Norbert Johannes Prenner

Wir sind Unikate, Mann


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bestäti-gen, dass neben viel heißer Luft aus der tollpatschigen Feder chillender Jungzicken nicht mehr als eine Kollektion autistisch empirischer Selbstverherrlichung herauszuholen war, diese zwar nicht einer gewissen Ehrlichkeit entbehrte, im Grunde aber doch verschwiegen und noch dazu arrogant und abgehoben wirkte, den genervten Leser in einem hoffnungslosen Gefühl nie enden wollender Partygeilheit zurücklassend, mit der traurigen Message, wenn man nicht alles auf diversen Festen getroffen und mit diesem oder jenem die Nacht ganz einfach durchgemacht und abgetanzt hätte. Daran fügte sich das endlose Geschwafel über den permanenten Jobwechsel, hier konnte er möglicherweise auch mitreden, und wer mit wem wann wo und wie lange irgendetwas hatte und dass der Dings da ohnehin andauernd besoffen wäre.

      Dass aber die Rolle der neuen Frau auch nur im Entferntesten mit ihrer ureigensten Funktion im Sinne des Mutterseins etwas zu tun haben könnte, blieb völlig ausgespart und es entstand, wie so oft schon, wieder einmal der Eindruck, es handle sich dabei ausschließlich um Menschen, die nicht nur auf dem Niveau infantiler postpubertärer Eingleisigkeiten hängen geblieben waren, sondern sich dummdreist und scheinbar unbekümmert auch noch zur Maxime gemacht haben, selber bloß nicht auch nur im Geringsten zu altern und noch dazu das Recht für sich in Anspruch genommen, ewige Jugend auf Dauer gepachtet zu haben. Arno lehnte sich zufrieden zurück und las, was er geschrieben hatte, mit Wohlgefallen durch. Aber es genügte ihm nicht. Es war ihm noch zu einseitig und er holte sich, nachdem er wahllos im Manuskriptstapel auf Constances Schreibtisch gewühlt hatte, einzelne Blätter zu sich herüber und begann darin zu lesen.

      Nach einiger Zeit aufmerksamen Lesens kam Arno zu dem Schluss, dass heutige Helden irgendwie alle neurotisch wären, wie auch deren einziger Antrieb auf Schuldgefühle, traumatische Gewalterlebnisse oder kaputte Vaterbeziehungen zurückzuführen seien. Arno hielt inne und überlegte, wäre er eine Held, zu welcher Sorte eigentlich er gehörte, und kam zu dem Schluss, dass nichts davon auf ihn zuträfe, obwohl er sich auch nicht im Gegenteiligen aufgehoben zu fühlen glaubte, war er doch alles andere als der durch nichts erschütterbare Sunnyboy. Die Wirklichkeit und deren Umsetzung in einen Text, welcher er selbst nachzujagen gedachte, war für die meisten ohnehin nicht mehr skurril genug und verlangte ganz einfach nach mehr.

      Das Theater wie auch der Film, meinte Arno, lebten schließlich davon, dass man sich lustvoll entsetzen oder auch empören konnte und stellte in weiterer Folge das Phänomen einer Art Gottgewolltseins in Zusammenhang mit dem eigenen, persönlichen Leid infrage, indem er heftig daran zu zweifeln begann, dass Weltgeschichte und Heilsgeschichte eins sein konnten, sodass er für sich festgestellt haben wollte, dass jeder allein seines eigenen Glückes Schmied sei.

      Was verlangte jener Gott denn von einem, das man tun sollte oder seinetwegen nicht tun sollte?, fragte er sich grübelnd und was könnte die aktuelle Textkultur noch vorm drohenden Untergang durch Langeweile aufgrund ihrer dramatischen Bewusstlosigkeit, Darstellungen von Wahrnehmungen mit zusammenhanglosen Bildern und Gefühlsduseleien zuzuknallen noch retten, wenn sie, ähnlich wie in einem schlechten Vortrag eines Klavierstückes, ohnehin schon unklare Passagen mit dem Pedal zum Verschwimmen gebracht, dem Zuhörer fehlerlos perlenhaftes Ablaufen chromatischer oder diatonischer Skalen bloß vorgaukelt wurde?

      Und Arno begann ein Weltschmerz zu erfassen, unter dessen bohrendem Wundbrand er sich zu fragen begann, wo denn die großen Geister dieses Jahrhunderts geblieben waren, solche zumindest, die imstande gewesen wären, Heerscharen von Interessenten anzulocken und sie gekonnt in unheilbare Lesenadel-Abhängigkeiten zu ihren Protagonisten zu ziehen, solche, die den Menschen in ihrer Dichtkunst neu erfinden konnten und die es geschafft hätten, sich über die ewig öden stationären und temporalen Gegebenheiten hinwegzusetzen und über ihre Zeit hinaus zu wachsen imstande gewesen wären, die dem Leser durch ihre schriftstellerische Virtuosität beweisen konnten, dass es doch noch einen Ausweg gäbe, aus dem selbst erbauten Gefängnis aus Ökonomismus und Populismus und autoerotischer, journalistischer, politischer und neoliberaler Infiltration, und doch irgendwann zu etwas Neuem gelangen würden! Aber – nichts, da war – nichts! Oder zumindest nicht viel.

      Kapitel 6

       Der Tag, an dem Constance nicht zurückkam

      Es war ein unauffälliger Morgen wie tausende andere davor auch schon, als Arno Kaffee machte, aus dem Fenster sah und überlegte, wie er einem seiner engeren Freunde, dem frechen Philosophen, der zuerst Maler sein wollte, dann Architekt, dann wieder Philosoph und schließlich dann doch wieder Maler, eine aufs Maul hauen konnte. Aber ohne dass dessen künstliches Gebiss Schaden genommen hätte, weil er ihn, Arno, in letzter Zeit ständig großkotzig nur mit „Junge“ anzusprechen pflegte, nach Vorbild dessen verdammter preußischer Verwandten, die ihn, Arno, einen Dreck kümmerten, und er ihm in letzter Zeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben anschickte, diesen seltsamen Vorgängen, offensichtlich Ergebnis einer möglicherweise überstrapazierten Freundschaft, galt es, dringend Einhalt zu gebieten und ihn vorzuwarnen, seine Prügelphilosophie in Zukunft unterlassen zu wollen, weil es durchaus ganz leicht sein könnte, dass er ihm in einem unbeherrschten Augenblick einen, trotz seiner zarten Hand, kräftigen linken Schwinger aufs Kinn versetzen mochte, an dessen Folgen möglicherweise beide zu leiden gehabt hätten, Arno an einem gebrochenen Mittelhand- oder Fingerknochen und er, der Philosoph, möglicherweise an einem ziemlich ramponierten Kinn.

      Überdies hätte dies das Ende einer Jahrzehnte langen Freundschaft bedeutet, und das wollte Arno wiederum auch nicht, also nahm er sich vor, den schmissigen Philosophen in nächster Zeit ganz einfach nicht mehr aufzusuchen, denn ihre Beziehung hatte sich in gewisser Weise sehr einseitig zu entwickeln begonnen, sodass eine vorübergehende Trennung wohl das Beste wäre. Die Frage war bloß, wie Constance sich in dieser Sache verhalten würde, denn sie pflegte ein bisher ungetrübtes Verhältnis zu diesem Herrn.

      Just an diesem Morgen also rief Constance aus Paris an und teilte Arno mit seltsam befremdeter Stimme mit, dass sie nicht mit dem Mittagsflugzeug kommen würde, weder heute, noch morgen und in nächster Zeit überhaupt nicht, was Arno, der tagelang nicht nur wie ein Irrer aufgeräumt, sondern auch gewaschen und gebügelt hatte, ziemlich in innere Aufruhr brachte, sodass er angespannt, und nachdenklicher als zuvor über die noch unbehandelten Böden fegte, das Geschirr in den Spüler knallte, die Fenster, um zu lüften, sperrangelweit aufriss und danach Tag und Nacht offen ließ und schließlich, völlig außer Atem und in Schweiß gebadet, seinen Freund Caro anrief, um, nachdem dieser nicht ans Telefon ging, wie ein Irrer in die Garage zu laufen, das Auto zu besteigen und in Richtung Stadtgrenze los zu brausen, wo er diesen mit hundertprozentiger Sicherheit in seinem Stammheurigen anzutreffen hoffte.

      Erst als er eine der zahllosen Ampeln bei Rot überfuhr, von einem freundlichen Autofahrer darauf aufmerksam gemacht mit den Worten – Du Arschloch! - wurde ihm bewusst, dass er schon längere Zeit nicht bei der Sache war, und ihm war, als würde sein Fahrzeug von einer fremden Macht seinem Ziel entgegen gesteuert. Geistesgegenwärtig riss er das Steuer noch rasch zur Seite, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Verunsichert blickte er in den Rückspiegel. Gott sei Dank, keine Polizei in der Nähe, nur der erhobene Mittelfinger des Lenkers hinter ihm, disziplinierende Instanz quasi. Auch egal, dachte Arno und nahm sich vor, von nun an konzentrierter zu fahren und er begann, gewisse Bedenken gegen sich selbst zu erheben, ob es verantwortbar sei, jemanden wie ihn noch anderen Verkehrsteilnehmern zuzumuten, wie er sich gleichzeitig auch darüber wunderte, dem unfreundlichen Dahinter in seiner überdimensionalen Abgas schleudernden Allradkarre nicht gleich gekontert zu haben, was er ja sonst immer lautstark zu tun pflegte, überhaupt wenn jemand schon so ein teures Modell fuhr und er von einem solchen Fahrer zu allem Übel auch noch gedemütigt wurde.

      Gleichzeitig aber zweifelte er an der Angemessenheit seines Benehmens, dachte an bestimmte Situationen der letzten Zeit im Zusammenhang mit jener Gesellschaft, in der er sich, wenn er nicht gerade „eremitierte“, die meiste Zeit befand, immer dann, wenn er mit seinen unpassenden Aussagen provozieren wollte, auch in Briefen etwa, in Gesprächen oder sonst eben. Denn manches, was er in solchen Situationen ohne viel nachzudenken einfach nur so dahin sagte, oder schrieb, war noch dazu oftmals notorisch verwirrend, wie - wie Vorträge eines Einzelgängers, ja, so kam es ihm jetzt vor. Und auf seine Frage, was denn so plötzlich dazwischen gekommen wäre, hatte Constance einfach