Urs Rauscher

Die Zweitreisenden


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und machte sich auf dem Fernseher fantastisch. Aus den mannshohen Boxen dröhnte feinster Metal im 7.1-Ton. Diese Anlage reichte für Musik vollkommen aus. Für Filme hatten sie ein 11.1-Auro-System mit Deckenlautsprechern. Aber das war im Kinoraum im Keller, wo auch der 4K-Projektor stand. Vielleicht würden sie sich später noch einen epischen Schinken in vierfacher Full-HD Auflösung ansehen, aber zunächst bedrückten sie andere Sorgen.

      Sie durften nicht vergessen, ihren Dealer anzurufen. Außerdem musste der Escort-Service über ihre neuen Lieblings-Hostessen informiert werden. Zu guter Letzt mussten sie noch das Adlon anrufen, damit der dortige Restaurant-Service ihnen panierte Schnitzel brachte. Sie würden bald einen Manager brauchen, so viel war sicher.

      Aber jetzt drängte sich noch etwas Anderes in den Vordergrund. Auch Martin begriff, dass es nicht nur im Moment wichtiger war als die Alltagsgeschäfte, sondern dass es auch in der Lage war, die Anstrengungen um die Annehmlichkeiten für immer zunichte zu machen.

      Martin nahm die Fernbedienung und stellte die Musik leiser. „Können wir das jetzt bitte vergessen?“

      Benjamin schnellte nach vorne, richtete den Oberkörper auf. „Wie denn? Bevor einer von denen in den Knast geht, ziehen die uns noch mit rein. Warum sollten die uns einfach so davonkommen lassen?“

      Martin käute die Worte Benjamins gedanklich wieder. An Irgendetwas von dem, was sein Freund gesagt hatte, war etwas Wahres dran.

      „Noch nicht mal, wenn wir die Maschine vernichten würden, kämen wir aus der Sache wieder raus“, meinte Benjamin resigniert.

      „Warum? Eigentlich eine gute Idee. Wir bauen das Teil auseinander, und es gibt keine Spuren mehr.“

      Benjamin schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Wir haben unser Einverständnis zum Stillschweigen gegeben, wir Idioten.“

      „Warum Idioten? Sonst hätten wir nie das Geld bekommen.“

      „Denk doch mal nach!“, polterte Benjamin.

      Martin dachte nach. Dann schlug er sich mit der Hand an den Kopf. „Wir Idioten!“, rief er aus.

      „Verstehst du jetzt?“

      „Wir Idioten“, wiederholte Martin entgeistert.

      „So dumm können auch nur wir sein“, sagte Benjamin.

      „Wir hätten überhaupt nichts unterschreiben müssen“, kam es Martin.

      Benjamin nickte. „Welcher Erpresser unterschreibt so einen Scheißvertrag?“

      „Nicht ein einziger“, sagte Martin, fassungslos über ihre Blödheit.

      „Du hattest nur Dollarzeichen in den Augen“, meinte Benjamin.

      „Und du? Du hast mich doch zur Unterschrift gedrängt!“

      „Es war ganz klar deine Idee!“

      „So ein Unsinn. Wer hat denn als Erster unterschrieben?“

      „Weil du mir den Kuli in die Hand gedrückt hast!“

      „So ein Schwachsinn! Wir haben es gemeinsam beschlossen!“

      Benjamin stand auf. „Also gibst du zu, dass es nicht allein meine Idee war?“

      „Ja, aber es war auch deine!“

      „Weil du mich da reingequatscht hast!“

      Sie waren sich gefährlich nahe gekommen. Jetzt schubste Martin seinen Freund zurück aufs Sofa. „Du hast mich reingequatscht!“

      Benjamin stand wieder auf. Nase an Nase standen sie sich gegenüber und blickten sich feindselig in die Augen.

      „Du Idiot!“, schimpfte Benjamin.

      „Du nutzloser Arsch!“, schimpfte Martin zurück.

      Diesmal war Benjamin am Zug. Er schubste Martin. Der taumelte rückwärts, ruderte im Fallen mit den Armen und schlug mit dem Rücken direkt in den Bildschirm.

      Als Martin sich von dem Schock erholt hatte und wieder stand, stellte er fest: „20000 Euro futsch. Die zahlst du.“

      „Meinetwegen“, lenkte Benjamin ein. Er blickte auf den Scherbenhaufen, das Gehäuse aus gebürstetem Metall, das scheppernd auf dem Carrara-Marmor aufgekommen war. „Wenn wir so weitermachen, kommen wir nirgendwo hin.“

      Martin merkte, dass etwas mit seinem Körper nicht stimmte. Er verspürte einen Schmerz, doch Scherben konnten nicht durch sein Hemd gedrungen sein. Er tastete den Rücken ab und erspürte nichts. Auch war keine der am Boden liegenden Scherben blutbeschmiert.

      „Scherben bringen Glück“, sagte Martin benommen.

      „Du blutest“, stellte Benjamin erschrocken fest.

      „Wie?“ Martin drehte sich verwirrt im Kreis, als könnte er so seinen Rücken sehen.

      „Lass mich sehen.“ Benjamin trat zu ihm und krempelte das blutgetränkte Hemd hoch.

      „Was ist?“, fragte Martin, dem der Schmerz nun immer unerträglicher vorkam.

      „Scheiße“, stieß Benjamin aus.

      „Was denn?“

      Benjamin sagte zunächst nichts. Eine der länglichen Narben, die Martins Rücken überzogen hatten und die in der vergangenen Woche schönheitschirurgisch durch fast unkenntliche Schnitte ersetzt worden waren, war aufgeplatzt.

      Er verriet es seinem Freund.

      „Oh, Mann“, stöhnte Martin und setzte sich hin. Schon schwindelte es ihn. Er befürchtete, ohnmächtig zu werden.

      Benjamin holte Verbandszeug und flickenschusterte die Wunde vorläufig zu. „Morgen musst du zum Arzt.“

      Gemeinsam hatten sie sich zur Schönheitskorrektur entschieden. Schließlich wollten auch die Hostessen etwas geboten bekommen. Auch ein Freier-Rücken musste entzücken, das war ihr Kunden-Ethos. Je schöner der Rücken, desto entschuldbarer war der immer stärker wachsende und wuchernde Bauch.

      Nachdem Martin Wasser getrunken und sich auf dem Sofa ausgestreckt hatte, entschieden sie, sich weiter zu beratschlagen. So schnell wie möglich musste eine Lösung her. Sie könnten nicht warten, bis alles aus dem Ruder gelaufen war. Entweder man fand die Maschine oder den Vertrag. In beiden Fällen wären sie dran.

      Ihre Wohnung hatten sie seit ihrer Rückkehr nur noch ein einziges Mal betreten, um die allerpersönlichsten Sachen zu holen. Bei ihren Freunden hatten sie sich nicht mehr gemeldet, sie hatten es schlicht und einfach vergessen. Selbst ihre Eltern wussten noch nichts von ihrem neuen Zuhause, sie riefen sie selten und, wenn überhaupt, wie früher auf dem Handy an.

      Ihr altes Leben hatten sie aufgegeben und kaum mehr ein soziales Dasein geführt. Sie waren zwar weggegangen, auf edlen Partys und in schicken Clubs gewesen, aber das hatte sie nicht richtig erfüllt. Weil sie viel Geld in den Taschen mit sich trugen und damit geprasst hatten, war der Ansturm an Frauen in solchen Nächten nicht gering gewesen, Frauen, die durchaus eine gewisse Klasse und einen gewissen Anspruch hatten. Dieser Anspruch hieß ganz klar Geld. Aber es war ein langfristiger Anspruch. Langweilig.

      Ein- oder zweimal hatten sie solche Frauen eingeladen, dann hatten sie es sein lassen. Sie hatten keine Lust mehr, mit unkäuflichen Frauen zu schlafen. Sie wollten nicht nur ein paar Drinks ausgeben müssen, sie wollten richtig löhnen können, wenn es um Sex ging. Alles andere war unter ihrem Niveau. Deshalb hatten sie sich an einen Escort-Service gewandt, der ein paar leckere Frauen im Portfolio führte. Die Damen kamen immer in der Anzahl, die Martin und Benjamin gerade genehm war. Martin hatte so seinen ersten Dreier und Vierer feiern können und Benjamin sogar eine Ein-Mann-Orgie durchgezogen. Kaum eine der Damen kostete weniger als 1000 Euro pro Nacht und manchmal konnten die beiden Freunde nicht begreifen, warum die eine teurer sein sollte als die andere, aber insgesamt schienen ihnen die Preise angemessen. Verliebt hatten sie sich nicht. Sie hatten darauf geachtet, dass keines der Treffen zu emotional wurde. Liebe ist das Brot der Armen, das war ihr Motto.

      Einmal