Aurel Levy

Dschungeltanz


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lag ziemlich im Plan an diesem frühen Mai-Mittwoch. Bis auf ein paar Kleinigkeiten vielleicht. Nichts, was mein Wohlbefinden nachhaltig gestört hätte. Der Himmel leuchtete so unverschämt blau, wie es nur ein Maitag kann. Ein Buchfink trällerte unbeschwert aus den Blüten des Kirschbaums runter. Ich schritt die Stufen zu der Jugendstilvilla empor und blieb vor dem auf Hochglanz polierten Messingschild stehen.

      Priv. Doz. Dr. Dr. Aletta Prangishvili

      Psychotherapeutin

      Gut zwei Monate war es her, dass ich über Frau Doktor Prangishvili gestolpert war. Ich hatte recherchiert und war mehrfach auf ihren Namen gestoßen.

      Sobald ich einen Namen lese, entwickle ich eine gewisse Vorstellung. Aletta Prangishvili. Vor allem der Nachname irritierte mich. Pran---gish---vi---li. So hießen Wunderheilerinnen. Oder Astrologinnen. Überzeugt hatte mich erst der Doppel-Doktor. Den bekommt man nicht einfach so. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Blut trugen ihre Handschrift. Man hatte sie zum ARD-Ratgeber Gesundheit eingeladen und die Süddeutsche hatte ihren Heilungserfolgen einen Seite Drei-Beitrag gewidmet. Prangishvili war im Münchner Raum die Koryphäe, was spezifische Phobien anging. Und mein Blutproblem war in Wirklichkeit eine spezifische Phobie. Ein wiederkehrender Angstzustand, hervorgerufen durch eine einzelne, klar zu benennende Ursache. So ungefähr hatte Frau Doktor es mir erklärt.

      »Grüß Sie, Herr Hentschel«, vernahm ich die mir inzwischen wohlbekannte, süßliche und gleichzeitig rauchige Stimme. Eine Stimme, mit der man Radiomoderatorin wird oder als Fluglotsin die Pilotenwelt durcheinanderbringt.

      »Hallo Frau Doktor ...!« Ich blinzelte. Die Frau mit der Stimme schloss soeben den letzten Knopf einer figurbetonenden Bluse. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie irritierte mich das. »Kommen Sie doch bitte herein«, sagte die Therapeutin.

      »Äh ...«

      Aletta Prangishvili trug einen engen, dunklen Rock, der bis knapp übers Knie ging. Darunter begannen Stiefel, die eine große Frau ins Reich der Modelmaße beförderten. Leicht gewellte Haare wehten in einem satten Rotbraun über ihren Schultern.

      Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich bin nicht so einer, der Frauen auf den Busen glotzt. Ganz im Gegenteil! Ich bin eher der, der sich in einer solchen Situation vornehm abwendet. Aber das ist wie mit Fernsehern in der Kneipe. Früher oder später wandert dein Blick hin. Ob du willst oder nicht.

      »Ja, gerne«, rettete ich mich schließlich aus einer Situation, die kurz davor war, ins Peinliche abzudriften.

      Prangishvili drehte sich um und wiegte sich mit einem wenig zielführenden, gleichwohl absolut sehenswerten Hüftschwung vor mir her.

      »Nehmen Sie sich bitte Kaffee, ich bin gleich bei Ihnen.«

      »Mach ich, danke.« Frau Doktor hatte mich ins Behandlungszimmer geführt, und war durch eine Tür in ein Nebenzimmer verschwunden. Ich war erleichtert, mich mit so viel Geschmeidigkeit aus der Affäre gezogen zu haben und schnaufte rasselnd aus. Wie ein Walross, dem ein Krill quersaß.

      »Der Schalter ist links hinten unten«, hörte ich Frau Doktors gedämpfte Stimme aus dem Nebenraum.

      »Okaayyy! Danke«, rief ich zurück und versuchte, die Piktogramme auf der Kaffeemaschine zu interpretieren.

      »Wissen Sie«, Aletta kam ins Zimmer gesegelt und nestelte am Verschluss einer Perlenkette herum, »im Anschluss an unsere Sitzung muss ich zu einem Treffen des Uni-Beirats. Die Uni soll Geld lockermachen für eine breit angelegte Studie über Menschen, die Angst vor Mobiltelefonen haben.«

      »Verstehe.«

      »Was meinen Sie: eher Stiefel oder Pumps?«

      Die Therapeutin war so nahe an mich getreten, dass ich ihr Parfum wahrnahm. Nicht übel. Ich zog eine Schnute, um besser nachdenken zu können. »Mhhh ...«

      »Vielleicht probieren wir es erstmal hiermit: Espresso, Cappuccino, Latte macchiato ...?«

      »Ähhh ... ein Latte macchiato wäre toll.«

      Prangishvili drückte einen Knopf und mit einem Schnarren nahm das Mahlwerk seine Arbeit auf.

      Kurz darauf saßen wir uns auf einer weißen Designer-Ledercouch schräg gegenüber. Prangishvili hatte die Beine übereinandergeschlagen. Sie hatte sich für die Stiefel entschieden. Ein Tablet lag wie ein Schreibblock auf ihren Oberschenkeln.

      »Dies ist jetzt unsere vierte Sitzung«, begann sie. »Wie geht es Ihnen? Haben Sie das Gefühl, dass wir Fortschritte machen? Oder ist in der Zwischenzeit irgendwas passiert?«

      »Nein, passiert ist nichts. Ich habe mir zwar Mühe gegeben, mich in den Finger zu schneiden, aber das hat nicht geklappt. Das ist gar nicht einfach, wenn man das vorhat. Schwer zu sagen ...«

      »Sie sollen sich nicht absichtlich verletzen, soweit wollen wir gar nicht gehen.« Prangishvili lächelte. »Haben Sie stattdessen versucht, sich an eine der Situationen zurückzuerinnern, in denen Sie so heftig reagiert haben?«

      »Sie meinen die Blutabnahme bei meiner Einstellungsuntersuchung?«

      »Zum Beispiel.«

      »Ja, aber das hat nichts gebracht.«

      »Das dachte ich mir«. Sie legte den Computer zur Seite. »Herr Hentschel, ich muss gestehen, Sie sind ein sehr, sehr spezieller Fall.«

      Na, Bravo, Glückwunsch!

      In meiner Verlegenheit griff ich nach der bereits leeren Kaffeetasse.

      »Oder sagen wir besser: nicht-klassisch. Menschen mit einer klassischen Blut- und Spritzenphobie haben richtiggehend Angst davor, mit diesen Dingen konfrontiert zu werden. Deshalb versuchen sie proaktiv, diese Konfrontation zu vermeiden. Der therapeutische Ansatz sieht folglich so aus, dass man die Patienten unter Begleitung den für sie unangenehmen Situationen aussetzt. Schritt für Schritt steigert der Therapeut die Intensität der Exposition. Man fängt beispielsweise mit Fotos von Verletzungen an, nimmt Spritzen in die Hand, sieht bei einer Blutabnahme zu, bis der Patient sich irgendwann selbst Blut abnehmen lässt. Der Patient spricht über seine Ängste und«, Prangishvili zeichnete Anführungsstriche in die Luft, »gewöhnt sich an diesen Zustand und lernt so, die Situation zu kontrollieren. In den meisten Fällen funktioniert das.«

      »Bei mir aber nicht?«

      »Wie schon gesagt, sie sind ein nicht-klassischer Fall. Sie reagieren zwar auf Blut, aber eher spontan. Und sie reagieren nur physisch, ohne die sonst üblichen Angstzustände.«

      »Klingt nicht so toll.«

      »Ich habe ihre Situation mit einem norwegischen Kollegen besprochen. Ein emeritierter Professor aus Bergen. Ihm sind in seiner Laufbahn zwei ähnliche Fälle untergekommen. Er hat damals den Begriff maskierte Phobie geprägt. Patienten mit maskierten Phobien fehlt das Angstgefühl, sie erleiden aber sehr wohl die begleitenden, körperlichen Auswirkungen wie Übelkeit oder im Extremfall sogar Ohnmachtsanfälle. Äußerst selten, in ihrem Fall aber nicht auszuschließen.«

      »Das heißt, ich habe eigentlich Angst, spüre sie aber nicht?«

      »So ähnlich. Sie können das mit einem Schockzustand vergleichen. Menschen verlieren bei einem Unfall einen Arm oder ein Bein und verspüren keinerlei Schmerzen. Dennoch reagiert ihr Körper auf den Blutverlust. Insofern lohnt es sich, den klassischen Weg weiterzugehen. Zusätzlich würde ich – ihr Einverständnis voraussetzend – gerne ein paar unkonventionelle Methoden ausprobieren.«

      »Unkonventionell?«

      Prangishvili lächelte und sagte: »Keine Sorge, nichts Unanständiges. Aber Sie machen mir einen stabilen Eindruck. Hat man Sie schon mal hypnotisiert?«

      »Nicht, dass ich wüsste.«

      »Gut, dann sollten wir es versuchen. Das mache allerdings nicht ich, sondern eine Kollegin.« Sie griff nach ihrem Tablet und wischte mit dem Finger über den Bildschirm, als ob sie mit Fingerfarben