Aurel Levy

Dschungeltanz


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aneinanderzuklatschen.

      »Ein Mann, ein böser Mann ...« Daisy zögerte. »Der Mann ist böse und ... recht ... oder gerecht. Genau versteh ...«

      Im Augenwinkel sah ich eine Bewegung. Es wurde merklich dunkler im Zimmer. In der Fensteröffnung war wie aus dem Nichts ein Huhn erschienen, besser gesagt ein Hahn. Die Sonnenstrahlen verliehen dem dunklen Vogel eine hell leuchtende Silhouette. Das Tier drehte den Kopf von der einen Seite auf die andere. Mit jeder Drehung wippte der Kamm hin und her.

      Alle starrten auf den Hahn. Dann löste sich ein Schrei. Kein sirenenartiges Ujujujujujuiii, sondern etwas, das ich noch nie gehört hatte. Animalisch und unheimlich, von ganz tief unten. Mit überraschender Geschmeidigkeit war die Alte aufgesprungen und brüllte. So brüllen nur kleine Kinder, deren Aua-Weh seitens der Eltern nicht ausreichend Würdigung findet. Und Menschen, denen der Teufel ausgetrieben wird. Den Hahn schien das nicht zu stören. Er flatterte vom Fenstersims herab und stolzierte auf mich zu. Ein wunderschönes Tier. Dunkelgrün-metallic und keineswegs mager. Urgroßmutter schien dafür kein Auge zu haben. Sie war auf das Bett gesprungen, plärrte und fuchtelte mit ihrem Stock herum. Das Mädchen stand wie versteinert und guckte ihre Uroma mit Augen an, die verzweifelt nach Deutung suchten. Der Gockel war zu mir getappt und hüpfte auf mein Knie.

      »Hey!« Unwillkürlich zuckte ich zurück. Der Hahn legte den Kopf auf die Seite und betrachtete mich. Das war zu viel. Hatte die Alte bislang einfach nur gebrüllt, so stieß sie nun Drohungen und Verwünschungen aus. Gegen den Hahn. Oder gegen mich. Das war nicht zu unterscheiden, weil sie mittlerweile mit dem Stock vor meinem Gesicht herumfuhrwerkte. Plötzlich rauschte das Holz hernieder. Der Hahn hatte den Stock kommen sehen und schlug wie ein Wahnsinniger mit den Flügeln. Für einen Moment sah und roch ich nur noch Federn.

      »Auuuu!« Der Stocks traf mit einem satten Schnalzen auf meine Kniescheibe. Vom Schmerz her so, als wäre ich volle Kante mit dem Knie gegen die Ecke eines Metalltischchens gedonnert.

      Nicht soo gut.

      »Komm, ich glaube wir verschwinden«, sagte Daisy und zog mich am Arm. Wütend gackernd flatterte der Hahn im Zimmer umher, die Alte wie eine Gestörte hinterdrein. Federn stoben, Staub wirbelte auf. Die Sache eskalierte. Nun erwachte auch das kleine Mädchen aus seiner Erstarrung und jagte dem Gockel nach.

      Wir machten uns vom Acker und traten ins Freie. Während ich mein geschundenes Knie massierte, schritt Daisy bereits voran. Ich humpelte hinterher. Wir kamen an der Nachbarsköchin vorbei, die in Richtung Omahütte deutete und sich mehrmals an die Stirn tippte. Ich meinte, feticheuse und plem-plem herauszuhören.

      Kai hatte einen Sauvignon blanc ausgesucht, der wunderbar kühl und frisch schmeckte. Was für eine Wohltat, nach der aufgeheizten Stimmung in der Hütte! Der Wein traf auf leere Mägen und entfaltete dort umgehend seine belebende Wirkung. Der Barsch mundete lecker. Die Knoblauchsalsa hatte die richtige Schärfe und das dazu gereichte Weißbrot knusperte so, als hätte es gerade erst eine Pariser Boulangerie verlassen. Nicht einmal den Sonnenuntergang hätte man kitschiger inszenieren können.

      Daisy gab unsere Arztvisite zum Besten. Hatte ich in der Hütte noch das Gefühl gehabt, dass sie sich über die Aktion ärgerte, so unterstrich sie in ihren Erzählungen die Tollpatschigkeit, mit der wir Dämlacke den beiden Schaustellerinnen auf den Leim gegangen waren. Zusammen mit Kai rätselte sie, in welchem Aggregatzustand der Hahn sich auf dem Abendbrot wiederfinden würde. Die Stimmung wurde so ausgelassen, dass sich sogar Daisy und Benny ein paar Bälle zukegelten. Der Ball, der am längsten im Spiel blieb, hieß Topsi meets Langstock. Es herrschte Einigkeit, dass so etwas nur mir passieren konnte. Und Benny orakelte, dass er mein Faible für ältere Dame an Stock schon während unserer gemeinsamen Grundschulzeit erkannt haben wollte.

      Alle waren glücklich. Nur ich kaute nach dem Essen weiter.

      Der letzte Satz der Feticheuse ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

      ACHT

      Auf dem Weg zurück ins Hotel wollte Benny wissen, was die Beule in Daisys Gesäßtasche sollte.

      »Pfefferspray. In 95 Prozent aller Angriffe das Mittel der Wahl. Wenn es nur darum geht, einen Angreifer loszuwerden und keine Schusswaffen im Spiel sind«, hatte ihre knappe Antwort gelautet. Sie hatte diesen Satz mit einer solchen Selbstverständlichkeit ausgesprochen, dass Benny wissen wollte, ob sie denn schon schlechte Erfahrungen gemacht habe. Daisy hatte gelacht und gemeint: »Allerdings, und nicht nur einmal.«

      So waren wir draufgekommen. Daisy hatte eine Karriere als Polizistin beim LKA Hessen hinter sich. Wurde die jüngste Hauptkommissarin Deutschlands.

      Warum sie dann aufgehört habe?

      »Weil ich die Schnauze voll hatte von testosterongeschwängerten Fehlentscheidungen«.

      In was für einem Bereich sie gearbeitet habe?

      »Kripo«, kam lapidar ihre Antwort. Schien nicht ihr Lieblingsthema zu sein. Ich kannte Daisy zwar noch nicht lange, aber diese Einsilbigkeit passte nicht zu ihr. Sonst redete sie auch, ohne zwischendurch Luftholen zu müssen.

      Benny war nicht unbeeindruckt, auch wenn er das zu verbergen suchte.

      Er wollte nach dem Fischessen noch an die Hotelbar und sich für die Völkerverständigung starkmachen. Mir egal. Ich war schlagartig müde geworden und schaffte gerade noch, die Klimaanlage abzuschalten. Dann schlug ich wie eine gefällte Tanne ins kühle Laken. Ohne Zähneputzen und ohne Abschminken. Ich war dermaßen platt, dass ich mich nicht einmal an die letzten Gedanken vor dem Einschlafen erinnern konnte. Schließlich kamen die Bilder. Die Alte aus der Hütte tobte und sprang mit Schaum vor dem Mund wie eine Furie hinter dem Hahn her. Die Kleine saß auf ihren Schultern und feuerte die Großmutter lautstark an. Daisy zog Handschellen und Erkennungsmarke aus der Gesäßtasche. Ob sie die Frau nicht vorläufig festnehmen solle? Sicher sei sicher. Ich winkte ab. Ich wollte wissen, wie die Sache ausging. Die alte Frau blieb stehen, um sich zu übergeben. Schwallartig brach das Blut aus ihrer Kehle. Sie wischte mit dem Ärmel über die Lippen und geiferte anschließend mit unvorstellbarem Geheul hinter dem Hahn her. Das Blut sammelte sich auf dem Lehmboden. Ich starrte in die Pfütze. Was war das? Das Blut bewegte sich. Langsam schälte sich aus dem Rot ein Gesicht. Kein Zweifel, das war Old Fucking Seizingers Hackfresse. Wie kam der in das Blut der Uroma?

      Natürlich wusste ich es. Ich wusste es seit dem Augenblick, als die Feticheuse in meiner Hand den bösen Mann entdeckt hatte. Daisy war nicht klar, wie sie es übersetzen sollte, aber ich hatte ausnahmsweise mal sofort begriffen. Der gerechte Mann, ein Mann des Rechts. Erwin Seizinger war Oberlandesrichter.

      Noch Fragen?

      Ich träume übrigens immer tagesaktuell. Das kann Fluch oder Segen sein. Kommt ganz drauf an.

      Plötzlich sprang die Tür auf. Benny stand im Türrahmen und fingerte nach dem Lichtschalter. Eine dunkle Gestalt vor dem beleuchteten Hintergrund des Hotelflurs. Zorro, der nicht an seinen Degen rankommt.

      Benny gab ein ungepflegtes »Scheiße!« von sich und ließ sich auf die freie, der Tür zugewandten Seite des Kingsize-Betts fallen. Es war wieder stockdunkel im Zimmer. Ich hörte, wie Benny seine Füße aneinanderrieb. Dann plumpsten nacheinander zwei Schuhe auf den Boden.

      »Hey, Malaka, schläfst du schon?«

      Deutlich roch ich den Alkohol. »Jetzt nicht mehr, danke der Nachfrage.«

      »Hast nix verpasst.«

      »Na, dann bin ich ja beruhigt«, bemerkte ich, während ich mich auf den Rücken rollte.

      »Leiden alle unter Stangenfieber, alle miteinander.«

      »Wer?«

      »Die da unten, an der Bar«, murmelte Benny, »Gazellen unter Stangenfieber.«

      »Was?«

      »Wäre doch ein geiler Titel für einen Hemingway-Roman, oder?«

      »Geht so.«

      Nachdem ich nun schon wach war, konnte