Michael Schenk

Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes


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      Das Vibrieren und leise Poltern wurde mehr und mehr zu einem harten

      Dröhnen, das sich rasend schnell zu nähern schien. Heglen-Tur stieß

      unbewusst einen heiseren Schrei aus, als unvermittelt die Toten zum Leben

      erwachten.

      Männer auf Pferden überzogen die Kuppe der gegenüberliegenden Düne.

      Männer mit grünen Umhängen und grünen Rundschilden, mit wehenden

      gelben Rosshaarschweifen an den Helmen und mit langen Lanzen in den

      Händen.

      Sie verharrten reglos auf der Düne und starrten auf die Tote Wache hinab.

      Heglen-Tur krallte die Hände in den Sand, wandte den Kopf zur Seite und

      blickte dann erneut zu der Erscheinung hinüber. Aber seine Sinne täuschten

      ihn nicht.

      Die Pferdemenschen kehrten in ihre alte Heimat zurück.

      Es waren nicht so viele Reiter, wie die Tote Wache einst umfasste, aber

      diese hier mit ihren grimmigen Gesichtern und den großen Pferden machten

      auf den Jungmann einen furchterregenden Eindruck. Fieberhaft überschlug

      Heglen-Tur die Anzahl der Feinde und kam auf etwa hundert Reiter und

      Pferde. Aber wer konnte wissen, ob dies nicht nur eine Vorhut war?

      Heglen-Tur wurde plötzlich bewusst, welche Gefahr seinem Clan und allen

      anderen drohte. Er sah, wie die Männer ihre Pferde antrieben. Nein, diese

      Reiter kehrten nicht um, sie kamen in die Wüste hinein, vielleicht, um Rache

      für eine verlorene Schlacht zu nehmen.

      Heglen-Tur warf einen letzten kurzen Blick auf den Beritt der Pferdelords,

      dann rutschte er die Düne hinunter und lief in schnellem Trab der Heimstatt

      entgegen. Es galt, eine Botschaft zu überbringen. Die Toten lebten wieder.

      Die Pferdelords kehrten zurück.

      Kapitel 4

      Der Baum war alt. Niemand hätte zu sagen vermocht, wie alt er war. Sein

      Stamm war auch von vierzig Männern nicht zu umfassen, und doch wirkte er

      schlank, denn er ragte hoch auf. Seine breit ausladenden Äste und Zweige

      filterten ein seltsames Spiel von Licht und Schatten auf den darunterliegenden

      Boden. Es gab viele solcher Bäume in diesem ausgedehnten Wald, und hier,

      im Zentrum des Waldes, waren sie besonders hoch und standen weit

      voneinander entfernt.

      Zwischen den Zweigen einiger Bäume waren ungewöhnliche Strukturen zu

      erkennen, die sich jedoch harmonisch in das Astwerk fügten, ganz als seien

      sie auf natürlichem Wege gewachsen und Bestandteil des sie tragenden

      Baumes. Die Strukturen waren groß und dennoch zierlich, man konnte Wände

      und Treppen ausmachen, die sich in den einzelnen Baumkronen und sogar

      zwischen ihnen erstreckten. Kleine Balkone sprangen zwischen den Zweigen

      hervor und bildeten Plattformen, die einen unvergleichlichen Ausblick boten.

      Die Balkone, Treppen und Wege wurden von Geländern eingefasst, deren

      Streben und Stützen sorgsam gedreht und verziert waren und deren Handläufe

      derart fein gearbeitet und zudem im Verlauf unendlicher Jahre abgegriffen

      waren, dass sie wie poliertes Steinholz wirkten. Die hölzernen Stege

      bestanden aus verschiedensten Hölzern, die zu abwechslungsreichen Mustern

      kombiniert waren. Zahlreiche Fenster waren aus der Nähe zu erkennen, mit

      doppelten Flügeln und fein gefertigten Rahmen. Nur selten war Metall zu

      sehen, und warme Farben beherrschten das Bild.

      Das Volk der Elfen lebte im Einklang mit der Natur; es nutzte ihre

      Schönheit, ohne sie zu schädigen, und die Natur schien sich dafür bei den

      Elfen mit ihrer üppigen Vielfalt revanchieren zu wollen. Zu den Grüntönen

      der Nadeln und Blätter gesellten sich lange Ranken und Lianen, die

      verschlungene Muster zu bilden schienen, und das Grün setzte sich in dem

      Moos und Gras auf dem Boden fort. Pilze und Blumen boten eine prachtvolle

      Farbenvielfalt, angereichert durch summende Insekten und andere Tiere des

      Waldes.

      Die Tiere schienen ebenso wenig Scheu vor dem elfischen Volk zu

      empfinden, wie die sie umgebende Natur, in der sie alle lebten. Es war, als

      wüssten die Tiere, dass die Elfen ihnen nur deshalb Leid zufügten, damit sie

      selbst überleben konnten. Fleisch gehörte zum Lebensunterhalt des elfischen

      Volkes, doch machte es nur einen geringen Bestandteil aus, denn die

      Pflanzenwelt und die nahe Küste boten genug Nahrung.

      Die Elfen lebten in großen Gemeinschaften, die sie als Häuser

      bezeichneten. Neben den Häusern des Waldes gab es die der See, die sich an

      der Küste befanden. Jedes der Häuser beherbergte viele Angehörige des

      Volkes und hatte ein eigenes Symbol.

      Die Lilie war das Symbol des Hauses Elodarions, eines der ältesten

      Elfenhäuser. Es war älter als die Bäume, die es beherbergten, und älter als die

      Geschlechter der Menschen.

      Der Elfenmann, der langsam über das Gras zwischen den Bäumen schritt,

      war groß und schlank und äußerlich in den besten Jahren. Seine Gesichtszüge

      waren glatt, und nur die Augen gaben einen Eindruck von der Weisheit, die er

      in vielen Jahrtausenden erlangt hatte. Das Haar des Mannes war weißblond

      und lang, wie es für Elfen typisch war, und die Haare fielen weit über den

      Rücken, obwohl sie im Nacken von einer schimmernden Spange

      zusammengehalten wurden. Die Spange hatte die Form einer Lilie, und auch

      der schmale Stirnreif des Mannes wies dieses Zeichen auf. Der Elf war

      barfüßig; er hatte seine Schuhe abgelegt, um das Gras an seinen Zehen spüren

      zu können. Das seidig schimmernde, geschmeidige Gewand, das er trug,

      schien seinen Körper zu umfließen, und seine Schultern waren von dem

      typischen zartblauen Umhang der Elfen bedeckt.

      Elodarion plagten sorgenvolle Gedanken, obwohl er sich eigentlich

      glücklich schätzen konnte. Vor fünfhundert Jahren hatte seine Frau Eolyn

      zwei