Michael Schenk

Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes


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Symbol des elfischen Kapitäns, dem

      das Schiff anvertraut war. Am flachen Heck befand sich in einer

      gabelförmigen Halterung ein langes Ruder, das der Steuerung diente.

      Insgesamt wirkte das Schiff grazil und fast verspielt, wie es der Eigenart

      der Elfen entsprach, doch auf Lotaras machte es einen schrecklich unstabilen

      Eindruck, denn über dem zierlichen Rumpf erhob sich ein ebenso zierlicher

      Mast von fünfzehn Längen Höhe. Es schien, als müsse der Mast das kleine

      Pfeilschiff sofort zum Umkippen bringen, was jedoch nicht geschah. Er ragte

      fast frei auf und wurde den Worten des Kapitäns zufolge nur von einem

      Sockel tief im Bauch des Schiffes sowie von den vier starken Tauen gehalten,

      die ihn nach allen Seiten mit dem Schiffsrumpf verbanden. Der Mast befand

      sich im hinteren Drittel des Schiffes und ließ dessen Bug durch sein Gewicht

      merkwürdig steil aus dem Wasser ragen, wodurch das Pfeilschiff insgesamt

      seltsam schief wirkte. Das würde sich jedoch ändern, sobald das Segel sich

      entfaltete und der Winddruck das Schiff nach vorne presste. Das Segel war

      unten an einem Längsbalken befestigt, der vom Mast aus nach hinten lief und

      über das hintere Heck des Schiffes hinausragte. Es hatte eine dreieckige Form

      und würde im aufgezogenen Zustand dicht unter der Mastspitze enden. Es

      war aus bestem elfischem Tuch gefertigt und hielt auch starken Winden

      mühelos stand. Der Mast selbst wies rechts und links Kerben auf, in die man

      seinen Fuß setzen konnte, um ihn zu ersteigen. An seiner Spitze befand sich

      eine zierliche Plattform für den Ausguck des Schiffes, der den Kapitän vor

      möglichen Gefahren warnen sollte.

      »Eine richtige Schönheit, nicht wahr?«, sagte Herolas nahezu andächtig.

      »Eine wacklige Schönheit«, murmelte Lotaras.

      Leoryn sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Es ist nun genug, mein Bruder.

      Die ›Sturmschwinge‹ wird uns sicher ans Ziel bringen, nicht wahr, Kapitän

      Herolas?«

      »Das wird sie ganz gewiss«, sagte eine unbekannte Stimme hinter ihnen,

      und als die Geschwister herumfuhren, sahen sie vor ihren Augen einen

      weiteren Elfen förmlich aus dem Boden des Pfeilschiffes herauswachsen. Erst

      sah man nur den Kopf, danach erschien sein Oberkörper, und nun erkannten

      die Geschwister, dass der Mann aus einer winzigen Luke herausstieg, die in

      den Bauch des Rumpfes führte. Er trug lediglich ein stark gekürztes Beinkleid

      und war ansonsten vollkommen nackt. Auch seine Füße waren entblößt, und

      als Leoryn sie näher betrachtete, erkannten ihre kundigen Heileraugen die

      dicken Schwielen an den Sohlen.

      »Was ist mit deinen Füßen, Bruder des Wassers?«, fragte sie überrascht.

      »Meine Füße?« Der Mann hob irritiert ein Bein und betrachtete seinen

      Fuß. »Was soll mit ihnen sein?«

      Leoryn deutete auf seine Sohlen. »Du hast merkwürdige Verdickungen

      darunter.«

      »Verdickungen?« Der Mann sah sie zunächst entgeistert an und grinste

      dann breit. »Ah, nun verstehe ich, was du meinst, Schwester des Waldes.« Er

      lachte auf. »Auch ihr würdet solche Schwielen bekommen, wenn ihr so viele

      Jahre lang auf dem Tauwerk des Schiffes balanciert, um die Segel

      auszurichten.«

      »Warum trägst du dann keine Schuhe?«

      Der Mann sah sie nachdenklich an. »Das wäre unpraktisch, Schwester des

      Waldes. Man muss ein Schiff spüren können. Seine Bewegungen im Wasser.

      Wie es sich auf- und abwiegt, sich zur Seite legt und wieder aufrichtet, wenn

      es auf den Segeldruck und auf das Ruder reagiert.« Der Mann blickte an der

      jungen Elfin vorbei zu Lotaras. »Was ist mit dir, Bruder des Waldes? Ist dir

      nicht wohl?«

      Lotaras war ein wenig bleich geworden. Jetzt schüttelte er nur noch

      ächzend den Kopf, musterte die »Sturmschwinge« und glaubte fest daran,

      dass dieses Schiff seinen Untergang bedeutete.

      »Mein Steuermann Gendrion«, stellte Kapitän Herolas den Mann vor. »Es

      gibt wohl kaum eine Welle des Meeres, die er nicht selbst befahren hat und

      persönlich kennt. Doch nun kommt an Bord, wir wollen die Reise beginnen.«

      Das Pfeilschiff lag dicht am Steg, doch wenn man es mit einem kurzen

      Sprung erreichen wollte, musste man den Moment abpassen, in dem es sich

      dem Steg leicht zuneigte. Lotaras sah einige der größeren Schiffe an ihren

      Liegeplätzen. Bei allen außer bei der »Sturmschwinge« führten stabile Bretter

      an Bord, weshalb Lotaras sofort den Steuermann Gendrion im Verdacht hatte,

      die Planken vorsätzlich beiseitegelegt zu haben, um zu sehen, wie die

      Waldbewohner ohne sie an Bord gelangen würden. Aber sein Stolz ließ es

      nicht zu, eine Schwäche zu zeigen, und außerdem waren sein elfisches Auge

      und seine Reflexe in Ordnung. Mit einem eleganten Schwung erreichte er das

      Deck der »Sturmschwinge«, hörte ein leises Brummen des Steuermanns und

      sah, wie dieser die Hand ausstreckte, um Leoryn zu helfen, doch die Elfin

      lächelte ironisch und folgte ihrem Bruder mit weiblicher Anmut.

      »Besatzung an Deck, wir stechen in See«, rief Gendrion mit lauter Stimme,

      und über die kleine Treppe, die ins Schiffsinnere führte, kamen drei Männer

      herauf, die erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Steuermann hatten. Auch sie

      waren annähernd nackt, und ihre Füße waren ebenso schwielig wie ihre

      kräftigen Hände. Obwohl ihre Bewegungen auch die Anmut des elfischen

      Volkes zeigten, wirkten sie in ihrer ganzen Art kraftvoller.

      »Geht vor den Mast«, brummte Gendrion und schob Lotaras vor sich her,

      während er dessen Schwester mit einer sanften Bewegung ermunterte, ihnen

      zu folgen. »Wir müssen den Anker einholen und das Segel setzen.« Er sah

      Leoryn freundlich an. »Der Mastbaum wird ein wenig herumschwingen und

      das Schiff sich neigen. Doch beunruhigt euch nicht, es kann nichts

      geschehen.«