Aurel Levy

Dschungeltanz


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Sie gingen einfach unter. Afrikaner können nischt schwimmen.«

      »Aber hatten die Eigentümer der Schiffe denn nicht ein Interesse daran, dass möglichst viele Sklaven in die Boote kamen?« Benny, ganz Geschäftsmann, kniff die Augen zusammen.

      »Absolument! Aber was glauben Sie, würde ein Sklave die wochenlange Seereise überleben, wenn er ier schon Schwäsche zeigte?«

      Benny schüttelte den Kopf.

      »Sie sehen, man atte so eine ganz gute Selection.« Papiss fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Aber das Schlimmste kommt noch: Viele von les prisonniers atten ... wie sagt man ... offene Aut?«

      »Wunden?«, half Kai.

      »Rischtisch, Wunden, s'il vous plâit. Diese Unglücklischen wurden zu eine leischte Beute für die Aie. Vor allem für die Grands requins blancs, die große, weisse Ai. Die Leute ier nennen sie bloß les cannibales, die Menschenfresser. Sie kamen mit den Segelschiffen, weil sie genau wussten, dass es gab ier immer eine gedeckte table.«

      Kai schaute den Professeur an. Ich meinte, leise Zweifel in seinem Gesicht zu erkennen.

      Papiss sprach ihn direkt an: »Sie glauben mir nischt? S'il vous plâit, sagt Ihnen vielleischt der Name Cousteau etwas? Commandant Cousteau, le grand exploratuer de la mer?«

      Kai nickte.

      »Dann darf isch ihnen sagen, dass Monsieur Cousteau direkt ier draußen mit seine Calypso gelegen hat, über viele Wochen. Und wissen Sie, was Commandant Cousteau erausgefunden hat, s'il vous plâit? Dass es ier noch eute, isch wiederhole, noch eute es gibt mehr Exemplars von die grand requin blanc, als irgendwo sonst en Afrique.«

      Kai: »Ich dachte, das sei ein Spot in Südafrika. Seal Island, eine Robben-Insel. Dort haben sie auch Haikäfige für die Taucher.«

      »Nono, nonono!« Sangarés ausgestreckter Zeigefinger wackelte hin und her. »Das denken die meiste! En Afrique du Sud es gibt große Geschäftsleute, aber die größten Aie gibt es hier!« Papiss war noch nicht am Ende. »Cousteau at gemacht eine beruhmte Film pour le cinema, sie aben es vielleischt gesehen. Seine Taucher und er aben mit Geräte zum Metallfinden gearbeitet. Sie aben en sable viele Eisenketten gefunden. In mansche, sie können sisch vorstellen, steckte noch Reste von Fußknochen.«

      Sangaré verzog das Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen und sah dabei Daisy an.

      Ich versuchte mir vorzustellen, wie eine Mutti mit ihrem Baby auf dem Arm versuchte, ins Boot zu kommen, während so ein Monster ihre Beine abfieselte, weil sie es nicht rechtzeitig ins Boot schaffte.

      Ich liebe das Meer, aber seit Der weiße Hai ist mein Verhältnis dazu nicht mehr unbeschwert.

      Wir folgten dem Professeur über eine geschwungene Treppe ins Freie. Ich dachte darüber nach, welch glücklicher Fügung des Schicksals ich es zu verdanken hatte, in der heutigen Zeit unter derart geordneten Verhältnissen aufgewachsen zu sein. Zweihundert Jahre früher und ein paar tausend Kilometer weiter südlich und die Nachspeise hätte völlig anders geschmeckt.

      Daisy lehnte an der Brüstung der Freitreppe und blickte gedankenverloren auf die Fassade des Maison des Esclaves. Seltsam – seit ich wusste, dass sie als Ermittlerin beim Landeskriminalamt gearbeitet hatte, hatte ich ein völlig anderes Bild von ihr. Sie war nun nicht mehr nur die nette Copilotin, die nicht auf den Mund gefallen war. Sie hatte eine zusätzliche Facette erhalten. Etwas Geheimnisvolles, Gefährliches. Welcher Film mochte hinter den großen Gläsern der Piloten-RayBan gerade ablaufen?

      »Ich hoffe, unser kleiner Rundgang hat Ihnen gefallen«, sagte der Professeur in bestem Hochdeutsch. »Wenn ja, dann würden sich die Kinder in unserem Waisenhaus sehr über eine Spende freuen.«

      Sangaré holte einen kleinen Leinenbeutel aus der Innentasche seines Jacketts und reichte ihn Kai. Der Beutel war bedruckt und zeigte zwei stilisierte Kinder, die sich unter einem Dach an der Hand hielten.

      »Und ich muss Ihnen noch etwas sagen: Die Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe, ist tatsächlich bloß eine Geschichte.«

      Benny sah den Professeur an, als hätte der ihm gerade ein paar Nasenhaare ausgerissen.

      »Woher können Sie auf einmal so gut deutsch?«, machte ich meiner Verwunderung Luft.

      »Danke sehr.« Papiss deutete eine Verbeugung an. »Ich habe über dreißig Jahre als Taxifahrer in Mannheim gearbeitet, bevor ich in meine Heimat zurückkehrte. Mir war klar geworden, dass Afrika meine Hilfe braucht.«

      »Und die Geschichte gerade eben?«

      »Sie wurde in dieser Form vom ehemaligen Direktor dieses Hauses bis in die späten Neunziger kolportiert. Neueste Forschungen haben ergeben, dass Gorée lange nicht diese Bedeutung für den Sklavenhandel zukam. Überlegen Sie nur, was sollte der Aufwand, die Menschen mit einem Schiff zuerst hier auf die Insel bringen, um sie dann mit einem weiteren Schiff nach Amerika zu verfrachten? Warum nicht gleich direkt vom Festland aus?«

      »Und das mit den Haien stimmt auch nicht, nehme ich an?« Kai lächelte.

      »Nein, mein Freund.« Sangaré klopfte dem fast einen Kopf größeren Kai auf die Schulter. Die Geste hatte etwas Anrührendes. Zwei ungleiche Brüder.

      »Der gute Cousteau und seine Haie müssen immer herhalten, um eine Prise Drama in die Geschichte zu bringen. Du hattest den richtigen Riecher.« Er zwinkerte Kai zu. »Aber die wahre Geschichte klingt dermaßen langweilig, dass man sie niemandem zumuten kann.«

      »Und die Sache mit dem Waisenhaus?«

      »Ist so furchtbar real, dass ich wünschte, ich müsste euch nicht um Geld bitten. Aber es fehlt leider immer noch am Nötigsten und so sind wir auf Spenden angewiesen.«

      »Was haben Sie denn mit dem Waisenhaus zu tun?« Kai klang ernsthaft interessiert.

      »Ich habe es mit finanzieller Unterstützung durch deutsche Freunde gegründet. Ich habe in Mannheim neben meiner Taxifahrerei als Clown Kinderkrankenhäuser und Hospize besucht. Dort kam mir die Idee.«

      »Und wie finanzieren Sie sich, wenn ich fragen darf?«

      »Wie gesagt, den Großteil tragen meine Freunde aus Deutschland. Aber auch diese Führungen helfen, das eine oder andere Loch zu stopfen.«

      Kai hatte seinen Geldbeutel gezückt und ohne großes Aufheben einen braunen Schein im Leinenbeutel verschwinden lassen.

      »Haie ziehen immer. Es sind diese Details, die eine Geschichte interessant machen, nicht wahr? Und ganz gelogen ist es nicht. Unsere Kinder sind auch wie Haie. Zwar werden alle satt, aber sie schnappen nach Zuneigung und Nähe, wann immer sie sie kriegen können.«

      Der Professeur nahm den Leinenbeutel zurück. »Besten Dank, mes amis, das ist äußerst großzügig von euch.«

      Sangaré verabschiedete sich mit Handschlag von jedem und wünschte uns allen eine gute Weiterreise. Er war bereits am Ende der Straße angelangt, als er sich nochmal umdrehte und rief: »Und vielleicht erinnern Sie sich zu Hause an die kleinen Haie von Gorée.«

      Ich sah auf die Visitenkarte, die er uns zum Abschied in die Hand gedrückt hatte. Unter dem Symbol mit den Kindern stand:

      Les petits requins de La Gorée

      Ich hatte eine Weile darüber nachgedacht, was Sangarés Auftritt mit meiner Situation zu tun haben könnte, war aber zu keinem belastbaren Ergebnis gelangt. Nina hatte einmal behauptet, dass einem nichts widerfahre, was nicht irgendwann einen Sinn ergäbe.

      Mag sein, aber welchen?

      Daisy hatte es pragmatischer ausgedrückt: Sangarés Räuberpistole brachte mit ziemlich viel Simsalabim ziemlich wenig Geld. Manche mussten sich eben ordentlich nach der Decke hinstrecken, um ihren Laden am Laufen zu halten.

      Okay, kapiert. Gleich morgen würde ich mich hinter meine Unterlagen klemmen.

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