie, aber

      sie enthielt keinen Hinweis auf das, was hier geschehen war. Er musterte jede

      Zehntellänge des Raumes, fand aber keine Anzeichen von Unordnung und

      keine Brandspuren.

      »Hier gibt es nichts, was das Schicksal der Besatzung aufklären könnte«,

      sagte er missmutig. »Lass uns hinuntergehen und sehen, ob die anderen etwas

      gefunden haben.«

      Doch auch ihre Männer waren auf keine Spuren gestoßen. Das heißt,

      Spuren gab es reichlich, aber keine, die das Verschwinden erklärt hätten.

      Geodas, einer der Elfen, stützte sich auf seinen langen Bogen. »Wir haben die

      beiden Unterkünfte durchsucht. Alles sieht danach aus, als hätten die Männer

      sie gerade erst verlassen, um ihrem Tagesgeschäft nachzugehen. Was auch

      geschah, es passierte am hellen Tag. Die Betten sind ordentlich gemacht, und

      die persönlichen Besitztümer liegen an ihrem Platz. Nur die Männer und ihre

      Waffen fehlen.«

      Keodaros, ein anderer Mann, nickte. »Im Vorratshaus ist es das Gleiche,

      ebenso im Gemeinschaftshaus. Dort sind die Tische für das Essen gedeckt.

      Man könnte meinen, die Männer wären mitten im Mahl aufgestanden und

      hätten Niyashaar verlassen. In einem der Kessel ist Essen verbrannt. Es muss

      schon ein oder zwei Zehntage zurückliegen.«

      »Jedenfalls haben sie den Posten nicht einfach aufgegeben. Denn in dem

      Fall hätten sie Vorräte für den Marsch mitgenommen, und darauf deutet

      nichts hin.«

      »Und außerdem weist nichts auf