Aurel Levy

Dschungeltanz


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zu verstehen. Das »Nai warries, macka!« des Barkeepers hatte ich so ausgelegt, dass er nichts dagegen habe. Was ein Glück! Der Typ sah aus wie Wayne Rooneys großer, böser Bruder. Alle, die nicht das Schwein haben, einen Premier League vernarrten WG-Partner ihren besten Kumpel zu nennen, darf gesagt sein, dass es sich bei Rooney um den englischen Top-Stürmer handelt. Ein typisch britischer, bulliger Bad-Guy, dessen Liverpooler-Herkunft ihm nur zwei Möglichkeiten ließ: Pitbull-Züchter oder Fußball-Profi.

      Ich nahm einen Schluck Guinness und vermischte ihn mit der Kastanienmasse, die bereits in meinem Mund wartete. Nichts, absolut nichts auf der Welt schlägt diese Geschmackskomposition! Wie Ambrosia tätschelt das zartbittere Guinness die Kastanie und unterstreicht ihre süße, malzige Note.

      Gewiss wären mir noch plakativere Beschreibungen eingefallen, hätte mich mein Mobiltelefon nicht geschmerzt. Ich nahm es aus meiner Gesäßtasche. Aus der Schutzhülle des Telefons ragte die Stinktierkarte heraus. Ich zog daran und musste augenblicklich lächeln. Ach ja, Nina. Vielleicht würde sie mich auf meinen Grabungsreisen begleiten? Ich sah mich bereits die Winter in Ägypten verbringen. Sandfarbener Tropenanzug, leichte Wüstenstiefel, Hemd hochgekrempelt. Auf einem Grabungshügel stehend Anweisungen an die Ägyptischen Vorarbeiter verteilend. Nina, die Sonnenbrille im Haar, stolz zu mir heraufschauend ...

      Man macht sich keine Vorstellung, wie schnell man drei Pints englisches Bier trinken kann, wenn man gut drauf ist. Und wenn man gut drauf ist, geht alles viel leichter. Ich hatte es gar nicht richtig mitbekommen, aber das Pub hatte sich gefüllt. Bevor ich mich zusah, hatten sich zwei Londonerinnen zu mir gesellt. Schätzungsweise, um sich auch ein Feierabendbierchen zu genehmigen. Ich bin kein ausgesuchter Kenner der Materie, aber die beiden waren einen Tick älter als ich. So ein paar Jährchen, Mitte, Ende dreißig vielleicht. Sie zeigten sich erfreut über meinen Dialekt und ließen mich an landestypischen Sinnsprüchen und Weisheiten teilhaben. Nach jeder Lebensklugheit lachten sich Maggie und Ellen über mein »Prost!« schlapp. Irgendwann tranken wir Brüderschaft. Im Anschluss erklärte mir Maggie mit klebriger Zunge, dass man in London horrende Hotelpreise zu bezahlen habe. Hotelbesitzer in der City müsste man sein, da hätte man ausgesorgt. Ich stimmte in ihre Litanei ein: »Verdammt, ja, voll der Diebstahl!«

      Diese grässliche Wegelagerei dürfte man keinesfalls unterstützen, bekräftigte Ellen.

      »Vollkommen richtig!«, warf ich ein, schließlich hätte man als Verbraucher die Macht und alle Trümpfe in der Hand. Erneut musste ich Brüderschaft trinken, wieder mit beiden. Dabei rutschten Maggies Lippen rein zufällig ab und so pflatschte ein ausgesprochen feuchter Kuss direkt auf meinen Mund. Ihrer Zunge konnte ich soeben noch ausweichen. Nun setzte Ellen nach. »Überhaupt gar kein Problem! Kannst gerne bei uns schlafen.«

      Wie jetzt? In ihrer Bude übernachten?

      Im Nachlauf muss ich zugeben: Man hätte die Signale vermutlich erkennen können. Aber ich saß doch noch immer – nichts Böses ahnend – auf meiner Archie-Wolke!

      »Ohhh, welch reizvolles Angebot!«, flötete ich. Allerdings würde mich so viel Großzügigkeit beschämen und außerdem wäre das Geld sicher schon von meiner Kreditkarte abgebucht.

      Natürlich ließen sich Maggie und Ellen nicht mit derart billigen Ausreden abspeisen. Zur Strafe musste ich ein drittes Mal Brüderschaft trinken. Ihre WG sei der Wahnsinn und sie teilten sich viele Dinge schwesterlich, nicht nur die Wohnung, versicherte mir Maggie mit einem Lächeln, das mir die ganze rosarote Pracht ihres Zahnfleischs offenbarte.

      Ich schluckte. Echt oder?

      Eine Stimme tief in meinem Inneren mahnte, dass es allerhöchste Zeit war, ein geeignetes Abschiedszeremoniell einzuläuten. Schließlich weiß man von Engländerinnen die wildesten Stories. Selbst Benny meinte vor meiner London-Reise, ich sollte mit dem englischen Bier aufpassen. Oder hatte er Frauen gesagt? Jedenfalls kennt er mich schon länger. Und weiß, dass sich bei mir im Glanze des Alkohols quietschnormale Butterblumen zu verschwenderisch duftenden Orchideenblüten entfalten. Und das wiederum würde dem zarten Pflänzchen Wir beginnen eine Beziehung mit Nina gar nicht gut tun.

      In Novosibirsk hatte ich in einer ähnlich aussichtslosen Situation ziemlich erfolgreich eine hochansteckende, nässende Gürtelrose vorgeschoben. Mist, was mochte das bloß auf Englisch heißen? Highly infectious sucking belt-rose? Nicht, dass der Schuss nach hinten losging. Während die beiden Diven mich fleißig zuschnäbelten, warf mir Wayne einen Blick zu, den ich als aufrichtig bewundernd einsortierte. Umso überraschter war ich, als er mich kurze Zeit später zum Ende des Tresens ans Telefon holte. »Dave is calling.«

      Wer zum Teufel war Dave? Wayne ließ mir keine Zeit zum Grübeln. Er presste mir den Hörer ans Ohr. Ich musste so tun, als ob ich geschäftig in die Muschel plapperte. Während seine Kollegin meine Damengesellschaft ablenkte, erläuterte Wayne mir die Lage. Ich verstand nicht alles, außer dass ich sein »mate« sei und »never out of this game« kommen, er mich jedoch bei den ladies »apologizen« würde. Er schob mich durch die Küche zum Hinterausgang. Jetzt begriff ich. Nachdem ich Wayne zum Dank innigst umarmt hatte, stand ich Sekunden später auf der Straße. Leise dampfend verlor sich mein Atem in der Londoner Januarnacht. Nicht ganz die feine englische ... aber ich war raus. Na also, wenn es läuft, dann läufts. Voll das Stinktier! Ich krempelte meinen Jackenkragen hoch und tippelte die Straße hinab.

      Es war ein richtig schöner Abend. London ist eine großartige Stadt. Und Engländerinnen sind saunett. Aus manchen könnte man bestimmt voll schicke Mumien machen.

      DREI

      Vier Monate waren mittlerweile vergangen, seit ich die Ägypten-Ausstellung besucht hatte. Oft reichen kleine Anstöße, damit man sein Leben ändert. In meinem Fall war Archie, der Ausgräber, das Zünglein gewesen, das an meiner Waage gefehlt hatte. Dass er mir ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt begegnet war, konnte kein Zufall sein. Und so war ich gleich nach meiner Rückkehr aus London zu Doktor Smoltaczek marschiert und hatte das Erbe angetreten. Mit allen Konsequenzen. Das Haus, ein bisschen Geld jetzt, der große Happen mit dem Doktortitel. Oft sind die raschen Entscheidungen die besten.

      Seit diesem Tag tickte die Uhr.

      Hausmäßig hatte sich in den vergangenen Monaten einiges getan. Laut Gutachter war ein 900-Quadratmeter-Grundstück selbst im uncoolen Münchner Stadtteil Feldmoching ein kleines Vermögen wert. Egal, wie baufällig die Bruchbude war, die darauf stand. Vom jetzigen Erbteil blieb gerade genug Geld, um eine gescheite Heizung und neue Fenster einbauen zu lassen.

      Benny war sofort Feuer und Flamme gewesen für meinen Vorschlag, die dufteste WG im Münchner Norden aufzuziehen. Der Deal lautete: Wohnung gegen Arbeit. Benny half mir, das Haus auf Vordermann zu bringen und bekam im Gegenzug unbegrenztes Wohnrecht.

      Wir legten uns mächtig ins Zeug. Schliffen Holzböden ab und strichen Türen, kratzten alte Tapete von den Wänden und ließen uns auf das Abenteuer Ikea-Küche ein. Die Einweihungsfeier war eine Wucht. Ich weiß nicht, woher Benny die alle kannte, aber über eine zu geringe Frauenquote musste sich auf unserem Fest niemand sorgen.

      Doch auch für Benny bedeutete das Erbe nicht nur Rosinenbrötchen. Die Geschichte hatte einen Haken: Großmutters verzogener, unkastrierter Kater. Kasimir betrachtete sich als Herr im Haus und zeigte sich wenig erfreut, dass ihm mit Benny ein zweites Alpha-Tier diesen Platz streitig machen wollte. Der Kater war ein Meister der psychologischen Kriegsführung. Seine Spezialität: Wollte sich Bennys nächtlicher Besuch noch eben frisch machen, schoss ein dunkelgraues Monster wild fauchend vom Wäscheschrank herab und zischte an den Damen vorbei aus dem Bad. Oder er krallte sich deren Unterwäsche und spielte für den Rest der Nacht damit Fang die Maus! Bennys Antwort lautete: Anti-Katzenspray und Hausverweis. Auch wenn ich mit Hingabe an einem Friedensplan arbeitete, steuerte die Sache auf eine Eskalation zu. Es war lediglich eine Frage der Zeit.

      Zeitgleich mit der Aufhübscherei des Hauses hatte ich mich wegen des Medizinstudiums schlaugemacht. Infolge meiner begrenzten Anzahl an Wartesemestern und einer Abiturnote von 2,3 müsste ich beim Medizinertest ordentlich performen, um in München oder Regensburg einen Studienplatz zu bekommen. An andere Städte mochte ich vorerst gar nicht denken.