Aurel Levy

Dschungeltanz


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zu enge Toiletten. Kai hatte uns extra in die Toilettenetiquette eingewiesen. Wir hätten mit Daisy eine Dame an Bord. Somit bitte alle Geschäfte im Sitzen und hinterher den Deckel runter, weil es rausmüffele.

      »Siehst du eine Chance, dass du in den nächsten Minuten rauskommst, oder soll ich mir einen Eimer suchen?«

      »Jetzt mach nicht so nen Wind, bin gleichfertig.« Ich warf mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht, wischte die Hände an meiner Frisur ab und verließ die Toilette.

      »Denk dran, brav hinsetzen. Wie daheim.«

      Benny verzog das Gesicht. »Wenns um die ginge,« er deutete mit dem Kopf in Richtung Cockpit, »dann müsste man eigentlich Zielpinkeln von hier draußen machen. Die hat ganz schön Haare auf den Zähnen.«

      »Ist was passiert?« Ich war überrascht. Nach dem Start war Benny im Cockpit geblieben und hatte sich mit Kai angeregt übers Kitesurfen unterhalten.

      »Erzähl ich dir später. Aber du wirst es selbst merken«, sagte Benny und zog die Klotür hinter sich zu. Ich machte die drei Schritte zur Kaffeemaschine und fragte mich, wie alt der Inhalt schon sein mochte.

      Benny hatte sich also schon mit Kais Copilotin in die Haare gekriegt. Dabei hatte sie auf mich eigentlich einen ganz netten Eindruck gemacht. Es passiert eher selten, dass mein Kumpel mit weiblichen Wesen gar nicht kann. Selbst wenn Frauen ihm signalisieren, dass sie seinem Charme nicht erliegen würden, nimmt er das von der sportlichen Seite.

      Egal. So schlimm würde es schon nicht werden.

      Kai hatte nicht übertrieben. Das Cockpit der McDonnel Douglas war wirklich imposant. Riesige Seitenscheiben vermittelten das Original-Enterprise-Feeling. Ich saß hinter Captain Kai Kirk und blickte auf die Lichter der Küstenlinie herab, die in schwärzester Nacht an uns vorbeizogen.

      »Wo sind wir gerade?«

      »Marokko«, antwortete Daisy. »Zwischen Casablanca und Agadir. Da vorne rechts sieht man schon die Kanaren.«

      Ich streckte mich und schaute an Daisy vorbei. Tatsächlich konnte ich einzelne Lichtpunkte erkennen.

      »Und wie weit isses noch?«

      Daisy nahm ihre Navigationskarte vom Clip und breitete sie vor mir aus. Ich kannte diese Karten mit ihren vielen Linien und Zahlen von unseren Piloten. Wie Schnittmuster aus einem Brigitte-Sonderheft für Sommerkleider hatte mal eine behauptet. Es stimmte.

      »Schau mal, wir sind da.« Sie tippte auf eine Stelle im Hellblau. »Marokko zieht sich bis hier runter, dann kommt die Spanische Westsahara, Mauretanien und schließlich der Senegal. Unser Computer behauptet, dass wir um 7 Uhr 28 landen, also in knapp drei Stunden.«

      Daisy lächelte. Ich lächelte zurück. Es hätte mich wirklich brennend interessiert, weshalb sie mit Benny aneinandergeraten war. Daisy und Kai verstanden sich super, und Kai war ein guter Indikator, ob jemand okay war oder nicht. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig. Frauen kann ich wahnsinnig schlecht einordnen. Vor allem im Halbdunkel eines Cockpits. Daisy trug straßenköterfarbene Haare. Vorne kurz, im Nacken länger. Ich glaube, man sagt dazu Pagenschnitt. Oder war das ein Bob? Erinnerte mich jedenfalls an die zeitlose Eleganz unserer Bundeskanzlerin.

      Daisy stammte aus Versmold. Hatte ich noch nie gehört. Kreis Gütersloh, Westfalen. Der Fettfleck Deutschlands, weil das Zentrum der Wurstverarbeitung. Daher habe sie auch ihre Figur. »Viel Pelle, wenig Taille«, ergänzte sie mit einem einen Tick zu lauten Lachen. Daisy lachte ständig, gerne über sich selbst. Es sei wie bei Hunden, hatte sie erklärt, Mischlinge seien nicht die schönsten, aber meist robust und gewitzt. Sie sei auch ein Mischling. Vater Westfale, Mutter Luxemburgerin. Von Papa habe sie die Bockigkeit, von Mama die Freude am Leben.

      »Und du willst Medizin studieren? Kai hat was in der Richtung fallen lassen.«

      »Wollen kann man nicht gerade sagen, aber ja, ich bewerbe mich gerade für das Wintersemester.«

      »Warum machst du es, wenn du es nicht willst?«

      »Weil ich reich und sexy werden möchte.«

      »Aber doch nicht als Arzt«, stieg Daisy auf meine Vorlage ein, »die Zeiten sind vorbei, denke ich. Mediziner müssen heutzutage auch sehen, wo sie bleiben.«

      »Bei mir reicht das Studium. Ich bekomme quasi Zeugnisgeld.«

      »Echt? Cool, von wem? Von deinen Eltern?«

      »Nee, von Oma.«

      »Nicht schlecht. Eine reiche Oma könnte ich auch gebrauchen. Kannst du sie mal fragen, ob sie nicht noch ein süßes, kleines Mädchen adoptieren möchte? Ich kann auch ganz brav sein.« Mit fahrigen Handbewegungen richtete Daisy ihr Haar und versuchte, niedlich zu gucken.

      »Vergiss es! Das nimmt dir keiner ab«, sagte Kai kopfschüttelnd.

      »Meine Oma ist letzten Herbst gestorben. Sie hat testamentarisch verfügt, dass ich das ganze Erbe kriege, wenn ich den Medizin-Doktor mache.«

      »Wie? Und wenn nicht?«

      »Gibt es nur ein Handgeld. Aber ihren Kater darf ich behalten.«

      »Das habe ich ja noch nie gehört. Entschuldige bitte, aber weshalb macht sie das?«

      »Ihr Mann, also mein Großvater, war Arzt mit Leib und Seele. Scheinbar war es ihr ein Bedürfnis, dass ich in seine Fußstapfen trete.«

      »Und ... warst du so gut in der Schule? Ich meine, hast du ein gutes Abi? Medizin hat doch einen NC, oder?«

      »Geht so. Mit Wartesemestern und Medizinertest sollte das schon irgendwie klappen, das ist nicht das Problem.«

      »Sondern? Du kannst kein Blut sehen.« Daisy gluckste.

      Ich stutzte. »Woher weißt du ...?«

      Ich sah zu Kai.

      Der schüttelte den Kopf. »Nee, von mir nich.«

      »Echt, du kannst kein Blut sehen?«

      »So ähnlich. Ich kann es eigentlich schon sehen. Aber es kann passieren, dass ich mich kurz ablegen muss. Jedenfalls manchmal.«

      »Plöd.« Daisy zog die eine Seite ihrer ziemlich vollen Oberlippe hoch. »Stell dir vor, du bist gerade im OP ... wobei, du müsstest ja nicht unbedingt Chirurg werden. Machst halt einen auf Radiologe. Da siehst du gar kein Blut, wenn du dich nicht an einem Röntgengerät anhaust. Oder hat Oma auch die Fachrichtung vorgegeben?«

      »Nein, hat sie nicht. Aber im Studium kommt man um Blut nicht rum.«

      »Klar. Und was machst du dagegen? Kann man das nicht therapieren? Heutzutage gibts doch für alles eine Therapie.«

      »Yep. Genau das mache ich gerade.«

      »Was ist der Stand der Dinge?«, fragte Kai, der sich nach einem Funkspruch an den marokkanischen Fluglotsen wieder einklinkte.

      Ich erzählte von meiner nicht-klassischen Blutphobie, von Prangishvili und ihren Lösungsansätzen. Von der mir bevorstehenden Hypnose, einem Besuch im Schlachthof und dem geplanten Abstecher in die Pathologie.

      Old Seizinger erwähnte ich nicht.

      SECHS

      Der Senegal liegt direkt an der Westküste Afrikas. Seine Hauptstadt heißt Dakar und greift wie ein Enterhaken in den Atlantik hinaus. Man spricht: französisch.

      Mit diesem Schulbuchwissen und einem Klick auf Google-Maps als Vorbereitung hätte ich bei jeder noch so trivialen Quizshow Schiffbruch erlitten. Aber mehr war seit Kais Anruf zeitlich nicht drin gewesen.

      Die Tür öffnete sich und wir wurden von einem lokalen Vertreter der German Imperial Cargo begrüßt. Was mir sofort auffiel: Afrika riecht anders. Nein, bitte, nichts gegen den freundlichen Frachtagenten. Der war so was von frisch geduscht.

      Es war die Luft, die er von draußen mitbrachte. Wie wenn man in eine fremde Wohnung kommt. Da riecht es auch