Michael Schenk

Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes


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      Heglen-Tur spürte ein intensives Jucken zwischen den Beinen, wo einer

      der plagenden Sandflöhe Unterschlupf vor der Tageshitze gesucht hatte. Auch

      das Jucken ignorierte er mannhaft, bis sich offensichtlich ein zweiter Sandfloh

      hinzugesellte und der Reiz übermächtig wurde. Möglichst unauffällig hob

      Heglen-Tur sein Hemd an und kratzte sich ausgiebig zwischen den Beinen,

      wobei er auch einen der Flöhe fand und ihn zerquetschte. Errötend bemerkte

      er eine ältere Frau, die auf sein entblößtes Geschlecht sah und einen

      anerkennenden Pfiff ausstieß, der sofort die Aufmerksamkeit weiterer Weiber

      auf ihn lenkte, sodass sich Heglen-Tur beeilte, seine Männlichkeit wieder zu

      bedecken.

      Er tat, als bemerkte er die Blicke und Kommentare der Weiber nicht, und

      sah erneut zum Schädelhaus im Zentrum der Heimstatt hinüber. Ihm blieb

      nichts anderes übrig, als zu warten, denn kein Jungmann näherte sich

      unaufgefordert dem Sitz des Kriegerrates.

      Missmutig wechselte er das Pfeilrohr in die andere Hand. Es maß eine

      halbe Länge, bestand aus kostbarem Holz und war außen mit Fasern der

      Stachelpflanze umwickelt. Ein Atemstoß reichte aus, um einen Stachelpfeil

      durch das Rohr zum Feind zu tragen. Und wenn der Atem kräftig war und der

      Stachel gut und gerade, konnte dieser noch über hundert Längen hinweg sein

      Ziel finden. Heglen-Tur war stolz auf sein Pfeilrohr, denn er hatte es selbst

      gefertigt, und es war gut, wie auch seine Stachelpfeile scharf und gerade

      waren. Neben dem Pfeilrohr trug er noch die schwere Schädelkeule, ein mit

      Pflanzenfasern an einen langen Oberschenkelknochen gebundener Stein, mit

      dem man den Schädel eines Feindes zertrümmern konnte. Aber kein guter

      Clankrieger würde das tun, wenn es sich vermeiden ließ. Die Keule musste

      vielmehr den Nacken des Gegners treffen, um die Halswirbel zu

      zertrümmern, damit die kostbare Schädeltrophäe unbeschädigt blieb.

      Einzig das gezackte Messer, das in Heglen-Turs aus Pflanzenfasern

      geflochtenem Gürtel steckte, war aus gutem Metall. Mit ihm ließen sich Tiere

      ausnehmen, Stachelpflanzen roden und Hälse abschneiden. Sein Messer hatte

      noch keinen Hals durchtrennt, aber bald, hoffentlich bald, würde auch dies

      geschehen.

      Seine empfindlichen Ohren nahmen ein leises Klingen wahr. Instinktiv

      wandte er sich um und blickte zwischen dem Außenring der Pfahlzelte

      hindurch zur nächsten Wachplattform. Aber der Wächter verhielt sich ruhig.

      Hätte er das Wühlen eines Sandwurms bemerkt oder einer der anderen

      Wächter Alarm gegeben, so würde er sich anders verhalten haben. Heglen-

      Tur entspannte sich wieder und blickte erneut voller Ungeduld zum

      Schädelhaus des Kriegerrates.

      Endlich war dort Bewegung zu erkennen.

      In dem Heglen-Tur zugewandten Eingang erschien die Gestalt von Bimar-

      Turik, und als der alte Krieger Heglen-Tur erblickte, hob er einen Arm und

      winkte ihn heran. Heglen-Tur hatte sich vorgenommen, mit würdevollen

      Schritten hinüberzugehen, aber seine Aufregung war zu groß, und so verfiel

      er in den typischen arhythmischen Trab des Sandvolkes, der einen Krieger

      rasch durch die Wüste zu tragen vermochte. Dabei bemühte er sich,

      wenigstens den richtigen Schrittwechsel vorzunehmen, damit der alte Krieger

      keinen Grund zur Kritik fand.

      Bald war es so weit, bald würde Heglen-Tur sich endlich Heglen-Turik

      nennen dürfen.

      Der Fünfzehnjährige erreichte einen der aufragenden Pfosten, auf denen

      das Schädelhaus ruhte, schwang sich behände hinauf und blieb in

      ehrerbietiger Haltung vor dem Krieger Bimar-Turik stehen. Bimar-Turik bot

      keinen schönen Anblick. Sein Gesicht wies zahllose Narben auf, denn als

      Kind war er in eine Stachelpflanze gestürzt, deren Dornen ihn übel

      zugerichtet hatten. Er hatte viel Spott ertragen müssen, nachdem die Wunden

      verheilt und hässliche Narben zurückgeblieben waren. Dieser Spott hatte

      wohl dazu beigetragen, dass der Clankrieger als ebenso humorlos wie mutig

      galt. Keiner hatte mehr Schädel genommen als Bimar-Turik, wenn man von

      Heldar-Turiko einmal absah, dessen Namensendung auf seinen Status als

      Clanchef hinwies.

      »Der Turiko will dich sehen«, knurrte Bimar-Turik und musterte Heglen

      ironisch. »Warte einen Moment, bis du nicht mehr so schwer atmest. Hat dich

      der Anblick der Weiber so erregt oder der kurze Lauf so angestrengt?«

      Heglen-Tur errötete ein wenig. »Mein Atem ist leicht wie ein Sandkorn im

      Wind.«

      Der ältere Krieger ließ seinen Blick von Kopf bis Fuß über den Jungmann

      gleiten. »Fehlt es dir an Respekt, oder bist du nur zu dumm, um nicht zu

      wissen, wann du zu schweigen hast?« Sein Blick wurde kalt. »Noch hast du

      keinen Schädel genommen und nicht das Recht, deine Stimme einem

      erfahrenen Krieger gegenüber zu erheben. Und wenn du so laut schnaufst,

      wirst du nie nahe genug an einen Feind herankommen, um seinen Schädel zu

      erhalten.«

      Heglen-Tur schwieg, denn er spürte, dass der alte Krieger ihn auf die

      Probe stellen wollte. Bimar-Turik zupfte an Heglen-Turs Knochenpanzer und

      Gurt und klopfte an den Beinschutz. »Wenigstens siehst du halbwegs so aus

      wie ein Clankrieger der Wüstennager«, brummte er. »Also lass uns

      hineingehen und schnaufe nicht so, damit der Turiko wenigstens glauben

      kann, er hätte einen künftigen Krieger vor sich.«

      Der narbige Kämpfer schob den innerlich kochenden Heglen-Tur durch

      den Eingang in das Schädelhaus. Von der sonnenüberfluteten Hitze des Tages

      traten sie in den dämmerigen Schatten der riesigen Halbkugel, und Heglen-

      Turs Augen mussten sich erst auf das seltsame Zwielicht einstellen. Zum

      ersten Mal betrat er das Haus des Kriegerrates, und der Anblick der vielen

      Schädel raubte ihm den Atem. So sorgsam waren sie entlang der