Michael Schenk

Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt


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Aus dem Felsendom war ein großes Tal geworden, an dessen einem

      Ende nun die Stadtkuppel lag, nur noch halb verdeckt vom schützenden

      Gestein; eine Veränderung, die sich stark auf das Leben der Zwerge

      ausgewirkt hatte.

      Der Einsturz des Doms hatte viele der Pilzbeete verschüttet, die sich auf

      den Dächern der Zwergenhäuser befanden und die Nahrungsgrundlage des

      Volkes lieferten. Die restlichen Beete waren ungeschützt der Witterung

      ausgesetzt gewesen und zum großen Teil eingegangen. Zwar hatten die

      Zwerge sofort begonnen, die Kristallkuppel zu reparieren, aber es war

      aufwendig, die zerstörten Platten zu ersetzen. Doch schließlich hatte man es

      geschafft; die gelbe Kristallstadt war wieder von ihrer Kuppel umgeben,

      sodass der Regen die Dachbeete nicht mehr überfluten konnte und die

      Eigenwärme der Stadt verhinderte, dass die Pilze weiter unter dem Schnee

      und Eis des Winters litten. Allerdings blieb der östliche Teil der Stadt dem

      Sonnenlicht ausgesetzt, was zu empfindlichen Einbußen bei der Pilzernte

      führte. Daher waren die Bewohner der Stadt bestrebt, sich zusätzliche

      Nahrungsquellen zu erschließen. Denn nur eine ausreichende Ernährung

      konnte zusammen mit der Vermehrungsfreudigkeit des kleinen Volkes dafür

      sorgen, dass Nal’t’hanas seine einstige Stärke zurückerlangte.

      Natürlich hatten die kleinen Männer versucht, Hilfe aus den anderen

      Kristallstädten zu erhalten, denn auch wenn man einander nur selten besuchte,

      so war die Verbundenheit unter den Zwergenvölkern doch groß. Zwei Trupps

      hatten die Zwerge der Stadt ausgeschickt, um Kontakt aufzunehmen, aber

      keiner von ihnen war zurückgekehrt. Vielleicht waren die Männer einem

      Unfall zum Opfer gefallen oder von einem Feind getötet worden.

      Denn über der Erde herrschte Gewalt, seitdem die Häuser der Menschen

      und Elfen im Krieg gegen die Orks des Schwarzen Lords der Finsternis

      standen. Ein Krieg, von dem auch die Kristallstädte des kleinen Volkes nicht

      verschont bleiben würden, wenn der Feind sie entdeckte.

      Weitere Männer auszusenden, erschien dem König der Stadt daher als zu

      riskant; zu leicht hätte ein Trupp ungewollt einen Gegner heranführen

      können. Die Zwerge waren vorsichtig und betrachteten jeden als Feind, der

      nicht ihrem Volk angehörte, etwa die Elfen, deren Land an das Gebiet der

      gelben Stadt grenzte. Diese Wesen waren hochmütig und kümmerten sich

      kaum um die Belange der Sterblichen. Es war besser, ihnen aus dem Weg zu

      gehen, und so hielten sich die Zwerge gut verborgen, wenn ein Trupp der

      Elfen durch die Berge marschierte.

      Bislang war Nal’t’hanas unentdeckt geblieben, aber die Gefahr wurde

      immer größer, denn um ihr Volk zu ernähren, mussten sich die Jagdtrupps

      immer weiter von der Stadt entfernen.

      Seit drei Jahreswenden versuchten die Zwerge nun Felsböcke zu fangen

      und in ihr verborgenes Tal zu bringen. Die Tiere mochten die saftigen

      Dornsträucher, die dort wuchsen, und die Zwerge mochten das saftige Fleisch

      der Böcke; was lag also näher, als sie vor Ort zu züchten? Ein paar hatten sie

      bereits gefangen, aber das reichte nicht aus, um die Herde schnell zu

      vergrößern.

      So war Elmoruks Trupp ausgerückt, um weitere Felsböcke in die Stadt zu

      holen.

      Die Jagd hatte sich gut angelassen.

      In der Nähe fanden sie die Spuren eines kleinen Rudels, denen sie folgten.

      Mehrmals waren sie nahe genug an die Tiere herangekommen, um sie sehen

      zu können. Ein kapitaler Bock mit drei beeindruckenden Hörnern auf der

      Stirn, dazu drei Kühe und zwei Jungtiere. Ein guter Fang, wenn sie die alle

      ins Tal bringen konnten.

      Aber leicht machte es ihnen das Rudel nicht.

      Die vier Zwerge waren nun schon viele Tageswenden auf der Spur der

      Felsböcke. Schon mehrmals hätten sie Gelegenheit gehabt, die Tiere zu

      erlegen. Aber sie wollten sie lebend fangen, und das war bedeutend

      schwieriger.

      Schon vor zwei Tageswenden hatten sie die Ausläufer des Gebirges

      verlassen und unwirtliches Gebiet betreten, die Öde von Rushaan. Aber nun,

      da sie so dicht vor ihrem Ziel standen, wollte Elmoruk die Jagd nicht

      abbrechen. Die Männer bewegten sich wie Schemen durchs Gelände und

      nutzten die Deckung der Felsen, während sie den Spuren des Felsbockrudels

      folgten und sich ihm immer weiter annäherten. Elmoruk und Parnuk gingen in

      der Mitte, die beiden anderen Zwerge in einigem Abstand an den Flanken.

      Diese Männer waren, ebenso wie Elmoruk, erfahrene Axtschläger und sollten

      die beiden Jäger vor Gefahren schützen, besonders Parnuk, der als Einziger

      von ihnen kein Kämpfer, sondern einfacher Schürfer war. Wenn der kapitale

      Rudelführer die Zwerge witterte und keinen Ausweg sah, würde er angreifen.

      Ein Felsbock konnte mit seinen drei ausladenden Stirnhörnern tödliche

      Wunden schlagen, und bevor dies geschah, würde man ihn selbst töten

      müssen.

      Elmoruk hob eine Hand, und die anderen erstarrten. Wieder einmal spähte

      der erfahrene Axtschläger und Jäger über einen der Felsen und sah erleichtert

      das Rudel vor sich. Kaum eine Dutzendlänge entfernt standen die Tiere an

      einem kleinen Wasserloch und tranken. Der Bock hob immer wieder witternd

      den Kopf und sah sich um, aber der Wind stand günstig für die Zwerge.

      Keiner der Männer trug ein metallenes Rüstungsteil oder einen Helm.

      Nichts sollte klappern oder ihre Anwesenheit durch Lichtreflexe verraten.

      Elmoruk nickte Parnuk zu, und lautlos ordneten die beiden Männer die

      Fangnetze, um sich auf den entscheidenden Wurf vorzubereiten. Sie hatten

      sich zuvor abgesprochen. Der Schürfer würde die nächststehende Kuh

      übernehmen und Elmoruk den kapitalen Bock. Wenn es gelang, sie mit den

      Netzen zu fangen, würden die beiden Jungtiere