Norbert Johannes Prenner

Wir sind Unikate, Mann


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sie am eigenen Leib erfahren, was eine Tretmühle ist, erzürnte er sich.

      Arno lehnte sich entspannt zurück. -Trotzdem lass‘ ich mir meine gute Laune davon nicht verderben. Nun habe ich endlich wieder einmal Zeit für mich, sagte er.- Und? Was wirst du tun?- Vorläufig einmal nichts. Das muss ich erst lernen. Nach fünfundzwanzig Jahren Müh‘ und Plag ist man so was nicht gewohnt, glaube mir. Stumm starrten sie eine Zeit lang durch die große Auslagenscheibe vor ihrem Tisch auf die belebte Straße. Ein Tag wie jeder andere. Warum nicht? Besondere waren selten. Also musste man sehen, wie man mit diesem zurechtkam. Arno durchbrach die Stille. - Es haben sich einige Kunden beschwert, meinte er emotionslos.- Wie ich immer zu sagen pflege, man kann es niemandem Recht machen, reagierte Caro gelassen. Ich spüre selbst schon den Stiefel in meinem Rücken. Es gibt einen neuen Programmdirektor. Auch so ein junger Spund.

      Kommt hier hereingeschneit und denkt, er müsste den ganzen Sender mit seinen schwachsinnigen Ideen revolutionieren. Denkt, er is´ was Besonderes. Denkt ohnehin ein jeder von sich! Im Grunde hat er keine Ahnung vom Tuten und Blasen. Na ja, vom Blasen vielleicht, so wie der aussieht, die kleine Tunte, hähähähä!, machte er, und verzog dabei den Mund. Arno schien momentan weit weg in Gedanken. Caro verfolgte Denise mit lüsternen Blicken die sie zu erwidern schien, wenn sie von Tisch zu Tisch schwebte. Er war sich seiner Sache todsicher und zündete erneut eine Zigarette an Plötzlich zog er seinen Notizblock aus seinem Sakko und schrieb ein paar Sachen auf.- Fällt mir eben ein, wandte er sich Arno zu. Die haben gesagt, wegen des bisschen Cadmium und Quecksilber sollte man sich in Qingdao nicht ins Beinkleid machen, es gibt Schlimmeres.

      Das sollten unsere Grünen hören, was? Blöd ist nur, wenn du dort ins Wasser fällst. Das Gelbe Meer heißt angeblich deswegen so, weil man davon Gelbsucht kriegt, wenn du hinein fällst, hähähä. Arno gähnte. - Echt! Ich möcht‘ dort nicht segeln gehen. Colibakterien, Enterokokken, Pseudomonas aeruginosa und solche Sachen schwimmen da drin herum. Pfui Teufel! Schlecht könnt‘ einem werden. - Musst ja nicht kosten davon, meinte Arno gelangweilt.- So hör‘ doch! Weißt du, was Kentern ist? Bist du jemals gesegelt? Ich sage dir, man ist schneller über Bord, als man denken kann. Ich schwör’s dir, dass dich die eigene Mannschaft eher ersaufen lässt, als dich so verseucht wieder an Bord zu holen, echt!- Spinn nicht! entgegnete Arno kühl.- Mit dir hab‘ ich es heut‘ nicht leicht, nein, nicht leicht, Mann, stöhnte Caro.

      Arno angelte sich eine Tageszeitung und blätterte darin. - Treu sein, das kann ich nicht, summte Caro leise vor sich hin, Denisens Tätowierung über dem Hintern scharf im Auge behaltend, und meinte, die Zigarette nach Humphry Bogart Art im Mundwinkel: - Die Jugend heutzutage ist doch völlig verblödet, was? Fragt neulich eine Redakteurin einen Typen, hej Mann, auf dem Plakat da draußen steht, der Joint ist indisch, die Liebe französisch. Was heißt das? Und? Was antwortet der? Keine Ahnung Lady, ich bin Religionsstudent und völlig zu. Sagt irgendeine Tussi hinter ihm, das ist vielleicht OK, wenn einer Joints mag! Hähähähä, ticken die noch richtig? Die können nicht mehr denken, sag‘ ich dir. Keine Ahnung von, wie unser Lateinprofessor zu sagen pflegte, der alte Nazi, Arno, was ist? Bist du noch bei dir? Übrigens, kennst du den?

      Ein Girl nennt ihr Baby Kolibri. Fragt ein Bekannter, hey du, was is´n das für´n Name? Sagt sie, das kommt daher, dass ich nicht weiß, ob es vom Kohlenhändler, vom Lichtkassier oder vom Briefträger ist. Hahhahaha!, und er bog sich vor Lachen.- Sehr witzig! Arno atmete tief durch, legte die Zeitung weg und wandte sich seinem Freund mit den Worten zu: Caro Ass, ich sag‘ dir was, sterben möchte‘ ich vor Langeweile, tot umfallen. Wieso machst du nicht einmal eine ordentliche Kultursendung? Könnte ihr nicht ein bisschen kritischer sein in der Auswahl eurer akustischen Dauerbombardements? Ein wenig Wetter, ein bisschen Verkehr, der Rest bloß unnötiges Geschwätz über dies und jenes. Ihr glaubt wohl, euer Publikum besteht ausschließlich aus Idioten, oder? - Ja, das glauben wir, lachte Caro. Die Anrufe bestätigen unsere Programmauswahl, ehrlich! Was willst du eigentlich von mir?

      Soll ich Oper machen oder was? Du hast keine Ahnung, was die Leute wollen! Wir richten uns danach, was verlangt wird, verstehst du?- Und das wird verlangt? Das kannst du mir nicht erzählen. Vierundzwanzig Stunden lang Schwachsinn, Mann? - Immerhin, man kann auch abschalten!- Ach ja, sagte Arno leise. Diese Option hätt‘ ich beinah vergessen. Mit einem Handzeichen machte er sich der Serviererin bemerkbar, die sogleich herbeieilte, und bestellte nun doch vorsichtshalber einen Prosecco. Was war von diesem Tag noch zu erwarten? - Sag‘ ich ja! Du hast nichts zu verlieren? Ich bin von vier bis fünf auf Sendung. Danach kehren wir hierher zurück, schnappen uns Denise- Mäuschen und fahren mit ihr hinaus ins Grüne. Oder? - Mich lass‘ aus dem Spiel. Hast du gestern den Film mit der Dingsda gesehen?- Zufällig. Zwischen Geschirrabwaschen und Staubsaugen, lachte Caro.- Ich bin entsetzt, sagte Arno.

      Was muss ein Drehbuchautor für einen Stress haben, in ein einziges Drehbuch so viel gesammelte Scheiße zu packen, wie einem nicht einmal in ein paar aufeinanderfolgenden Leben widerfahren kann? Abgesehen von der Arroganz der Hauptdarstellerin, noch dazu ständig die berühmte Mama kopieren zu wollen. Peinlich das Ganze, echt. Ein so ausgeklügelter Mist wird auch noch verfilmt! Es überrascht einen nicht mehr, dass die eigene Mutter mit dem zukünftigen Bräutigam der Tochter pennt, dass die Rivalin ermordet und die Leiche verbrannt wird, das schicke Töchterlein nebenbei auch noch schwanger ist, selbstverständlich eine schwierige Schwangerschaft, klar! Und das alles in einem einzigen Film, ich halt’s nicht aus! Und ich finde den Aus-Knopf nicht! Caro grinste und sah Arno von der Seite an. - Du solltest dir deine Erregtheiten bis übermorgen aufheben, wenn Constance wieder zurückkommt. Findest du nicht? bemerkte er zynisch.

      Kapitel 3

       In der näheren Umgebung

      Das Haus, in dem Arno wohnte, stammte aus den Aufstiegsjahren zur Metropolstellung dieser Stadt, einer Zeit, in der ebenso die zweite Hochquellenwasserleitung als auch die Stadtbahn erbaut worden war, die längst dem modernen U-Bahnprojekt Platz gemacht hatte und deren rote Zuggarnituren in seiner Erinnerung ebenso rasch auf- und untertauchten, wie sie in den zahlreichen im Oberbau geführten Teilabschnitten auch schon wieder in den unergründlichen Katakomben ihrer Tunnelöffnungen verschwunden waren, höhlenartige Löcher der legendären Stadtbahnbögen, in die er als Kind stunden-, ja, tagelang gestarrt hatte wenn es der Regen nicht zuließ, dass man auf die Straße durfte, um darauf zu warten, wann denn endlich der nächste Zug aus dem gespenstischen Backsteindunkel auftauchen würde, dem immer ein sirrendes Geräusch und erst wellenartige Bewegung der Oberleitung vorausgegangen waren, was ihn aufs Äußerste zu fesseln vermocht hatte.

      Dieses Haus hier aber hatte zwei Weltkriege überlebt, relativ unbeschadet, friedlich eingebettet zwischen Barockem und Gründerzeit, mit vier Erkern auf die Straße vorn raus und einem feuchten, dunklen Garten an der rückwärtigen Front und nicht nur dieses, sondern die meisten ihrer Bauart standen in krassem Gegensatz zum plötzlichen Paradigmenwechsel der Zwischenkriegszeit und ihren Wohnbauprogrammen, so wie jener Gemeindebau mit Durchhauscharakter an der Ecke der Quergasse, trauriges Relikt profanen Strukturdenkens. Diese Gasse also, alles andere als verkehrsberuhigt, bot mit seinen kleineren Häusern in diesem Abschnitt ein beinahe ländliches Wohngefühl, mit dem Obst- und Gemüseladen, dem Frisörladen, der Trafik und immer denselben Menschen, denen man täglich begegnete.

      Arno genoss die Nähe dieser Menschen ebenso wie die der City und ihren zahlreichen Parks, die Nähe der Bildungs- und Kultureinrichtungen mit ihren Angeboten, die er von Zeit zu Zeit auf seine Weise für sich zu nützen pflegte. Die Wohnung in jenem Hause, in der zuvor ein jüdisches Ehepaar gewohnt und in derselben ein stattliches Alter erreicht hatte, und, nachdem die nationalsozialistische Gemeindeverwaltung es sich auf geniale Unart erspart hatte, ihre angekündigten Wohnbauprogramme auch durchzuführen, indem sie ganz einfach die Wohnungsnot durch die Vertreibung der Wiener Juden eben auf ihre Art gelöst hatte, dieses Ehepaar also dem Holocaust Gott sei Dank entgangen war, schien ihm günstig zu sein, dazu noch großzügig angelegt, mit Stuckdecke und dreifenstrigem Erker, Wohn- und Nebenzimmern, Küche und WC, jedoch ohne Badezimmer ausgestattet.

      Nachdem Arno eingezogen war, hatte er einen Benjamin in den Erker gestellt, der begierig seine Äste nach allen Seiten der Fenster ausgebreitet hatte, so, als wollte er ihm zeigen, wie wohl er sich hier fühlte und