Michael Schenk

Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes


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      »Das Haus des Urbaums«, nickte Lotaras. »Das verschollene Haus.«

      »Es war immer das mächtigste und größte Haus des elfischen Volkes.«

      Elodarion blickte nachdenklich aus dem Fenster. »Weit im Osten liegt es, bei

      den versteinerten Wäldern. Schon lange haben wir keine Nachricht mehr von

      ihm erhalten, und unsere Versuche, Kontakt aufzunehmen, sind gescheitert.

      All unsere Boten sind verschollen, außerdem eine ganze Truppe unseres

      Hauses.« Elodarion sah seine Kinder ernst an. »Aber jetzt, nach so langer

      Zeit, gibt es Hinweise auf das Haus des Urbaums und darauf, was mit ihm

      geschehen ist.«

      Elodarion lehnte sich in die fein geschnitzte Lehne seines Stuhls zurück.

      »Natürlich ist es nur ein unbewiesenes Gerücht, aber wir müssen jeder Spur

      nachgehen. Dies ist immerhin die erste seit dreitausend Sonnenjahren. Ihr

      werdet nach Enderonas an den Hof des Königs der Pferdelords reisen. Dort

      lebt ein Mann, der Hinweise über das Haus des Urbaums haben soll. Ihr

      werdet ihn befragen, und zwar möglichst behutsam, denn niemand soll von

      unseren Plänen erfahren. Deshalb gilt euer Besuch offiziell dem Wiedersehen

      mit euren Freunden aus der Hochmark.«

      Leoryn sah ihren Vater fragend an. »Es ist ein weiter Weg von der

      Hochmark Garodems in die Königsstadt Reyodems. Wenn unser Besuch

      offiziell nur unseren Freunden aus der Hochmark gelten soll, wie können wir

      dann die Weiterreise in die Stadt Enderonas begründen?«

      »Überhaupt nicht«, sagte Elodarion lakonisch. »Denn ihr werdet zunächst

      nicht über Land, sondern mit dem Schiff in das Reich der weißen Bäume,

      nach Alnoa, reisen. Von dort aus werdet ihr direkt nach Enderonas gehen,

      nach den Hinweisen zum Haus des Urbaums forschen und dann zu euren

      Freunden in die Hochmark weiterziehen. Die umständliche Route werdet ihr

      mit den Gefahren begründen, die auf dem Landweg drohen, denn der führt

      durch die Gebiete der Barbaren.«

      »Mit dem Schiff?« Lotaras empfand Unbehagen.

      Sein Vater lachte leise auf. »Nach den fünfhundert Jahren deines jungen

      Lebens ist es wohl an der Zeit, dass du deine Füße auch einmal auf ein Schiff

      unseres Volkes setzt.«

      Leoryn stieß ihren Bruder vergnügt an. »Du solltest dich freuen. Wir

      werden zum ersten Mal mit einem Schiff reisen und danach unsere Freunde

      aus dem Volk der Pferdelords wiedersehen.«

      Lotaras nickte lächelnd. Ja, es würde guttun, den menschlichen Wesen

      erneut zu begegnen. Und wie er die Pferdelords einschätzte, würde auch

      sicherlich ein beachtenswertes Abenteuer mit dem Wiedersehen verbunden

      sein.

      Kapitel 5

      Der Reiter war von stattlicher Gestalt, und Gleiches galt für das Pferd, auf

      dem er saß. Der Mann war nicht besonders groß oder muskulös, aber er

      wirkte durchtrainiert und strahlte Kraft aus. Die Hände auf das Sattelhorn

      gelegt, blickte er nach Süden, dorthin, wo sich die alte Handelsstraße von der

      Hochmark zu den anderen Marken der Pferdelords erstreckte. Sein Gesicht

      wirkte gleichermaßen würdevoll und freundlich und wies die Bräune und die

      Falten eines Mannes auf, der einen guten Teil seines Lebens auf dem Rücken

      eines Pferdes verbracht hatte. Nur vereinzelt waren noch blonde Strähnen in

      seinem Haar zu sehen, das von den Erfahrungen des Lebens und von der

      Verantwortung, die er trug, schon früh ergraut war. Der Reiter hieß Garodem,

      der Pferdefürst der Hochmark.

      Garodem war Ende fünfzig, und sein Alter bereitete ihm Sorgen, denn mit

      den Jahren begann ihn der Sattel zu plagen. Doch die Vorstellung, eines

      Tages nicht mehr reiten zu können, schmerzte ihn noch mehr, weshalb er jede

      Gelegenheit nutzte, um seinen eisengrauen Hengst zu besteigen.

      Er trug die typischen, fast kniehohen Stiefel des Reitervolkes aus gutem

      rotbraunem Leder und dazu die einfachen hellbraunen Beinkleider der

      Pferdelords. Der schwere Wollstoff war im Schritt und am Gesäß durch Leder

      verstärkt und strapazierbar, wie alles, was ein Pferdelord benötigte. Das

      Leben war immer hart für das Reitervolk gewesen und hatte abgehärtet. Zu

      den Reithosen trug der Pferdefürst ein einfaches Wams und eine mit

      Wolle gefüllte, abgesteppte Lederjacke, die ihm bis über die Hüften

      reichte. Es war Sommer, aber hier oben in der Hochmark, die von

      Gebirgszügen umschlossen war, wehte oft ein schwacher Wind, welcher der

      Sommersonne die sengende Hitze nahm und unerwartete Kühle brachte. Der

      Pferdefürst trug keine Rüstung und keinen Helm, doch hing von seinem

      Schwertgurt das lange Schwert herab, dessen Handgriff einen kunstvoll

      eingearbeiteten Pferdekopf mit Schmiedehammer zeigte, die alten Symbole

      der Mark Garodems.

      Man sah ihm den Pferdelord an, obwohl er im Augenblick nicht wie ein

      solcher gekleidet war, denn um seine Schultern hing ein dunkelblauer

      Umhang mit den eingestickten Symbolen der Mark. Die blaue Farbe war das

      einzige sichtbare Zeichen seiner Amtswürde, wenn man von den vier Reitern

      absah, die abwartend eine Pferdelänge hinter ihm verharrten.

      Diesen Männern sah man schon von Weitem an, dass sie Pferdelords

      waren. Sie führten die grünen runden Schilde mit dem blauen Rand der

      Hochmark und dem weißen Pferdekopf der Pferdelords. Um ihre Schultern

      hingen die langen grünen Umhänge der Kämpfer des Reitervolkes. Sie

      führten Bogen und Schwert, und in ihren rechten Händen hielten sie die

      langen Lanzen aufrecht. An einer der Lanzen flatterte ein langer dreieckiger

      Wimpel, der wie die Schilde blau eingefasst war, jedoch auf dem grünen

      Tuch ein springendes weißes Pferd zeigte, das sich dem Feind mit solcher

      Macht entgegenwarf, wie ihm auch die Lanzen der Pferdelords begegnen

      würden.