Urs Rauscher

Die Zweitreisenden


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Es würde sich bewahrheiten, dass Zeit Geld war. Man konnte nicht nur durch die Verlängerung von Zeit Geld vermehren, man konnte auch durch die Verknappung von Geld Zeit verkürzen.

      Nach dieser schweißtreibenden Arbeit und einer leichten Überdosis Koks mussten sie sich mit Dope wieder runterbringen. Dazu nutzten sie eine Bong aus handgeblasenem Murano-Glas mit Goldgehäuse, die gleich zwei Lungenfüllungen fasste. Abwechselnd durfte erst der eine, dann der andere den Inhalt in seine Lungenflügel gießen. Sie waren sehr erleichtert, dass durch ihren altbewährten Scharfsinn ihr kleines Problem bald aus dem Weg geräumt sein würde.

      Mit etwas Glück und finanziellen Mitteln könnte die Sturheit des Mannes gebrochen werden und sie Einzug in ihre Traumwohnung halten. Mit etwas mehr Arbeit würden sie den Vertrag finden. Dessen Vernichtung wäre dann nur noch eine Frage von Sekunden.

      Da der Fernseher kaputt war, fiel ihnen bald nicht mehr viel ein, was sie hätten tun können. Nach ein paar Erinnerungen an Persien, die sie vergnügt auffrischten, schliefen sie noch auf dem Sofa ein.

      Sie träumten absolut nichts.

      Mitten in der Nacht wachte Martin auf und musste sich Erbrechen. Weil es ultraschnell gehen musste, ging er in Benjamins Toilette, verwischte anschließend aber alle Spuren. Dann ging er in sein Zimmer.

      Mitten in der Nacht wachte Benjamin auf und befürchtete, er hätte geträumt. In seinem Traum war Martin aufgewacht und musste kotzen. Zu Benjamins Glück tat er es in seinem eigenen Klo.

      Von diesem erschütternden Erlebnis bekam Benjamin mächtig Hunger. Er ging in die Küche und nahm sich eine der zwanzig Tiefkühllasagnen heraus, die in ihrem Restaurant-Tiefkühler lagen. Panikattacken und das Bedürfnis zu kiffen blieben aus.

      Martin hörte ihn in der Küche rumoren. Ihm war immer noch speiübel. Als er sich sicher war, dass Benjamin in sein Zimmer gegangen war und schlief, lief er in die Küche und spülte das Sodbrennen mit ein paar Bier runter. Den Bierrausch bekämpfte er mit einigen Hits aus der Bong. Endlich konnte er wieder schlafen.

      Sie schliefen bis um zwei Uhr nachmittags. Dann rief sie ihr Anwalt an. Jeden auf seinem Handy. Er sagte, der Mann habe eingewilligt, nachdem er die neue Wohnung gesehen habe, wohin man ihn mit Hilfe von Vorkasse und Bodybuildern gebracht habe. Er habe sogar schon unterschrieben. Nur seine Familie müsse noch unterrichtet werden. Das halte er aber für unproblematisch. Außerdem sei dies, so sagte der Anwalt, nun wirklich nicht mehr das Problem der beiden Freunde. Die Familie sei nun kein Mieter mehr, sondern für drei Monate Vermieter ihrer alten Wohnung und die beiden Freunde ihre Untermieter, das sei rechtlich zunächst unvermeidbar. Man habe dem willfährigen Ehepaar alle Hilfe zur Seite gestellt, dass es schon in der kommenden Nacht unter einem neuen Dach schlafen könne, er räusperte sich, müsse. Notfalls bleibe immer noch ein Räumungskommando, das noch niemanden mit Samthandschuhen angefasst habe. Ihre neue Traumwohnung, er erlaubte sich einen spöttischen Kommentar, sei in wenigen Stunden bezugsbereit. Er würde dann noch einmal anrufen. Ob er denn schon Möbel kaufen solle.

      Sie bräuchten keine Möbel, sagten beide Freunde zur Verwunderung des Anwalts. Dieser meinte daraufhin, wenn sie ihm nicht so viel Honorar zahlen würden, würde er sich die Unverschämtheit erlauben, nachzuhaken, wie sie an so viel Geld gelangt seien, so aber verbiete sich jede Indiskretion.

      Die verbiete sich, bestätigten beide Freunde unabhängig voneinander. Sie bedankten sich, jeder auf seine Art, beide gleich unfreundlich.

      Minuten später stand jeder unter seiner Dusche.

      Gemeinsam frühstückten sie. Es war drei Uhr. Martin ging zum Arzt. Frischvernäht kam er nach einer Stunde wieder.

      Diesmal machten sie nicht den Fehler, mit dem ersten Bier und der ersten Bongladung bis kurz vor ihrem Abmarsch zu warten. Als sie den zweiten Anruf erhielten, waren sie bereits hackedicht. Es blieb ihnen nur ein Antiserum: Kokain. Eilig sogen sie das Zeug an die Schleimhäute ihrer Riechkolben. Zur Sicherheit nahmen sie noch einen Beutel mit. Den gemeinsamen Mercedes ließen sie in der Garage. Sie benutzten das Fortbewegungsmittel der Mittellosen: Das Taxi.

      Der Taxifahrer verneinte empört, als ihm Benjamin ihm auf dem Armaturenbrett eine Line Koks legen wollte. Auch von Haschisch wollte er nichts wissen. Martins Idee, an einer Tankstelle Bier zu holen und mit dem Taxifahrer auf ihre Fahrt anzustoßen, hielt er ebenfalls für keine gute. Er war ein Türke und heilfroh, in diesem Teil von Zehlendorf nicht von einem Scharfschützen erledigt worden zu sein, das ließ er in eingestreuten Kommentaren durchblicken. Ansonsten, darüber ließ er sie nicht im Unklaren, hielt er die beiden Freunde für das schlimmste Gesocks, wie man es selbst in Neukölln niemals antreffe. Martin erlaubte sich den Spaß und gab ihm einen Hundert-Euro-Schein als Trinkgeld. Der Mann grummelte indigniert, steckte das Papier aber nach einigem Getue in seinen Geldbeutel. Leute wie sie, schob er in gewähltem Hochdeutsch hinterher, würden in seiner Heimat niemals Asyl bekommen. Die beiden Freunde glaubten es ihm.

      Martin und Benjamin lachten infantil, als sie auf dem Bürgersteig ihrer alten Straße standen. Es war sechs Uhr.

      II.

      Mit Eselsgrinsen und Gekicher drückten sie auf das oberste Klingelschild. Sie erwarteten die Stimme ihres Anwalts, aber wer sie um ihre Namen bat, war der niemand Geringeres als der Klomann. Dass sie die neuen Wohnungsbesitzer seien, erklärten die beiden. Sie sollten hochkommen, sagte der Mann freudig erregt.

      Es kostete sie einige Anstrengung, die vielen Stockwerke zu bezwingen. Gegenseitig lachten sie sich bei dieser brutalen Besteigung aus. Zu Hause hatten sie einen Aufzug. Den Fußballplatz, den sie sich auf ihrem Grundstück hatten anlegen lassen, hatten sie seit dem Tag seiner Einweihung nicht mehr benutzt. Entsprechend verschwitzt kamen sie auf dem obersten Absatz an.

      Dort erwartete sie der Mann. Als er die beiden sah, erstarrte er.

      Wie sehr kosteten sie diesen Moment aus! Sie mussten sich zusammenreißen, um nicht mit einem lautstarken Lachen herauszuplatzen.

      „Sie?“, fragte er perplex.

      „Ja“, sagte Benjamin mit Siegerlächeln. „Wir.“

      „Darf ich uns vorstellen?“, fragte Martin und deutete auf Benjamin. „Mittschneider.“ Dann legte er sich selbst die Hand auf die Brust. „Fläßiger.“

      Er blickte sie abwechselnd an, verstand die Welt nicht mehr. „Sie haben…“, brachte er stotternd vor. Die Stimme versagte ihm.

      „Und sie haben jetzt eine schönere Wohnung“, erklärte Martin und legte versöhnlich und mit Schmollmund den Kopf zur Seite.

      „Es tut uns leid. Das war natürlich nur ein Spaß“, sagte Benjamin hinterlistig. „Wir müssen uns mit unseren echten Namen vorstellen.“

      Der Mann nickte hilflos.

      „Darf ich?“, fragte Benjamin und deutete auf Martin. „Mu’atin.“ Dann legte er sich selbst die Hand auf die Brust. “Ibn Yamin.”

      Benjamin und Martin sahen sich komplizenhaft an, unterdrückten einen weiteren Lachanfall. Benjamin stieß einen Laut aus der Nase.

      Der Mann schüttelte in Zeitlupe mit dem Kopf.

      „Schatz, was ist?“ Die Frau des Klomanns war im Türrahmen erschienen. „Du bist so blass.“

      „Nichts“, sagte der Mann angeschlagen. „Nur die Nachmieter.“

      „Ach, so. Dann hol ich mal die restlichen Sachen.“

      „Ja“, hauchte der Mann erledigt. Seine Knie gaben nach. Am Türrahmen rutschte er nach unten, bis er auf seinem Gesäß aufkam.

      Benjamin bot ihm Koks an. Ruckartig drehte der Ärmste den Kopf weg und begann zu zittern.

      Als seine Frau mit zwei Koffern erschien und ihn so wie ein Häuflein Elend auf dem Boden vorfand, fragte sie: „Was ist denn mit dir los?“

      „Nichts“, stammelte er. „Ich freu mich nur so auf die neue Wohnung.“

      Sie